Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Nicht Gene, sondern frühkindlicher Einfluss entscheidend für das in China viel häufigere absolute Gehör


Bochum, 3. Juni 2016:

In China ist ein „absolutes Gehör“, wie es etwa Wolfgang Amadeus Mozart hatte, der die absolute Tonhöhe erkennen konnte, viel häufiger als in Europa oder Amerika: bei uns besitzt es nur 1 unter 10.000 Menschen. Diana Deutsch, die „Grosse alte Dame“ der Musikpsychologie (1), ging dieser Frage nach und fand die Erklärung: Es sind nicht die Gene, sondern es ist der frühkindliche Einfluss der Sprache. In China hören Kleinst- und Kleinkinder Mandarin, eine Sprache, in der unterschiedliche Tonhöhen einem Wort oder Satz gänzlich unterschiedliche Bedeutung geben. In den USA geborene Chinesen aber hören von Beginn an amerikanisch sprechen; daher entwickeln sie genau so selten ein absolutes Gehör wie die übrige Bevölkerung. Diana Deutsch meint, dass die Erbanlagen für ein absolute Gehör bei uns zwar ebenso häufig sind wie bei den Chinesen. Diese kämen hier aber zufolge des fehlenden frühkindlichen Spracheinflusses nicht so wie in China zur Ausprägung. Man mag hier eine gewisse Analogie zu den Singvögeln sehen, die das Singen erst nach der Geburt erlernen müssen, obwohl die Tonintervalle schon biologisch grundgelegt sind (2).

Diana Deutsch, geboren 1938 in London als Kind einer ostjüdischen Musikerfamilie, war selbst auch Pianistin*), studierte dann aber Physiologie, Psychologie und Philosophie. Sie arbeitet bis heute an der University of California, San Diego. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre jahrzehntelangen Studien über akustische Täuschungen, darunter die Oktaven-, Tonleiter- und Glissando-Täuschung (1). Sie verwendete dazu Untersuchungsprotokolle wie wechselnde Beschallung des linken und rechten Ohres, bei Links- und Rechtshändern, oder unterschiedliche Tonleitern links und rechts („melodic channeling“). Auch technisch aufwendige Systeme mit speziellen Boxen kamen zum Einsatz.

Kürzlich gab sie Stefan Klein, einem deutschen Biophysiker, in San Diego ein Interview, welches im ZEITMAGAZIN nachgelesen werden kann (3). Darin führt sie auch aus, dass Menschen immer innerhalb des Bereiches von einer Oktave sprechen, Frauen genau eine Oktave höher als die Männer ihres Umkreises. Am höchsten sprechen die Engländerinnen. Dem Referenten fällt in diesem Zusammenhang die sehr hohe und rasch wechselnde, fast singende Tonlage der angelsächsischen Stewardessen auf, im Unterschied etwa zu den deutschen. Zu seinem Unbehagen beginnen die deutschen Flugbegleiterinnen aber bereits, deren Satzmelodien zu imitieren. Man könnte sagen, sie nähern sich damit der von Diana Deutsch im Interview erwähnten frühen „Protosprache“an, in welcher Musik und Sprache eins waren.

Helmut Schatz

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*) Der Lieblingskomponist von Diana Deutsch ist seit ihrer frühen Jugend Franz Schubert. Bei seiner Musik beginnen ihr, wie sie sagt, auch heute „noch immer die Beine zu zittern“. Exakt so geht es dem Referenten auch.

Literatur

(1) Diana Deutsch: https://de.Wikipedia.org/wiki/Diana_Deutsch

(2) Helmut Schatz, Kommentar vom 19.Februar 2015 zum Artikel von Klaus Ehrenberger: Kunst als Therapie – ‚Creative Therapies‘: Kunst verführt und diszipliniert.
DGE-Blogbeitrag vom 22. Oktober 2014

(3) Stefan Klein im Interview mit Diana Deutsch.
ZEITmagazin Nr. 50/2015; 7. Januar 2016.

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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2 Antworten auf Nicht Gene, sondern frühkindlicher Einfluss entscheidend für das in China viel häufigere absolute Gehör

  1. Klaus Sticken sagt:

    Es ist einleuchtend, dass Chinesen, deren Sprache sich der Tonhöhenschwankungen bedient, irgendwann die Tonhöhen „verabsolutieren“. Im Gehirn gibt es ja so etwas wie „topologische Karten“. Ich habe davon gehört, dass das absolute Gehör durch frühzeitiges Training für Kinder häufig noch erlernbar ist. Ein japanischer Klavierprofessor namens Taneda aus Karlsruhe, der vorwiegend mit hochbegabten Kindern gearbeitet hat, soll eine hohe Erfolgsrate gehabt haben. Unter seinen Schülern waren vermutlich auch viele Asiaten. Übrigens ist das absolute Gehör gar nicht so absolut. Ich selbst z.B. erkenne Klaviertöne zuverlässig. Bei mir weniger vertrauten Instrumenten oder gar Sinustönen versage ich oft kläglich. Wenn es also „mehr und weniger“ absolutes Gehör gibt, ist es vielleicht auch trainierbar.

  2. Helmut Schatz sagt:

    Viele bedeutende Komponisten hatten kein absoluter Gehör und schrieben dennoch bedeutende Musik wie etwa auch Richard Wagner. Ein absolutes Gehör ist also keine Voraussetzung für hervorragendes Komponieren.

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