Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Soll ‚Dr. Watson‘, der Super-Diagnosecomputer von IBM, unser Kollege werden?


Bochum, 27. März 2014:

Auf der Internationalen Computermesse CeBIT in Hannover präsentierte am 13. März 2014 Frau Manuela Müller-Gerndt von IBM Deutschland erneut den Supercomputer Watson, der seit einigen Jahren mit gewaltigem administrativen und finanziellen Aufwand von IBM entwickelt wird (1). Anfang des Jahres 2014 stellte IBM dafür 1 Milliarde Dollar zur Verfügung. Die Süddeutsche Zeitung hatte schon am 17. August 2011 getitelt: „Dr. Computer hält Sprechstunde“ . Frau Müller-Gerndt versucht zur Zeit, die Akzeptanz dieses Supercomputers bei deutschen Ärzten und Krankenhäusern zu erhöhen: Während man hört, dass zwei Drittel aller Ärzte diesen begrüssen würden, liegen die Zahlen für Deutschland und Frankreich am untersten Ende. Spitzenreiter in der Akzeptanz seien Spanien und Singapur (2).

Der Computer sammelt gigantische Datenmengen und könnte zukünftig gleichsam in der Kitteltasche von Ärzten sogar Arzt-Patientengespräche mithören und weiterleiten. Zusammen mit übermittelten Daten einschließlich Röntgenbildern, die automatisch befundet würden, könnten Diagnosen gestellt werden. Auch würde er Behandlungen vorschlagen. Selbst Arztbriefe soll Watson in den USA schon für Hundertausende von Patienten geschrieben haben. In weiterer Zukunft könnten aber selbst die Vitaldaten gesunder Menschen automatisch über Registriersysteme, beispielsweise im Auto unter dem Bett gesammelt und übermittelt werden – damit wären wir beim vollkommen „Gläsernen Menschen“.

Freilich hat der Computer auch ein gewaltiges Lernpensum zu bewältigen. Der Analytiker im deutschen IBM-Team, Sebastian Welter, sagte 2011: „Watson fängt gerade an der Columbia Medical School sein Medizinstudium an (3). Er muss auch für jedes Land, wo er eingesetzt werden soll, neu „lernen“. Aber auch für ihn gilt dasselbe wie für alle Analysen oder Metaanalysen einschliesslich derer von der renommierten Cochrane-Foundation, dass er von der Qualität der gesammelten Daten abhängig ist, trotz bester Statistik: „gargabe in, garbage out – Müll hinein, Müll heraus“ gilt auch hier.

Einer unbeschränkten Vernetzung aller Gesundheitsdaten steht in Deutschland der § 203 des Strafgesetzbuches entgegen, welcher die Ärztliche Schweigepflicht regelt. Darüber wurde im Zusammenhang mit der Gesundheitskarte schon im DGE-Blogbeitrag vom 22. Juli 2013 berichtet (4). Die Versuchung eines Zugriffs auf die riesige Datenwolke wäre für Versicherungen, Arbeitgeber, Staat oder auch die boomende Lifestyle- Industrie gewiss sehr gross; ein vollkommener Schutz erscheint wohl kaum möglich.

Helmut Schatz

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Literatur

(1) CeBIT Newsletter
http://www.cebit.de/veranstaltung/paneldiskussion-mehrwert-durch-daten.-das-wirtschaftliche-und-medizinische-potential-von-healthcare/VOR/57803

(2) Joachim Müller-Jung: Der Computer ersetzt den Arzt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 15. März 2014, Feuilleton, Seite 14

(3) Christoph Berends: Dr. Computer hält Sprechstunde.
Süddeutsche Zeitung, Wissen, vom 17. August 2011

(4) Helmut Schatz: Ärztliche Schweigepflicht, Gesundheitskarte und Edward Snowden.
DGE-Blog-Beitrag vom 22. Juli 2013

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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4 Antworten auf Soll ‚Dr. Watson‘, der Super-Diagnosecomputer von IBM, unser Kollege werden?

  1. Strumpf sagt:

    „Watson“ wird wohl in erster Linie für konservative Fächer der Medizin geplant (?), aber auch für operative Fächer könnte bald elektronische „Hilfe“ verfügbar sein: Google entwickelt die „Google Glass – Brille“ . Mit dieser könnern Operateure das Operationsfeld ohne Monitore oder Kabel direkt an räumlich oder auch örtlich weit entfernte Kollegen zur Ansicht übertragen und um deren konsiliarischen Rat bitten. Das übertragene Bild kann der entfernte Konsiliarius beispielsweise auf seinem Handy/Smartphone ansehen. Ob das bei einem chirugischen Eingriff in einer Notfallsituation immer sinnvoll ist, sei dahingestellt. Sofortige Handlungsnotwendigkeit gestattet wohl kaum eine Verzögerung. Die Google-Brille kann auch Körperfunktionen wie Puls und Blutdruck registrieren, gehorcht auf Sprachbefehle und kann sich in Überwachungssysteme einklinken. Die Google-Glass – Brille wurde an der Universität Berkely entwickelt und wird zur Zeit in den USA und einigen Europäischen Zentren (Madrid, Graz) erprobt und weiterentwickelt (Kleine Zeitung, Graz, 15. März 2014, Seite 18-19)

  2. Helmut Schatz sagt:

    Im Blogbeitrag vom 9. Oktober 2013 habe ich aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. Oktober 2012 zitiert, die schrieb, „…die neue Medizin …liesse aus der Heilkunst endgültig einen Reparaturbetrieb werden und die Ärzte zu Humaningenieuren mutieren“. Durch Watson würden die Ärzte wohl mit der Zeit zu Nachrichten- (Befehls-) Empfängern einer riesigen Daten-Cloud von IBM werden. Bei der Google-Glass-Brille erscheint mir die Anwendung bei Operationen zumindest zur Zeit nicht sehr sinnvoll, vielleicht abgesehen von Sonderfällen.

  3. Nicht alles, was den Titel „Big Data“ trägt, ist auch wirklich nützlich. Eine aktuelle Untersuchung einer multizentrischen Arbeitsgruppe aus den USA, die kürzlich in Science publiziert wurde, zeigt z. B., dass Googles Grippeprognose teils um bis zu 100% von der realen Entwicklung abweicht, während die Voraussage des CDC wesentlich genauer war (s. http://gking.harvard.edu/files/gking/files/0314policyforumff.pdf und entsprechende Artikel in der New York Times unter http://bits.blogs.nytimes.com/2014/03/28/google-flu-trends-the-limits-of-big-data/ und im Time Magazine unter http://time.com/23782/google-flu-trends-big-data-problems/ ).

  4. kern sagt:

    ich sehe nicht die gefahr, daß „dr. watson“ ein gleichrangiger kollege der ärzte werden kann, da die ganzheitliche und vor allem psychologische behandlung des patienten niemals durch eine maschine wird ersetzt werden können.
    gleichwohl halte ich die sammlung von daten aus forschung und praxis und anwendung derselben für vorteilhaft, weil man sehr viel zeit bei der behandlung sparen und ohne große umwege zu einer diagnose finden kann.
    die gefahr des mißbrauchs wird gewiß eingeschränkt werden können durch „schutzprogramme“, welche den zugriff von institutionen wie versicherungen, arbeitgeber u.a. auf persönliche, sensible daten verhindern sollen.

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