Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Freiheit für die medizinische Wissenschaft?


Bochum, 11. Mai 2016:

Ein Discounter bot ab Jahresbeginn 2016 ein Blutzuckerselbstmessgerät zum Preis von etwa 50 Euro an. Dieses hatte laut Datenblatt die ISO-Normen für präzise Blutzuckermessungen erfüllt:

„Medizinprodukt
präzise Messung in mg/dL nach ISO 15197:2013
einfache Handhabung
Messergebnis nach 6 Sek.
nur 0,6 μl Blutmenge benötigt“

Das Institut für Diabetes-Technologie Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH an der Universität Ulm, gegründet von einem meiner Lehrer nach seiner Emeritierung, Herrn Professor E. F. Pfeiffer in Ulm, hat dieses Gerät getestet und die Resultate auf dem Deutschen Diabetes Kongress vom 4. bis 7. Mai 2016 als Poster in der Late-Breaking-Session vorgestellt (1). Die Schlussfolgerung auf dem Poster lautete:

„Das getestete Blutzuckermesssystem zeigte in der Studie mit der eingesetzten Teststreifen-Charge im Mittel höhere Messwerte als die Labormethode. Zu hohe Messwerte können einerseits dazu führen, dass Hypoglykämien nicht erkannt werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass Hypoglykämien ausgelöst werden, wenn die Insulindosis basierend auf zu hohen Messwerten berechnet wird. Aus diesem Grund sollte die Messgenauigkeit aller im Handel erhältlichen Blutzuckermesssysteme regelmäßig und unabhängig überprüft werden.“

Auf dem Poster mussten die Namen von Hersteller und Vertreiber des geprüften Gerätes entfernt werden. Der Poster wies an der Pinwand Lücken auf, da die Namen herausgeschnitten werden mussten.

blutzuckermesssystem

Der Referent stellt sich die Frage, inwieweit die Wissenschaft frei ist – und ob Firmeninteressen vor Patientensicherheit gehen.

Helmut Schatz

Literatur

(1) A. Baumstark, N. Jendrike, S. Pleus, D. Rittmeyer, C. Haug, G. Freckmann: Messgenauigkeit eines im Supermarkt erworbenen Blutzuckermesssystems.
Poster LB 21.
51. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Berlin, 04. – 07. Mai 2016

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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9 Antworten auf Freiheit für die medizinische Wissenschaft?

  1. Schumann, Potsdam sagt:

    Wir hatten in unserer Behandlungseinrichtung bereits einen Fall einer Hypoglykämie nachdem ein Patient das im Discounter erwerbliche Messgerät ohne Rücksprache einsetzte und die Konversion von seinem vorherigen Messgerät ( Mmol/l auf mg/dl) nicht bedachte. Somit kam es zu einer Überdosierung nach Ablesefehler durch den Patienten anbulant In der Annahme ein Wert von 150 mg/dl würde 15,0 Mmol/l bedeuten.

  2. OBSERVER sagt:

    Das ist ja unglaublich. Ich nehme an, dass es sich um das von Aldi vertriebene Gerät handelt. Was sagen Juristen und die Ärztekammern?

  3. Maja5 sagt:

    Na ja, wenn der Patient nicht in der Lage ist, die Ergebnisse korrekt abzulesen, dann kann man das Gerät schlecht dafür verantwortlich machen.

  4. s.o. sagt:

    Es handelte sich um ein Gerät eines bekannten Drogerie Discounters. Prinzipiell sind keine relevanten Komplikationen aufgetreten so dass Dies nicht weiter verfolgt wurde. Ich habe den Fall lediglich zum Anregen einer Diskussion geschildert, wir sind zumindest der Meinung dass entsprechende Medizinprodukte nicht ohne Schulung des Patienten angewendet werden sollten.

  5. Helmut Schatz sagt:

    Die drei Kommentare von Schumann, wohl identisch mit s.o.(?) und Maja5 beziehen sich offenbar auf ein anderes Gerät als das, welches auf dem DDG-Kongress 2016 im Poster LB21 vorgestellt wurde. Blutzuckermessgeräte werden seit Jahren in Drogerie- und Supermärkten sowie im Internet angeboten. Die Frage hier war, ob man ein wissenschaftliches Ergebnis unterdrücken darf, bei dem es um das Patientenwohl geht.

  6. Peter sagt:

    Wissenschaftliche Ergebnisse werden laufend unterdrückt, wenn dies dem Wohl des Herstellers / der Pharmafirma dient, auch und insbesodere sogar besonders dann, wenn es dem Patienten schadet.
    Da ist doch ein kleines Meßgerät, was ungenau mißt, noch ein verhältnismäßig winziges, aber dennoch ebenso nicht zu tolerierendes Problem.

  7. Maja5 sagt:

    Jetzt zu der o.g. Frage.

    Ich habe einfach angenommen, sie wäre rethorisch, da mir nicht in den Sinn gekommen ist, daß man solche Fragen überhaupt ernst meinen könnte.

    Wenn man aus Gier, oder anderen niedrigen Instinkten heraus, dem Patienten Schäden zufügt/das Zufügen zuläßt, ist solche Handlung einfach kriminell. Besonders dann, wenn es die Ärzte betrifft. Solche „Ärzte“ wären als Marktschreier besser aufgehoben, da dort ist solch ein Verhalten zuläßig.

    Da es aber tagtägliche Routine geworden ist, muß der Partient stark aufpassen, um nicht zuzulassen, daß ein Arzt, aus Gier, ihm schadet. Da der Patient in D. kein Lobby hat, kümmert es niemanden.

    Ein Armutszeugnis für die Ärzteschaft, ohne Frage.

  8. Helmut Schatz sagt:

    Liebe Maja, Sie sollten nicht die Ärzte anschuldigen. hier betrifft es die Industrie und den Vertrieb. Im Gegenteil, die Ärzteschaft hat verantwortungsvoll gehandelt. Lesen Sie doch die näheren Umstände in der Pressemitteilung der DDG zu diesem Thema vom 13. Mai 2016 auf der Homepage derr Deutschen Diabetes -Gesellschaft.

  9. Maja5 sagt:

    Danke für den Hinweis.
    Tatsächlich, diesmal war es andersherum. Leider kann ich den obigen Post nicht löschen, bzw. korrigieren.

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