Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss für medizinische Themen.

Kalzium und Vitamin D zur breiten Prophylaxe: nutzlos?


Bochum, 10. Oktober 2015:

Am 29. September 2015 erschienen im British Medical Journal zwei umfangreiche, sorgfältige Arbeiten  zu den Themen Kalzium-Zufuhr  und Knochendichte (1) sowie Kalzium-Zufuhr und Knochenbruch-Risiko (2). Diese stellten den Nutzen von Kalzium mit oder ohne Vitamin D für die Knochendichte und zur Frakturverhinderung  in Frage.

Die erste Arbeit, eine systematische Übersicht und Metaanalyse von 59 Studien (1) zeigte, dass Kalziumzufuhr im 1. Jahr die Knochendichte um 0.6 – 1.0 % erhöhte, diese Steigerung, im 2. Jahr gemessen, 0.7 – 1.8% betrug also nicht progressiv fortschritt. Die Autoren sind der Meinung, dass die geringfügigen Effekte auf die Knochendichte nicht zu einer klinisch bedeutsamen, signifikanten Abnahme des Knochenbruchrisikos führen.

Die zweite zusammenfassende Übersichtsarbeit (2)  fand bei ~30.000 Personen durch Kalziumzufuhr (vermehrt über die Nahrung oder durch Supplemente) zunächst eine Abnahme der  Frakturen insgesamt um 11%, der Schenkelhalsbrüche um 5%, der Wirbelbrüche um 14% und der Unterarmfrakturen um 4%. Eine Analyse, welche auch Studienverzerrungen (das „Bias“) berücksichtigte, ergab jedoch keinerlei Risikoverminderung durch Kalzium, weder allein gegeben noch zusammen mit Vitamin D. In einer einzigen Untersuchung an gebrechlichen Frauen in Wohnheimen mit niedriger Kalziumaufnahme durch die Nahrung und tiefen Vitamin D –Spiegeln wurde ein verringertes Knochenbruchrisiko festgestellt.

Facit der Autoren:

a.) Kein Zusammenhang von Knochenbrüchen mit der Höhe der Kalziumzufuhr über  die Nahrung.

b.) Die Beweislage, dass Kalziumzufuhr durch Supplemente Brüche verhindert ist schwach und inkonsistent.

Kommentar

Das Editorial  zu den beiden Publikationen trägt den Titel: „Calcium supplements do not prevent fractures“ (3) und Focus online titelte am 30. September 2015: „Die Mineralien-Lüge: Darum sollten Sie keine Kalzium-Tabletten schlucken“ .

Focus schreibt:
– Die meisten älteren Menschen nehmen Nahrungsergänzungsmittel.
– Es gibt keine Beweise dafür, dass eine erhöhte Kalziumzufuhr vor Knochenbrüchen schützt.
– Zu viel Kalzium hat negative Wirkung, wenn es sich in Gefäßen ablagert.

Gemeint sind vor allem die in manchen Studien unter Kalzium vermehrt beobachteten Herzinfarkte.

Die Ergebnisse ausreichend großer und zeitlich genügend langer,  randomisierter, prospektiver Plazebo-kontrollierter Studien (RCT´s) zum Nutzen von Vitamin D und Kalzium liegen zur Zeit noch nicht vor. Solche im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin zu fordernden Untersuchungen laufen gegenwärtig noch, vor allem die Amerikanische VITAL- und die britische VIDAL- Studie, welche Aufschluß über einen Nutzen von Vitamin D und Kalzium auf Herzinfarkte, Schlaganfälle,  Knochenbrüche und weitere Erkrankungen  wie etwa Krebs,  Diabetes oder Demenz bringen sollen. Ihre endgültigen Resultate werden erst in einigen Jahren vorliegen. Dann wird man hoffentlich evidenzbasiert beurteilen können, ob es sinnvoll ist oder nicht, Vitamin D und/oder Kalzium zur Prophylaxe zahlreicher Erkrankungen, wie heute von Vielen postuliert einzunehmen, und nicht nur zur Prophylaxe und Therapie bei etablierten, definierten  Krankheitsbildern (4).

P.S.: Am 15. Oktober 2015 wird im NEJM (5) eine Arbeit über ein RCT erscheinen mit täglicher Gabe von Vitamin D, Kalzium, beidem zusammen oder keiner Therapie über 3-5 Jahre mit kolonoskopischen  Kontrollen. Es zeigt sich kein signifikanter Unterschied zwischen den vier Gruppen auf die Entstehung von Kolonadenomen als anerkannter Vorstufe des Kolonkarzinoms.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Vicki Tai et al.: Calcium intake and bone mineral density: systematic review and meta-analysis.
Brit Med J 2015; 351 doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.h4183
(Published 29 September 2015). BMJ 2015;351:h4183

(2) Mark J Bolland et al.: Calcium intake and risk of fracture: systematic review.
Brit Med J 2015; 351 doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.h4580
(Published 29 September 2015). BMJ 2015;351:h4580

(3) Karl Michaelsson: Calcium supplements do nor perevebt fractures.
BMJ 2015; 351 doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.h4825
(Published 29 September 2015). BMJ 2015;351:h4825

(4) Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Wirkung einer Vitamin D–Gabe nur bei bestimmten Personengruppen und Patienten gesichert.
Pressemitteilung vom 25.1.2012

(5) John A. Baron et al´.: A trial of calcium and vitamin D fort he prevention of colorectal adenomas.
New Engl J Med 2015. 373:1519-1530

Bitte kommentieren Sie diesen Beitrag !

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Permalink.

10 Antworten auf Kalzium und Vitamin D zur breiten Prophylaxe: nutzlos?

  1. Ilse Raptis sagt:

    lieber Helmut, wie ich sehe, bist du immer noch sehr aktiv! Super!!! Nur dass ich mit der Einnahme von Kalzium Vit D nicht recht weiss, soll ich es in meinem fortgeschrittenen Altern nehmen oder nicht? in meiner Familie gab es keine Osteoporose und daher……………………… darf ich auf Deine Stellungsnahme warten? mit vielen Gruessen auch an die Familie Ilse

  2. Helmut Schatz sagt:

    Liebe Ilse, ich habe mich gefreut, von Dir zu hören. So wie ich Dich kenne und jetzt auch über Deine Familienanamnese informiert wurde (keine Opo oder/und Frakturen) brauchst Du eigentlich gar nichts zu nehmen. Vitamin D, 1000 IE pro Tag, schadet aber auch im sonnigen Griechenland gewiß nichts. Kalzium nur mit der Nahrung (Milch, Käse…), nicht als Supplement. Du kannst Dich aber testen (siehe meinen BLOG vom 8. 12. 2014, http://www.blog.endokrinologie.net. Klicke dort Lit. Nr. 1 an: „DVO-Leitlinie 2014“, dann „Kitteltaschenversion“, scrolle zu „Basisdiagnostik“ und dann zur Indikationstabelle für medikamentöse Therapie. Diese Tabelle beinhaltet auch eine Knochendichtemessung (nur mit DXA-Technik!).
    Sotos soll Dir ggf. helfen.
    Vorgestern war ich auf der Rückreise vom Schifahren auf dem Pitztaler Gletscher in Deiner Heimatstadt Ulm und im malerischen Fischerviertel – wunderhübsch!
    Helmut.

  3. Seniorin sagt:

    Hallo an die Experten,

    gerne hätte ich einen kurzen Rat bezüglich meiner Osteoporose, weiß leider nicht, wo ich sonst die Frage stellen könnte.

    Erstdiagnose/-untersuchung in 2012 (keine Vergleichswerte von früher)
    DXA-Ergebnisse: Linke Hüfte T-Score gesamt: -3.0 / LWS (L1-L4): T-Score gesamt: -4.4
    Ergebnisse 10/2017: Linke Hüfte T-Score gesamt: -2.9 (in 2013: -2,8) / LWS: -4.5
    bisher keine Knochenbrüche, früher oft Rückenschmerzen.
    Viele Laborparameter wurden erhoben, es konnte nichts gefunden werden, keine Erkrankungen, die Osteoporose begünstigen.
    seit 3-4 Jahren vermehrt Sport, keine Rückenschmerzen mehr. Bislang Einnahme von Osteoporosemedikamenten abgelehnt. Vitamin D war im Mangel, wurde augefüllt. Calcium über Mineralwasser und Nahrung.

    Würde das gerne so weiter laufen lassen. Was meinen Sie? In welchen Abständen Knochendichte messen lassen? Gibt es eine Untersuchungsmethode, die mir über die Struktur des Knochens Informationen gibt, nicht nur über die Dichte?

    Danke und Grüße
    Ihre Seniorin

  4. Helmut schatz sagt:

    Bei einem T-Score an LWS von etwa -4.5 wird gewiss eine Indikation für eine spezielle Osteoporosetherapie vorliegen. Sehen Sie in den Leitlinien des DVO nach. Alter spielt auch mit. Basistherape auf jeden Fall mit Vit.D, 1000 bis maximal 2000 E.plus 1000 mg Calcium. Spezielle Therapie bisphosphonate

  5. Helmut Schatz sagt:

    Nachtrag: Die Knochenstruktur kann mit dem Trabecular Bone Score (TBS) erfasst werden
    Viele DXA Geräte haben die dafür nötige Software, nicht alle
    Normal wäre ein Wert etwa grösser als 1.3, Grenzbereich 1.11 bis 1.3

  6. Helmut Schatz sagt:

    Knochendichtemessung i.d.R.
    alle 2 Jahre

  7. Seniorin sagt:

    Sehr geehrter Herr Professor Schatz,

    vielen Dank für die Infos. Alter 53 J, Menopause mit 40 J., Bisphosphonate möchte ich ungern nehmen, denke alternativ über Östrogene nach, habe jedoch große Sorge wegen eines potenziellen Krebsrisikos.

    Danke und Grüße
    Ihre Seniorin

  8. Helmut Schatz sagt:

    Warum qollen Sie kene Bisphosphonate? Versuchen Sie dann Raloxifen (Evista).

  9. Seniorin sagt:

    Wegen der Nebenwirkungen… man hört und liest nicht viel Gutes über Bisphosphonate.

  10. Lisa Weber sagt:

    Ich danke für den doch sehr informativen Artikel!

    Ich persönlich bin auch noch gar nicht so lange dabei mit den Nahrungsergänzungsmitteln. Ich muss sagen, dass ich diesem eine Zeit lang auch eher skeptisch gegenüber stand. Wenn man sich aber mal informiert und sieht, welcher Erfahrungen auch andere machen, welche diese Mittel als Ergänzung einnehmen, überlegt man es sich doch mal.

    Bei mir hat es angefangen mit den Rückenschmerzen. Lange Zeit habe ich verschiedenes versucht, bis es doch zur OP kam, da ein Nerv eingeklemmt war. Dennoch hatte ich auch in der Zeit darauf noch Rückenschmerzen, da sich der Ischias (hier mehr Infos) nicht komplett erholt hatte. Da habe ich mich dann wieder an die Ergänzungen erinnert. Heute nehme ich Doloctan forte, zusammen mit alpha Liponsäure und auch Vitamin D für die Wintertage. Meinem Rücken geht es langsam wieder besser. Nahrungsergänzungsmittel sind auch natürlich.

Schreibe einen Kommentar zu Ilse Raptis

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 Verbleibende Zeichenanzahl

Mit dem Absenden des Formulars erklären Sie sich mit der Verarbeitung der übermittelten Daten einverstanden. Details hierzu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.