Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Metformin jetzt bei eingeschränkter Nierenfunktion bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 45 ml/min /1.73 m² möglich


Bochum, 20. März 2015:

Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft berichtete im Jahre 2013 im Deutschen Ärzteblatt, dass die Spontanmeldungen an Laktatazidosen unter Metformin bei Diabetespatienten insbesondere über dem 80. Lebensjahr stark zugenommen hätten und dass deshalb die Kontraindikationen für Metformin unter einer GFR von 60 ml/min /1.73m² für Deutschland nicht geändert würden. International war diese Grenze für die Nierenfunktion schon vielfach herabgesetzt worden. Jetzt ist man diesem Trend auf Grund der neueren Studienergebnisse gefolgt und der Pharmakotherapieausschuss der Deutschen Diabetes-Gesellschaft hat zur neuen Situation das hier abgedruckte Statement herausgegeben.

 

Einsatz von Metformin bei Niereninsuffizienz neu bewertet

Der Pharmakotherapieausschuss der DDG
(H.G. Joost, U. Gastes, B. Karges, R. Lundershausen, S. Matthaei, J. Meier, I. Rustenbeck, M. Schulz, J. Spranger, H. H. Klein)

Im Dezember 2014 wurde die Fachinformation Glucophage® vom Hersteller (Merck) auf Grund von Interimsergebnissen einer Studie zum Einsatz von Metformin bei Patienten mit Niereninsuffizienz geändert. Danach ist der früher kontraindizierte Einsatz von Glucophage® bei Patienten mit mäßig eingeschränkter Nierenfunktion im Stadium 3a (Kreatinin-Clearance [CLKR] von 45-59 ml/min oder einer berechneten glomerulären Filtrationsrate [eGFR] von 45-59 ml/ min/1.73 m²) nun möglich. Voraussetzung ist das Fehlen anderer Faktoren, die das Risiko für eine Laktatazidose erhöhen können sowie eine Reduktion der Dosis: Initialdosis 500 mg oder 850 mg Metforminhydrochlorid einmal täglich, maximale Dosis 1000 mg täglich, aufgeteilt in 2 Einzeldosen. Die Nierenfunktion ist engmaschig zu überwachen (alle 3-6 Monate). Wenn CLKR oder eGFR auf Werte <45-59 ml/min bzw. 45-59 ml/min /1.73 m² absinken, muss Metformin sofort abgesetzt werden. Diese Änderung wurde nach Auskunft von Merck von allen zuständigen europäischen Aufsichtsbehörden, u.a. auch vom BfArM genehmigt. Sie gilt formal zunächst nur für Glucophage®, es ist anzunehmen, dass demnächst auch die Fachinformationen anderer Metforminpräparate entsprechend geändert werden.

Metformin ist der Arzneistoff der ersten Wahl zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Seine Anwendung ist jedoch durch zahlreiche Kontraindikationen eingeschränkt, die das Risiko einer Metformin-assozierten Laktat-Azidose [MALA] minimieren sollen. Da Metformin den Blutzucker durch Hemmung der hepatischen Gluconeogenese senkt, setzt die Leber weniger Laktat um, was einen Anstieg des zirkulierenden Laktats zur Folge haben kann; bei sehr hohen Metformin-Plasmaspiegeln kann es zur MALA kommen. Da Metformin überwiegend renal eliminiert wird, führt eine Niereninsuffizienz zur Akkumulation des Wirkstoffs; die Plasmaspiegeln können auf kritische Werte ansteigen. Die Wirkung einer Metformin-Überdosierung (z.B. bei Niereninsuffizienz) wird zudem durch eine Steigerung der Laktatproduktion (bei Störungen der Organperfusion, respiratorischer Hypoxie etc.) sowie durch zusätzliche Einschränkung der hepatischen Gluconeogenese (durch Alkohol, Leberfunktionsstörungen) verstärkt. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Fälle von MALA durch die Kombination aus Steigerung der Laktatproduktion und Hemmung der Gluconeogenese verursacht werden.

Die MALA ist ein sehr seltenes Ereignis (Häufigkeit ca. 2-4 auf 100.000 Patientenjahre, Lipska et al., 2011), deren Auftreten wahrscheinlich ausschließlich auf Nicht-Beachtung der Kontraindikationen zurückzuführen ist. Strittig war lediglich, ab welchem Grad der Nierenfunktionseinschränkung das Risiko der MALA inakzeptabel ist (Flory und Hoffmann, 2015). Bislang galt eine Grenze von eGFR <60 ml/min/1.73 m²; ein konservativer Grenzwert, der auf Modellrechnungen zur Metformin-Clearance und nicht auf klinischen Studien beruhte. Neuere Studien kommen überwiegend zu dem Ergebnis, dass dieser Grenzwert herabgesetzt werden kann: Ein systematischer Review von 65 Studien fand kein erhöhtes MALA-Risiko bei Patienten mit eGFR zwischen 30 und 60 ml/min/1.73 m² verglichen mit der Gesamtheit diabetischer Patienten (Inzucchi et al., 2014). Zu demselben Ergebnis kam eine retrospektive Analyse von Patientendaten der Clinical Practice Research Datalink Datenbank (Richy et al., 2014). Allerdings fand eine zweite Analyse derselben Datenbank ein höheres Risiko von MALA oder erhöhten Laktat-Spiegeln in Metformin-behandelten Patienten, das durch Nierenfunktionseinschränkung (eGFR <60 ml/min/1.73 m²) weiter erhöht wurde (Eppenga et al., 2014). Die Autoren empfehlen, Metformin bei moderater Niereninsuffizienz in reduzierter Dosis weiter zu verabreichen. Nach pharmakokinetischen Modellrechnungen bleiben die Metformin-Plasmaspiegel im sicheren Bereich, wenn die maximalen Tagesdosen auf 2000 mg (eGFR 60 ml/min) bzw. 1000 mg (eGFR 30 ml/min) begrenzt werden (Duong et al., 2013).

Der Pharmakotherapieausschuss begrüßt die Änderung des Grenzwerts zur Kontraindikation Niereninsuffizienz und kommt auf Grund der gegenwärtigen Datenlage zur Schlussfolgerung, dass Metformin auch bei moderater Niereninsuffizienz ein sicheres Medikament ist, wenn keine anderen Risikofaktoren für eine Laktat-Azidose vorliegen und die reduzierte Maximaldosis beachtet wird. Er weist gleichzeitig darauf hin, dass insbesondere ältere Patienten Metformin nur unter engmaschiger Kontrolle erhalten sollten, da sich nicht nur ihre Nierenfunktion rasch verschlechtern kann, sondern auch Perfusions- oder Ventilationsstörungen (z.B. durch Infektionen, CVD) das Laktat-Azidose-Risiko akut erhöhen können.

Literatur:

Duong JK, Kumar SS, Kirkpatrick CM, Greenup LC, Arora M, Lee TC, Timmins P, Graham GG, Furlong TJ, Greenfield JR, Williams KM, Day RO. Population pharmacokinetics of metformin in healthy subjects and patients with type 2 diabetes mellitus: simulation of doses according to renal function. Clin Pharmacokinet 2013;52:373-84.

Eppenga WL, Lalmohamed A, Geerts AF, Derijks HJ, Wensing M, Egberts A, De Smet PA, de Vries F. Risk of lactic acidosis or elevated lactate concentrations in metformin users with renal impairment: a population-based cohort study. Diabetes Care 2014;37:2218-24.

Flory JH, Hennessy S. Metformin use reduction in mild to moderate renal impairment: possible inappropriate curbing of use based on food and drug administration contraindications. JAMA Intern Med 2015;175:458-9.

 

Kommentar

Diese neue Regelung war schon lange erwartet und von vielen Ärzten gefordert worden. Sie darf aber, wie der Pharmakotherapieausschuss zu Recht betont, nicht zu einem breiten, unkritischen Metformin-Einsatz insbesondere bei älteren Patienten ohne regelmäßige Kreatininkontrollen führen. Andere, eine Laktatazidose begünstigende Faktoren sind zu beachten und die Dosis ist entsprechend zu reduzieren. Die angenommenen positiven Effekte von Metformin werden nun auch einer größeren Patientengruppe zukommen können. Der Stellenwert einer Kombination anderer Antidiabetika mit Metformin wird gegenwärtig in der GRADE-Studie (1), im Hinblick auf einen positiven Einfluss auf das (Mamma-)Karzinom und das kardiovaskuläre System in der GLINT-Studie (2) evaluiert.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Helmut Schatz: Sind die neuen Medikamente bei Typ-2-Diabetes als add-on-Therapie zu Metformin besser als die alten?
DGE-Blogbeitrag vom 1. April 2014

(2) Helmut Schatz: Diabetesmedikament Metformin: Vom ‘Rattengift’ über den ‘Goldstandard bei Typ-2-Diabetes’ zum All heilmittel?
DGE-Blogbeitrag vom 20. November 2014

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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2 Antworten auf Metformin jetzt bei eingeschränkter Nierenfunktion bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 45 ml/min /1.73 m² möglich

  1. Helmut Schatz sagt:

    Seit dem 27.3.2015 ist es jetzt in Deutschland gemäß dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) offiziell möglich, bis zu einer GFR von 45 ml/min/1.73 m2 Metformin zu geben, in angepaßt erniedrigter Dosierung (etwa 2×500 mg/Tag) unter Kreatininkontrollen wie im obigen Blogbeitrag vom 20. 3. 2015 schon angegeben. Bei einer GFR <45 muß Metformin sofort abgesetzt werden, im Unterschied zu dem britischen NICE, wo die Kontraindikation erst unter einer GFR von 30 beginnt. Dies hat auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft in der "Drug Safety Mail" 2015-06 am 30. 3. 2015 publiziert.

  2. Jürgen Beyer sagt:

    Kann es unser Interesse sein wegen Partikularinteressen ein Medikament, von dem, wenn auch sehr selten, schwerwiegende Nebenwirkungen bekannt sind, nun praktisch ohne nachzudenken zum Einsatz frei zu geben zudem zur Therapie andere Medikamente zur Verfügung stehen? Zielgruppe sind hier die älteren Menschen mit Diabetes bei denen hinlänglich bekannt ist, daß sie weniger trinken. Wurden bei diesen meist multimorbiden Diabetikern in einer heißen Sommerperiode Untersuchungen vorgenommen?

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