Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Debatte über Nutzen und Kosten der alten gegenüber den neuen Diabetes-Medikamenten


Bochum, 25. April 2017:

Auf dem Kongress der Endocrine Society in Orlando 2017 fand eine sehr lebhafte Sitzung zum Thema „The Diabetes Dilemma: How to Treat Type 2 Diabetes?“ statt (1).

David M. Nathan vom Massachusetts General Hospital in Boston  stellte fest, dass nach Einführung des Insulins 73 Jahre lang nur zwei weitere Medikamente in Verwendung gewesen seien, Sulfonylharnstoffe und Biguanide (Metformin). Während der dann folgenden 20 Jahre seien viermal mehr Medikamentenklassen verfügbar geworden, mit einer sehr grossen Zahl von Kombinationspräparaten. Auf einem Bild demonstrierte er ein Säulendiagramm mit dem HbA1c-Senkungspotenzial der am meisten verwendeten Präparate. Dann legte er die Kosten für jedes einzelne Präparat darüber. Man konnte meinen, dass die teuersten die am wenigsten wirksamsten Antidiabetika sind. Er führte des weiteren aus, dass die Preise der Diabetesmedikamente schneller gestiegen seien als die  für andere Erkrankungen einschliesslich Krebs. Mit den vielen neuen Präparaten sei auch eine grosse Zahl von neuen, unerwünschten (auch möglichen Langzeit-)Nebenwirkungen gekommen. Nathan endete nach der Erklärung, dass er keine Interessenskonflikte habe mit der Aussage, dass die Pharmaindustrie der einzige Gewinner der neuen Medikamente sei.

Daniel Ducker von der Universität in Toronto betonte zu Beginn seines Vortrags, dass er mit der Pharmaindustrie zusammenarbeite, damit wissenschaftliche Fortschritte auch auf den Markt kommen könnten. Bei den Kosten dürfe man nicht nur den der Medikamente betrachten, sondern den Gesamtaufwand wie den Preis für die Blutzuckertestungen und stationäre Behandlungen bei Hypoglykämien. Er hielt der Bemerkung von Nathan, Insulin sei das am wirksamste Medikament entgegen, dass neue langwirkende GLP-1-Analoga mindestens ebenso wirksam oder noch stärker das HbA1c senken würden. Und dass in der EMPA-REG –  Studie ein kardiovaskulärer (CV) und auch ein renaler Vorteil sowie eine Mortalitätsverringerung bei Hochrisikopatienten gesehen worden war. Die Bedeutung dieser neuen Antidiabetika für die Patienten herabzuspielen sei schädlich und er endete mit dem recht heftigen Satz. „ To counsel against using them is intellectual malpractice“.

In der anschließenden Diskussion wurde  darauf hingewiesen, dass man heute die Diabetesbehandlung jedes einzelnen Patienten gemeinsam mit diesem festzulegen habe. Man müsse vor allem die Studienausgangspopulation berücksichtigen: so gelten viele Ergebnisse  nur für CV Hochrisikopatienten und keineswegs für alle Typ-2-Diabetespatienten,  und die Resultate der EMPA-REG – Studie sprechen eher für eine Anwendung bei Männern mit stattgehabtem Myokardinfarkt, weniger aber für Frauen. In den USA würde die Pharmaindustrie zudem die Patienten direkt ansprechen, was in Deutschland ja nicht zulässig ist, sollte eine Kostenübernahme durch die Kassen erfolgen, und  niedergelassene Ärzte würden mit Informationen und Behandlungsanweisungen von den Firmen regelrecht „bombardiert“.

Kommentar

Die Sitzung in Orlando (1) reiht sich in das  kritische Hinterfragen unserer Praxis zur Betreuung von Diabetespatienten ein: Im April 2017 erschien von K.J. Lipska et al. eine Analyse von der Daten von 1.99 Millionen privat Versicherten in den USA mit der Frage, ob die neuen Diabetesmedikamente die Blutzuckerkontrolle verbessert hätten und kam zu einer negativen Aussage (2). Auch die Anzahl schwerer Hypoglykämien war insgesamt über die Jahre etwa gleich geblieben. Freilich war sie unter Insulin und Sulfonylharnstoffen am höchsten (Abbildung 1). Die Studie erfasste den Zeitraum von 2006 bis 2013, die Outcome-Resultate von EMPA-REG und LEADER sind somit nicht berücksichtigt.

Im diesem März fand in Manchester die „Diabetes UK Professional Conference 2017“ statt. Eine Sitzung befasste sich mit der Wirkung, den Kosten und dem Nutzen der neuen injizierbaren Antidiabetika. David Levi, London meinte, die Ergebnisverbesserung der Insulintherapie sei nicht durch die neuen Insuline erzielt worden, sondern durch die verbesserte Betreuung und Kontrolle  mit neuen Technologien einschliesslich der kontinuierlichen Blutzuckermessung. Der Pharmakologe P. Newland-Jones, Southhampton stimmte im Prinzip zu (3).

Abbildung aus Lit. (2)

In allen besprochenen Veranstaltungen und Publikationen spielten die Kosten eine herausragende Rolle. Es ist verständlich, dass für eine Firma ein finanzieller Anreiz zur Entwicklung neuer Therapieformen gegeben sein muss. Ob sich der Preis eines neu zugelassenen Medikaments nun  an den tatsächlichen Entwicklungskosten einschliesslich der für die notwendigen klinischen Prüfungen orientiert oder daran, „was der Markt hergibt“, ist eine andere Frage. Berücksichten muss man freilich auch die einer Firma entstandenen Kosten für die vor der Zulassung wegen ungenügendem Effekt oder ernsten Nebenwirkungen eingestellten Präparateentwicklungen sowie die, welche bei einer Marktrücknahme wegen schwerer, unerwünschter Neben- oder Wechselwirkungen aufgelaufen waren.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Annual Meeting of the Endocrine Society, Orlando. Session: The Diabetes Dilemma: How to treat type 2 diabetes? David M Nathan, Daniel Ducker: The New Drugs: Are we benefittung anyone other than the industry?

(2) Kasia J. Liska et al.: Trends in drug utilisation, glycemic control, and rates of severe hypoglycemia.
Diabetes Care, April 2017. 40:468-475

(3) Liam Davenport: Diabetes victories due to improved care rather than new insulins.
http://www.medscape.com/viewarticle/877010_print

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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