Bochum, 20. März 2017:
Während des 60. Deutschen Kongresses für Endokrinologie in Würzburg sprach am 17. März 2017 Arya Sharma aus Edmonton, Kanada in einem Plenarvortrag über „Why obesity is a chronic disease“ (1). Prof. Sharma leitet in Edmonton ein Obersitas-Zentrum und ist hocherfahren mit der Bariatrischen Chirurgie, insbesondere bei Adipösen mit einem Body Mass Index (BMI) über 50 kg/m2. Er begann mit der Mitteilung, dass die Medizinische Gesellschaft Kanadas die Obesitas als eine Erkrankung anerkannt habe, und zwar als eine chronische (!) Krankheit. In Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern wird Fettsucht nicht als Krankheit eingestuft, sondern vielfach als selbst durch ungesunden Lebensstil verursachter Zustand angesehen, der durch kalorienarme Ernährung und gesteigerte körperliche Aktivität wieder verschwinden könne.
Die Erfahrung wohl der meisten Ärzte und übergewichtigen Menschen selbst ist aber die, dass dies kaum zutrifft. Das Problem ist nicht die Gewichtsabnahme, sondern das Halten des reduzierten Gewichts. Sharma nannte Zahlen: Nur 1 von 10 Menschen könne sein etwa in 6 Monaten reduziertes Gewicht halten, nach spätestens 4, meist deutlich weniger Jahren werde bei 9 Menschen das Ausgangsgewicht wieder erreicht. Durch Diät und körperliche Bewegung könne man im Mittel maximal 3-5% des durch Diät und Bewegung reduzierten Ausgangsgewichtes halten, durch bariatrische Chirurgie etwa 20, maximal 30%. Das bedeutet, dass zum Beispiel ein Mensch mit 150 kg nach bariatrischer Chirurgie auf 120 bis 130 kg kommen könne, aber kaum dauerhaft tiefer. Die Ursache läge im Gehirn und seinem neuroendokrinen System. Wenn man nicht nur – etwa situativ bedingt – für kurze, sondern für längere Zeit ein erhöhtes Gewicht beibehalte, stelle der Körper gleichsam seinen zentralen „Adipostaten“ auf dieses Gewicht ein. Dieses Gewicht wird durch vielerlei noch genauer zu erforschende Mechanismen immer wieder auf diese Größe einreguliert. Sharma nannte als beteiligte Mediatoren die Adipokine wie Leptin, oder auch Ghrelin. Man dürfe den Körper nicht physikalisch betrachten wie ein Auto –Energiezufuhr und Energieverbrauch ergeben die Energiebilanz = Körpergewicht –, sondern physiologisch: Als mögliche „Sparmechanismen“ führte er an, dass bei verringertem Körpergewicht der Grundumsatz abnehme und sich die bei körperlicher Tätigkeit erhöhte Energieabstrahlung durch Wärme, die „exercise-induced thermogenesis“ verringere.
Daher sei es ärztliche Aufgabe, nicht nur eine Gewichtsreduktion anzuregen, einzuleiten und ärztlich zu begleiten, sondern es bestehe die Notwendigkeit einer lebenslangen Betreuung adipöser Patienten wie es auch bei anderen chronischen Erkrankungen wie etwa Diabetes, Bluthochdruck, Asthma oder koronarer Herzerkrankung zu erfolgen habe.
Kommentar
Diese Betrachtung der Adipositas als eine chronische, lebenslang zu betreuende Erkrankung, wie sie in Kanada auch jetzt offiziell eingestuft werde, entspricht zwar der Erfahrung praktisch aller Ärzte, ist in deren Bewusstsein aber nicht so verankert wie es im Schlussbild des Vortrags von Professor Arya Sharma (siehe Abbildung) zu Ausdruck kam (unten links Christian Jurowich, daneben Tagungspräsident Martin Fassnacht. Quelle: Referent).
Weltweit wird intensiv über Medikamente zur Unterstützung der Gewichtsabnahme und zum Halten eines reduzierten Gewichts bei Adipositas geforscht, die freilich oft wegen ihrer Nebenwirkungen wieder vom Markt verschwinden. Gegenwärtig sind in Deutschland drei Präparate zugelassen, Orlistat (Xenical®), Naltrexon/Bupropion (Mysimba®) und Liraglutid 3 mg (Saxenda®). Wird aber etwa Saxenda® wieder abgesetzt, steigt das Gewicht in der Regel wieder auf die Ausgangsgröße an (2). Dies unterstreicht den chronischen Charakter der „Krankheit Adipositas“. Und die Langzeit-Sicherheit stellt für Adipositas-Medikamente ein grosses Problem dar (vgl. Margaret Ashwell in Lit.2).
Helmut Schatz
Literatur
(1) Arya Sharma: Why obesity is a chronic disease. Plenarvortrag auf dem 60. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie in Würzburg am 17. März 2017
(2) Helmut Schatz: Zwei Medikamente zur Behandlung der Adipositas in der Europäischen Union (EU) neu zugelassen.
DGE-Blogbeitrag vom 29. März 2015
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Guten Abend Herr Dr. Schatz, sehr interessanter Bericht.
Aus meiner Arbeit als Mental-und Praxistrainer habe ich viele persönliche Eindrücke & Ergebnisse mit übergewichtigen Menschen gesammelt. Sie haben recht, dass die Gewichtsabnahme nicht das große Problem darstellt, sondern das reduzierte Gewicht dauerhaft zu behalten.
Kunden mit denen ich arbeite, haben nur eine geringe „Rückfallquote“. Dies liegt an der sehr intensiven & umfangreichen Mentalarbeit, die ich gemeinsam mit den Abnehmwilligen vor Beginn der Diät absolviere.
Nur wenn die Ursache des Übergewichtes gefunden & aufgelöst wird, ist eine dauerhafte Heilung möglich. Nur so wächst intrinsische Motivation & der Betroffene kann in Zukunft auch alleine konsequenter & disziplinierter seinen weiteren Weg gehen.
Mit besten Grüßen
Michael | Mentaltrainer & Ernährungsberater
Gratulation, Herr Coenen! Wie lange haben Sie wieviele ihrer Patienten nachverfolgt, etwa über 4 Jahre hinaus? Sie schreiben, diese würden dann das Gewicht alleine halten. Wie lange?
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich befand diesen Artikel: „Osteoporose und Adipositas“ sehr interessant:
http://www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2012/oeaez-17-10092012/osteoporose-adipositas-viszerales-fett.html
Messungen bei mir haben ergeben, dass ich vermehrtes viszerales Fettgewebe habe, äußerlich werde ich eher als schlank eingestuft. Gibt es Erhebungen, in Zahlen ausgedrückt, wie stark sich das viszerale Bauchfett mit Blick auf die Knochendichte bemerkbar macht/machen kann? Sind auch hier im Knochen Prozesse reversibel durch Aufbau von Muskelmasse und Reduzierung des viszeralen Bauchfettes, neben Ernährungsumstellung u.s.w.?
Vielen Dank .
Sehr geehrte Frau P., es gibt in der Tat Hinweise für einen Zusammenhang von Osteoporose und (viszeralem) Fettgewebe. Dies ist aber noch Gegenstand der Forschung und hat zur Zeit keinerlei Auswirkungen auf eine praktische Umsetzung bzw. auf genauere Angaben etwa in Leitlinien usw. Wenn Sie möchten, wenden Sie sich doch direkt an Prof. Resch vom Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien.