Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Adipositas-Leitlinie 2014: Gesamtkalorienzahl der Reduktionskost entscheidend, nicht deren Zusammensetzung. Adipositas als Erkrankung definiert


Bochum, 4. Juli 2014:

Die neue S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, zusammen mit weiteren Fachgesellschaften einschließlich der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie unter Federführung von Martin Wabitsch, Ulm am 2. Juni 2014 veröffentlicht, bringt einen vielfach geglaubten „Diät-Mythos“ zu Fall: Bei der Reduktionskost spielt die Zusammensetzung aus Kohlenhydraten, Fett und Eiweiß kaum eine Rolle, entscheidend ist nur die Gesamtkalorienzahl. Wie das anzustrebende Defizit von 500 kcal/Tag zustande komme, ob mit low-carb, low-fat oder eiweißreicher Kost, sei unerheblich. Dies hätten vergleichend Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt (1).

In der neuen S3-Leitlinie wird auch die Adipositas als Krankheit definiert. Die Bestätigung, dass die Obesitas eine Erkrankung sei, soll einerseits der weitverbreiteten Stigmatisierung Übergewichtiger im Alltag entgegenwirken, andererseits eine Kassenfinanzierung der Adipositas-Therapie ermöglichen. Bei der Festlegung der Kostenübernahme der – teuren – bariatrischen Chirurgie gab es nach längerer Diskussion schließlich den Kompromiß, einen – willkürlich gewählten – Body Mass Index (BMI) von 40 kg/m2 beizubehalten. Bei einem BMI >35 und bereits vorliegenden Folgeerkrankungen wie etwa Diabetes werden zur Zeit die Kosten von den Kassen auch übernommen. Auf die Problematik der Langzeitbetreuung nach bariatrischen Eingriffen und der geringer als erhofft anhaltenden Diabetesremissionen (2) wurde auch in mehreren DGE-Blogbeiträgen eingegangen.

Kommentar

Atkins-Diät, Punkte-Diät, Brigitte-Diät, Low-Carb, Low-Fat und wie sie alle heißen – mit allen kann man abnehmen. Allerdings hält der Effekt meist nicht allzu lange an. In den 1960er Jahren erlebte der Kommentator in der Ambulanz der II. Med. Univ.-Klinik Wien die ersten Diätversuche des niedergelassenen Wiener Dermatologen Dr. Humplik mit seiner „Humplik-Diät“, deren Erprobung der damalige Chef der Klinik, Prof. Karl Fellinger gestattete. Humplik teilte die Nahrung in „rationelle“ und „unrationelle“ Bestandteile ein. Zu Grunde lag eine Low-Carb – bzw. die Atkins-Diät. Der psychologisch kluge Trick war dabei, dass die Patienten animiert wurden, soviel „unrationelle“ Kost zu essen wie sie wollten, und dass man sogar umso mehr abnehme, je mehr „Unrationelles“ man esse. Die den Patienten damals offerierte – unzutreffende – Begründung war, dass der Körper für die Verbrennung dieser „unrationellen“ Nahrung mehr Energie verbrauche als er durch sie gewinne. Auch heute wird die „Humplik-Kur mit dem Slogan „10x täglich essen und abnehmen“ im Internet angeboten (3). Auch bei dieser Diät war es wie bei allen extremeren Kostformen: Wenn ein gewisses Verhältnis der drei Nährstoffe zueinander, an das der Körper jahre- und jahrzehntelang gewöhnt ist, geändert wird, schmeckt es bald nicht mehr – und man ißt automatisch kalorisch weniger. Mancher low-carb- oder low-fat-Forscher wird jetzt gewiß auf Grund seiner metabolischen Studien heftig protestieren. Vielleicht äußert er sich dazu kurz in einem Kommentar (siehe unten).

Gemäß der neuen S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sind jetzt die Übergewichtige oder deren Eltern oft sehr belastenden, diffizilen Nährstoffberechnungen beim Essen überflüssig. Die Gesamtkalorien sind das Entscheidende. Eine Aussage, die der Kommentator schon immer voll geteilt hat.

Helmut Schatz

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Literatur

(1) S-3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas
www.adipositas-gesellschaft.de/fileadmin/PDF/Leitlinien/S3_Adipositas_Praevention_Therapie_2014.pdf

(2) Helmut Schatz: Diabetes-Remission nach Bariatrischer Chirurgie: 3 Jahre später noch bei etwa einem Drittel anhaltend.
DGE-Blogbeitrag vom 3. Juni 2014

(3) Die Humplik-Kur – 10x täglich essen und abnehmen. Veröffentlicht am 28.7.2011.
http://www.diaet-clique.de/magazin/diaetenhumplik-kur

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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