Bochum, 7. August 2015:
Am 22. und 30. Juli 2015 erschienen zwei Arbeiten mit klinischen Ergebnissen der Antisense-Technologie: 1.) im Lancet online mit dem Antisense-Hemmer für Apolipoprotein(a), ISIS-APO(a)Rx (1), und 2.) gedruckt im New England Journal of Medicine mit ISIS 304801, einen Apolipoprotein C III (ApoC-3) – Inhibitor zur Triglyceridsenkung (2). Mit beiden wurde ein teils hochgradiger Abfall der Serumspiegel für Lipoprotein(a) beziehungsweise Triglyceride gefunden.
In der 1. Studie (1) wurden 47 Teilnehmer mit erhöhten Lipoprotein(a)– (Lp(a)- ) Spiegeln von Februar bis Juli 2013 in dem Forschungsinstitut für Klinische Pharmakologie PARAXEL, Harrow, Middlesex, U.K. behandelt. Davon erhielten 16 nur eine einzige s.c. Injektion von ISIS-APO(a)RX in mehreren Dosen oder Plazebo: Es zeigte sich kein Effekt. Die anderen 31 Teilnehmer erhielten 6 Injektionen über vier Wochen, randomisiert zu 100, 200 oder 300 mg pro s.c. Injektion oder Plazebo. Hier fanden sich für die 3 Dosen hochsignifikante Lp(a)-Senkungen um etwa 40%, 60% und 80 %. Jetzt sollen weitere Studien folgen, insbesondere auch, wie die Autoren schreiben, um zu prüfen, ob dadurch das Risiko für eine koronare Herzkrankheit und eine kalzifizierende Aortenstenose bei erhöhtem Lp(a) reduziert werden kann.
In der 2. Studie (2) wurden von Forschern aus Kanada 2 Gruppen mit Triglycerid -Erhöhungen plazebokontrolliert untersucht: a.) Vorher unbehandelte Patienten (n=57) mit Triglyceriden zwischen 350 und 2000 mg/dl (im Mittel 581) Der mittlere Body Mass Index lag knapp unter 32 kg/m2) . Diese erhielten 1x wöchentlich den ApoC-3 – Hemmer (100, 200 und 300 mg) injiziert. Nach 13 Wochen sank der Apo-C3 – Spiegel um bis zu etwa 80% ab, der Triglycerid-Spiegel in der höchsten Dosis um etwa 70 %.
b.) Bei Patienten (n=20) bereits unter Fibraten mit Triglyceriden zwischen 225 und 2000 mg/dl (im Mittel 376) sank unter der Testsubstanz ApoC-3 ebenfalls in etwa gleichem Ausmaß wie bei den Patienten ohne Fibrate. Die Triglyceride fielen um 30 bis 70% ab.
Kommentar
Bei der Antisense-Technologie wird in wöchentlichen bis monatlichen Abständen ein Antisense-Oligonukleotid subkutan injiziert . Dies ist eine kurzkettige, synthetische, einzelsträngige Nukleinsäure, welche zu einer speziellen funktionalen mRNA entgegengesetzte Basenpaare enthält. Dadurch wird die Biosynthese von bestimmten Proteinen blockiert. In den USA ist seit Januar 2013 Mipomersen (Kynamro®, Genzyme), ein Antisense-Oligonukleotid, das die Produktion von Apolipoprotein B hemmt, zur Behandlung der homozygoten familiären Hypercholesterinämie zugelassen (3). Das Beratergremium der Europäischen Arzneibehörde hat es wegen seiner Nebenwirkungen hingegen abgelehnt, insbesondere wegen Leberfunktionsstörungen und kardiovaskulärer Ereignisse.
Während die Entwicklung eines Antisense-Oligonukleotids zur Diabetes-Therapie, wie kürzlich von ISIS Pharmaceuticals mitgeteilt, eine Verzögerung erfuhr, kommt man bei den neuen Fettstoffwechsel-Produkten dieser auf die Antisense-Technologie spezialisierten Firma gut voran.
Eine gezielte Lp(a)-Absenkung würde eine therapeutische Lücke schließen. Man schätzt, dass etwa 20% aller Menschen ein erhöhtes Lp(a) aufweisen. Die Frage einer Indikation zur Behandlung bleibt im individuellen Fall schwierig zu beurteilen (siehe Endokrinologisches Diskussionsforum im DGE-Blog vom 11. Juli 2015, Lit. 4). Wie im Editorial (5) von Stroes und van der Valk zur Lancet-Arbeit (1) betont wird, lagen die Lp(a)-Spiegel bei den Probanden zwar nur zwischen 78.4 und 152.3 nmol/L ( ~30-60 mg/dl). Daher könne man nicht beurteilen, wie effektiv die Testsubstanz in dem als besonders atherogen angesehenen Bereich zwischen 125 und 500 nmol/L ist. In jedem Fall würde sich mit diesem Antisense-Oligonukleotid erstmals die Möglichkeit eröffnen, den therapeutischen Nutzen einer Senkung des Lipoprotein(a) hinsichtlich kardiovaskulärer Endpunkte überzeugend zu untersuchen.
Die Ergebnisse der zwei Studiengruppen zur Triglyceridsenkung erscheinen insofern bedeutend, als bei trotz bisher bestmöglicher Therapie weiterhin erhöhten Triglyceriden das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und für Pankreatitis gesteigert bleibt. Besonders interessant an diesem therapeutischen Ansatz ist der Aspekt, dass die Aufnahme von atherogenen Remnants in die Leber durch Reduktion von ApoC-3 gesteigert werden kann (6). Auch hier könnte mit Hilfe des Antisense-Oligonukleotids die Frage nach dem Effekt einer Triglyceridsenkung durch Reduktion von ApoC-3 beantwortet werden.
An Nebenwirkungen der beiden neuen Antisense-Oligonukleotid-Behandlungen sind , im Unterschied zu den Daten mit Mipomersen, in dem bisher sehr kurzen Zeitraum nur Hautreaktionen an den Injektionsstellen beschrieben worden.
Helmut Schatz
Literatur
(1) S. Tsimikas et al.: Antisense therapy targeting apolipoprotein(a): a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 1 study.
Lancet published online 22 July 2015. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(15)61252-1
(2) D. Gaudet et al.: Antisense inhibition of apolipoprotein C-III in patients with hypertriglyceridemia.
New Engl J Med 2015. 357:438-447
(3) K.G. Parhofer: Mipomersen: evidence-based review of its potential in the treatment of homozygous and severe heterozygous familial hypercholesterolemia.
Core Evid 2012. 7:29-38
(4) Endokrinologisches Diskussionsforum: Lipoprotein(a)-Erhöhung bei prämenopausaler Frau ohne kardiovaskuläre Ereignisse: Statine ja oder nein?
Beitrag vom 11. Juli 2015
(5) E.S. Stroes, F.M. van der Valk: A sense of excitement for a specific Lp(a)-lowering therapy.
Lancet 2015. DOI:10.1016/S0140-6736(15)60638-9 (Editorial)
(6) E. Windler, R.J. Havel: Inhibitory effects of C apolipoproteins from rats and humans on the uptake of triglyceride-rich lipoproteins and their remnants by the perfused rat liver.
J Lipid Res 1985. 26:556-565.
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Sehr geehrte Herr Prof. Schatz,
dieser Bericht hat vielen Betroffenen Mut gemacht.
Vielen Dank.
MFG