Bochum, 24. September 2018:
Am 28. August 2018 wurde im DGE-Blog über die beiden Studien ARRIVE und ASCEND berichtet. In beiden Untersuchungsreihen ergab sich kein bzw. kein Gesamtnutzen von Aspirin zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse (1). Jetzt erschienen am 16. September online im New England Journal of Medicine drei Arbeiten über die ASPREE-Studie an ~20.000 Menschen in Australien und den USA ab dem 70. Lebensjahr ohne kardiovaskuläre Erkrankungen, Demenz oder körperliche Beeinträchtigung. Je ~10.000 Personen erhielten randomisiert 100 mg magensaftresistentes Aspirin oder Plazebo (2, 3, 4). Nach 4.7 Jahren wurde die Studie abgebrochen, da sich zeigte, dass eine Verlängerung auch keine anderen Resultate gebracht hätte, nämlich keinen Nutzen.
In der ersten Arbeit (2) wird berichtet, dass die Gesamtmortalität in der Aspirin-Gruppe nicht geringer, sondern numerisch sogar höher war, wenn auch nicht signifikant: 12.7 Ereignisse pro 1000 Personen-Jahre unter Aspirin, 11.1 Ereignisse unter Plazebo (Hazard Ratio (HR), 1.14;95%CI, 1.01-1.29) Krebs trug hauptsächlich zur unter Aspirin erhöhten Mortalität bei, es errechneten sich 1.6 Exzess-Todesfälle pro 1000 Patienten-Jahre: Unter Aspirin bei 3.1% der Teilnehmer, unter Plazebo waren es 2.3% (HR, 1.31; 95%CI, 1.10-1.56).
Für die zweite Arbeit (3) wurde der Effekt von Aspirin auf kardiovaskuläre (CV) Ereignisse und Blutungen berechnet. In 4.7 Jahren betrug die Rate an CV Ereignissen pro 1000 Personenjahre unter Aspirin 10.7, unter Plazebo 11.3 (HR 0.95; 95%CI 0.83-1.08). Ernste Blutungen: 8.6 vs. 6.2 (HR, 1.38; 95%CI, 1.18-1.62; p<0.001).
In der dritten Arbeit schließlich (4) wurde das behinderungsfreie (disability-free) Überleben überprüft und mit den ernsten Blutungsereignissen verglichen. Der primäre Komposit-Endpunkt setzte sich aus Tod, Demenz oder persistierender körperlicher Beeinträchtigung zusammen. Die Rate des Komposit-Endpunktes betrug 21.5 Ereignisse pro 1000 Personenjahre unter Aspirin und unter Plazebo 21.2 (HR, 1.01;95%CI, 0.92-1.11; p=0.79). Ernste Blutungen: Diese waren unter Aspirin höher als unter Plazebo (3.8% vs. 2.8%; HR 1.38; 95%CI, 1.18-1.62, p<0.001).
Kommentar
Die drei Studien ARRIVE, ASCEND und ASPREE haben wohl klar gezeigt, dass Aspirin – im Unterschied von einer Sekundärprävention – zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse und auch zur Prognoseverbesserung für ein behinderungsfreie Überleben gesunder Menschen über 70 Jahre keinen Platz mehr hat. Alle Studien zeigten, dass ernste Blutungsereignisse unter Aspirin vermehrt auftreten. Ob bzw. welche Bedeutung dem Resultat zukommt, dass unter Aspirin die Gesamtmortalität numerisch sogar etwas höher war als unter Plazebo, insbesondere die Krebsmortalität, was völlig unerwartet war, bleibt zu überprüfen. Da in die ASPREE-Studie nur Menschen ohne CV Risiken oder CV Vorgeschichte aufgenommen wurden, war im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung die Zahl an CV Todesfällen geringer, sodass die Krebsmortalität höher war; dies erklärt freilich nicht den Unterschied zwischen der Aspirin- und Plazebogruppe.
Stephan Achenbach, der Direktor der Kardiologischen Klinik der Erlanger Universität sagte im Gespräch mit Medscape Deutschland (5) in Bezug auf die ASPREE-Studie: „ Die Quintessenz der Studie ist, das Azetylsalizylsäure in der Primärprävention keinen Gesamtnutzen hat. Um zu sagen, dass es schädlich ist, reichen die Daten nicht aus“. Und des Weiteren: „Das grosszügige Verteilen von ASS zur Primärprävention, das muß jetzt vorbei sein, selbst bei Diabetikern und älteren Menschen“. Der Referentkann beiden Aussagen nur voll zustimmen, der abschließenden Aussage von Achenbach hingegen nur mit Einschränkungen . Er sagte: „Fasst man die Daten der letzten Zeit zusammen, glaube ich, dass Statine das ASS von morgen sein werden. Weil sie sich im Gegensatz zu ASS immer und immer wieder als sehr wirksam und nebenwirkungsarm herausstellen“ (5). Aus einem DGE-Blogbeitrag (6) über eine umfangreichen Studie (7) geht hervor, wie differenziert man gerade bei älteren, alten und sehr alten Menschen den Statin-Einsatz überdenken sollte.
Ob die drei Aspirin-Studien zu einem Rückgang der breiten Verschreibung von ASS, oder der Einnahme von Aspirin durch Menschen, die es sich aus dem Internet oder von sonstwo besorgen führen wird, bleibt abzuwarten. Wenn, dann wohl erst nach längerer bis langer Zeit.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Helmut Schatz: Aspirin zur kardiovaskulären Primärprophylaxe: Kein Nutzen, bei Diabetes durch vermehrte Blutungsereignisse aufgehoben.
DGE-Blogbeitrag vom 28. August 2018
(2) John J. McNeil et al.: Effect of aspirin on all-cause mortality in the healthy elderly.
New Engl. J. Med. online September 16, 2018. DOI: 10.1056/NEJMoa1803955
(3) John J. McNeil et al.: Effect of aspirin on cardiovascular events and bleeding in the healthy elderly.
New Engl. J. Med. online September 16, 2018. DOI: 10.1056/NEJMoa1805819
(4) John J. McNeal et al.: Effect of aspirin on disability-free survival in the healthy elderly.
New Engl. J. Med. online September 16, 2018. DOI: 10.1056/NEJMoa1800722
(5) Stephan Achenbach, in: Nadine Eckert: Abgesang für ASS: Auch bei Senioren nicht zur Primärprävention geeignet – überraschend sogar erhöhte Sterblichkeit.
https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4907280_print
(6) Helmut Schatz: Statine zur Primärprävention bei alten und sehr alten Menschen: Kein Nutzen wenn kein Diabetes vorliegt, wohl aber bei Diabetespatienten.
DGE-Blogbeitrag vom 14. September 2018
(7) L. Cabratosa et al.: Statins for primary prevention of cardiovascular events and mortality in old and very old adults with and without type 2 diabetes: retrospective cohort study.
British Medical Journal (BMJ), September 2018; 362:k3359
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ASS ins Trinkwasser? Dieser Ansatz sollte mit sich hiermit weiter ansammelnder Evidenz eines fehlenden Nutzens in der Primärprävention nun endgültig beiseite gelegt werden, wenngleich beispielsweise in den USA nicht nur Multivitamin Präparate sondern eben auch das „Herz ASS“ wie es auch gern genannt wird bei großen Teilen der Bevölkerung populär ist und häufig „freiwillig“ en masse gekauft wird. Während andere wirksame Medikamente wie beispielsweise Antihypertensiva gern die Toilette heruntergespült werden…Nur lange Aufklärungsgespräche können hier wirksam das Verhalten möglicherweise ändern.