Bochum, 29. August 2013
Vor 3 Tagen wurde die neue „Nationale VersorgungsLeitlinie zur Therapie des Typ-2-Diabetes“ verabschiedet. Danach soll zusätzlich zur Basistherapie mit Lebensstil-Änderungen – Ernährung und körperliche Bewegung – die medikamentöse Behandlung mit dem Biguanidpräparat Metformin begonnen werden. Der nächste Therapieschritt bei ungenügendem Erfolg mit Metformin stellt den Ärzten zwei Möglichkeiten zur Wahl: Nach statistischen Durchschnittsresultaten, also „evidenzbasiert“, oder individuell nach den Besonderheiten und Bedürfnissen des Patienten (1).
Diese neue Fassung stellt einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Auffassungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) einerseits und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) und der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) andererseits dar. DDG/DGIM empfehlen bei Unverträglichkeit / Kontraindikation bzw. ungenügender Wirkung von Metformin als 2. bzw. 3. Schritt eine andere bzw. Kombination mit einer zweiten Tablettenart oder injizierbaren Antidiabetika, alphabetisch aufgelistet. DEGAM/AkdÄ hingegen schlagen vor, evidenzbasiert Insulin oder Glibenclamid einzusetzen, lassen aber in der verabschiedeten Endfassung jetzt auch andere Möglichkeiten offen.
In der neuen VersorgungsLeitlinie findet sich folgender Passus: „Der Dissens spiegelt die Komplexität einer noch unzureichend untersuchten Krankheit und deren Behandlung wider…….Die Nationalen VersorgungsLeitlinien (sollen) nicht nur Einigkeit, sondern auch Divergenzen transparent formulieren….Dies hilft auch im nationalen Interesse der Politik, der Ärzteschaft, Kostenträgern und den betroffenen Patienten Problemfelder und Forschungsbedarf aufzuzeigen“ (1). Das gemeinsame Consensus Statement 2012 der Amerikanischen und der Europäischen Diabetesgesellschaft empfiehlt ebenso wie die DDG/DGIM individualisierte Therapiekonzepte und -ziele (2).
Kommentar
Nach langen Diskussionen wurde dieser vernünftige Kompromiss gefunden. Die Zeit der harten, „evidenzbasierten Medizin (EBM) für alle“ als Diktat ist wohl vorbei. Sie wurde, wie ihr Begründer David Sackett später einmal sagte, für wirtschaftliche Aspekte missbraucht („misused“) und von Einkäufern gekidnapt („hijacked by purchasers“) (3). Freilich sollen und müssen Therapieformen nach den Regeln der EBM auf Endpunkte (outcomes) und nicht nur auf Surrogatparameter geprüft werden. Bei der Multimorbidität vieler unserer Typ-2-Diabetespatienten gibt es aber wenig Evidenzen für Kombinationen von Antidiabetika. Somit muss die geplante Therapie in jedem Einzelfall vom Arzt mit seinem Patienten besprochen und gemeinsam mit ihm festgelegt werden.
Helmut Schatz
Bitte kommentieren Sie diesen Beitrag (nach unten scrollen!)
Literatur
(1) ÄZQ 2013. http://www.versorgungsleitlinien.de
(2) Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie: Paradigmenwechsel bei Leitlinie 2012 zur Behandlung des Typ-2-Diabetes.
Pressemitteilung von April 2012
(3) Helmut Schatz: Von David Sacketts „Evidence-based Medicine zu einer „Evidence-biased Medicine“?
Diabetes, Stoffwechsel und Herz 2007. 16:115-116
Neueste Kommentare