Die Leitlinien 2023 des American College of Physicians (ACP)
Bochum, 18. Januar 2023:
Am 3. Januar 2023 erschienen in den Annals of Internal Medicine eine Review (1), die aktualisierten Leitlinien zur Osteoposose-Behandlung des ACP mit Thomas G. Cooney als Senior Autor (2) und ein Editorial von Susan M. Ott (3) . Seit den letzten ACP-Leitlinien zu diesem Thema 2017 sind fünf Jahre vergangen und es hätte sich inzwischen viel getan. Neue Medikamente seien auf den Markt gekommen und mit den alten lägen nun Daten über längere Zeiträume vor.
Für die Systematische Übersicht (1) wurden 34 randomisierte kontrollierte Studien (RCT´s) und 36 Observationsstudien evaluiert, welche auch die Behandlungsergebnisse von Männern mit Osteoporose einschlossen. In den überprüften Studien wurden folgende Medikamente eingesetzt:
1. Antiresorptiva: Vier Bisphosphonate (Alendronat, Risedronat, Ibandronat, Zoledronat) und ein Hemmer des RANK-Liganden (Denusomab)
2. Anabolika: Ein Analog des menschlichen Parathormon-related Peptide (PTHrP), ein rekombinates humanes PTH-Fragment (Teriparatid) und der Sklerostin-Hemmer Romosozumab
3. Selektive Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERMs): Raloxifen, Bazedoxifen.
Das Hauptaugenmerk lag auf der Wirksamkeit und den unerwünschten Nebenwirkungen der aktiven Medikamente im Vergleich zu Plazebo oder Bisphosphonaten.
Die wichtigste Änderung gegenüber der 2017-Leitlinie des ACP ist, dass sie jetzt eine Hierarchie der Empfehlungen enthält. Der Senior-Autor Cooney fasste prägnant zusammen: „Zuerst Bisphosphonate, dann Denusomab“(2) . Es sagte, Bisphosphonate würden bei postmenopausalen Frauen das beste Verhältnis von Langzeit-Nutzen und unerwünschten Nebenwirkungen aufweisen, überdies seien sie, da generisch erhältlich, viel billiger als Denusomab und andere Pharmaka. Denusomab wurde als Zweilinienmedikament eingestuft, wenn ein Patient Kontraindikationen zu Bisphosphonaten oder schlechte Erfahrungen damit hatte. Neu in der 2023-Leitlinie findet sich der Hinweis, dass, wenn auch erst begrenzte Erfahrungen vorliegen, der Sklerostin-Hemmer Romosozumab (mittelstarke Evidenz) oder Teriparatid (niedrige Evidenz) zur Frakturverminderung bei Frauen mit primärer Osteoporose mit sehr hohem Frakturrisiko (initial) gegeben werden können, gefolgt von Antiresorptiva .
In der neuen Leitlinie wird auch festgehalten, dass die Behandlung bei Männern zur Reduktion ihres (allgemeine) Frakturrisikos führt und nicht nur ihres Risikos von Wirbelbrüchen. Auch Denusomab könne jetzt als Therapie der 2. Wahl bei Männern eingesetzt werden, wenn auch die Evidenz dafür niedrig ist.
Der Einsatz von Östrogenen wurde in der 2023-Guideline nicht angesprochen, ebenso wenig die Therapiedauer und auch nicht die erforderlichen Knochendichtemessungen.
Im ihrem Editorial (3) schreibt Susan M. Ott unter anderem, dass bei Patienten mit schwerer Osteoporose die Behandlung mit anabolen Substanzen beginnen sollte, da eine vorausgegangene Therapie mit Bisphosphonaten oder Denusomab die anabole Wirkung der neueren Osteoanabolika verhindern würde. Bei sehr hohem Frakturrisiko solle man eine osteoanabole Therapie für 1 bis 2 Jahre geben, bei mittlerem Risiko Bisphosphonate bis zu 5 Jahren, dann stoppen und den Patienten überwachen.
Deutlich spricht sich Ott gegen Denusomab als Zweitlinientherapie bei Osteoporose aus. Sie würde es nur bei Krebs oder ungewöhnlich hoher Knochenresorption geben. Denusomab sei eine schlechte Wahl, wenn jemand keine Bisphosphonate nehmen will, meint sie (4). Denusomab muss man exakt alle 6 Monate applizieren. Wenn man diese Behandlung stoppt, sind Bisphosphonate zu verabreichen (siehe 5). Im Blogbeitrag vom 12. Februar 2017 hat der Referent (H.S.) nach Berichten aus der Schweiz erstmals in Deutschland auf die multiplen Wirbelbrüche nach Absetzten von Denusomab hingewiesen. In den Kommentaren zu diesem Blog meldeten sich viele Patientinnen, die multiple Wirbelfrakturen erlitten hatten und sich beklagten, dass ihre Ärzte davon nichts gewusst hätten (6).
In den ACP-Leitlinien 2023 werden noch weiteren Punkte erwähnt, so etwa die Kiefernekrosen bei Bisphosphonaten und auch Denusomab, oder das Vorgehen bei Osteopenie. Betont wurde die Bedeutung des Lebensstils wie Bewegung und Sturzprophylaxe sowie Kalzium und Vitamin D. Das dem Referenten am Wichtigsten erscheinende wurde in diesem Beitrag berichtet.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Chelsea Ayers, Devan Kansagara, Brittany Lazur, et al. Effectiveness and Safety of Treatments to Prevent Fractures in People With Low Bone Mass or Primary Osteoporosis: A Living Systematic Review and Network Meta-analysis for the American College of Physicians.
Ann Intern Med. [Epub 3 January 2023]. doi:10.7326/M22-0684
(2) Amir Qaseem, Lauri A. Hicks, Itziar Etxeandia-Ikobaltzeta, et al; Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians. Pharmacologic Treatment of Primary Osteoporosis or Low Bone Mass to Prevent Fractures in Adults: A Living Clinical Guideline From the American College of Physicians.
Ann Intern Med. [Epub 3 January 2023]. doi:10.7326/M22-1034
(3) Susan M. Ott, Editorial: Osteoporosis Treatment: Not Easy.
Ann Intern Med. [Epub 3 January 2023]. doi:10.7326/M22-3580
(4) Marlene Busko: New Osteoporosis Guideline Says Start With a Bisphosphonate.
Medscape US, Jan 03, 2023
(5) Helmut Schatz: Knochenverlust nach Absetzen von Denusomab (Prolia®) zur Osteoporosetherapie durch Zoledronsäure nicht völlig zu verhindern.
DGE-Blogbeitrag vom 3. Juli 2020
(6) Helmut Schatz: Prolia® (Denusomab): Rebound-Effekt mit multiplen Wirbelbrüchen nach Absetzen der Therapie
DGE-Blogbeitrag vom 12. Februar 2017
Die Meinung von Ott in Hinsicht auf Denosumab wird jedoch nicht allgemein geteilt. Denosumab ist in seiner Effektivität (Frakturrisikosenkung) dem intravenösen Bisphosponat Zoledronat gleichwertig (GBA-Bericht). Denosumab hat jedoch den Vorteil, auch bei eingeschränkter Nierenfunktion noch eingesetzt werden zu können. Auch bei Patienten mit schlechten Venenverhältnissen ist die subcutane Gabe von Denosumab vorteilhaft. Weiterhin treten bei Denosumab keine Postinfusions-Nebenwirkungen auf. Denosumab kann längerfristig eingesetzt werden, es besteht keine Notwendigkeit von Therapiepausen. Sollte Denosumab dennoch beendet werden müssen, kann durch eine anschließende Bisphosphonatgabe das rebound-Phänomen und das erhöhte Frakturrisiko weitgehend vermieden werden (Burckhardt et al. JBMR 2021;36:1717).