Bochum, 2. Oktober 2021:
Am 30. September 2021 wurde im New England Journal of Medicine eine Untersuchung an älteren japanischen Hochdruckpatienten publiziert, die ein strengeres Blutdruckziel mit der aktuellen japanischen Standardeinstellung verglich. Unter den tieferen Blutdruckwerten traten signifikant weniger kardiovaskuläre Ereignisse auf (1).
In einer randomisierten kontrollierten Multicenterstudie wurden 60-80-jährige chinesische Hochdruck-Patienten über im Median 3.34 Jahre verfolgt. Von ~10.000 gescreenten Patienten wurden ~8.500 in die Studie aufgenommen. Randomisiert behandelte man je ~4200 entweder intensiviert mit einem systolischen Zielwert von 110- <130 mm Hg oder standardmäßig mit dem Ziel von 130- <150 mm Hg
Der erreichte systolische Blutdruck lag nach 1 Jahr in der intensiven Gruppe im Mittel bei 127.5 mm Hg und bei 135.3 mm Hg in der Standardgruppe. Der primäre Komposit-Endpunkt bestand aus ischämischem oder hämorrhagischem Schlaganfall, akutem Koronarsyndrom (Herzinfarkt oder Hospitalisation wegen instabilter Angina) akut dekompensierter Herzinsuffizienz Koronarrevaskularisation, Vorhofflimmern oder kardiovaskulärem Tod. Dieser Endpunkt trat in der Beobachtungszeit in der Intensivgruppe bei 147 Patienten (3.5%), bei der Standardgruppe bei 196 (4.6%) auf (Hazard Ratio, 0.74; 95% CI, 0.60-0.92; p=0.007). Für die einzelnen Komponenten fanden sich ebenfalls signifikante Unterschiede. Die Sicherheitsdaten und die Nierenfunktion waren hingegen nicht signifikant unterschiedlich ausser der Inzidenz für Hypotonien, die in der Intensivgruppe höher war (siehe Abbildung).
Abbildung aus Lit. 1:
Cumulative Incidence for the Primary Outcome. The primary outcome was a composite of stroke, acute coronary syndrome, acute decompensated heart failure, coronary revascularization, atrial fibrillation, or death from cardiovascular causes. The inset shows the same data on an enlarged y axis.
Kommentar
Ob diese Daten auch außerhalb Japans bei ethnisch unterschiedlichen Populationen wie etwa Kaukasiern, mit anderen Lebensumständen (Ernährung, Bewegung etc.) von Bedeutung sind, wurde schon auf dem Europäischen Herzkongress 2021, wo die Studie vorgetragen wurde, und auch in der Folgezeit lebhaft, teils auch kontrovers diskutiert. Die japanischen Resultate liegen auf der Linie der Sprint-Studie (vgl. 2). Insgesamt wurde durch diese Studie das Ziel für den systolischen Blutdruck in verschiedenen Leitlinien in unterschiedlichem Ausmaß etwas abgesenkt. Bryan Williams vom University College of London, einer der Vorsitzenden der Kommission für die Europäische Hochdruckleitlinien empfahl ein pragmtischen Herangehen und individualisierte Zielwerte gerade bei älteren Patienten, bei denen offenbar die Heterogenität zunimmt. Er empfahl, bei >65-Jährigen, einen Blutdruck zunächst von <140/80 anzustreben, wenn auch solche Werte oft kaum erreichbar sind. Ist dies aber der Fall, könne man den Blutdruck weiter unter 130 systolisch senken, wenn die Patienten nicht gebrechlich oder multimorbide sind. Die Verträglichkeit der Hochdruckmedikamente sei ebenfalls ein auch für die Compliance wichtiger Faktor.
Insgesamt meint der Referent (H.S.) aus Erfahrung in der eigenen Praxis, dass ein derartiges “personalisiertes“ Herangehen sinnvoll und praxisnäher als ein starres Festhalten an in Leitlinien vorgegebenen Zielwerten.
Helmut Schatz
Literatur
1. Weili Zhang et al. für die STEP Study Group: Trial of Intensive Blood-Pressure Control in Older Patients with Hypertension.
New Engl J Med Sept 30, 2021. 385:1268-1279. DOI: 10.1056/NEJMoa2111437
2. Helmut Schatz: SPRINT-Studie mit Blutdruckziel <120 mm Hg systolisch heftig kritisiert.
DGE-Blogbeitrag vom 9. September 2016
Der Unterschied von 1.1 % mag bei 8000 Patienten zwar statistisch signifikant sein, ist aber minimal. Noch dazu mit mehr Hypotonien. Also so tiefe Werte anstreben, aber keinesfalls zu erzwingen versuchen.