Bochum, 16. September 2017:
Auf dem 30. Kongress des ECNP – Neuroscience Applied (European College of Neuropsychopharmacology) in Paris berichteten am 5. September 2017 Anita Clayton, Universität von Virginia in Charlottsville und Mitarbeiter über eine Besserung der Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD, sexuelle Hypoaktivität, hypoaktive Sexualtriebsstörung) bei prämenopausealen Frauen durch Bremlanotid, einen Melanocortinrezeptor-Agonisten (1,2).
In einer der beiden doppelblinden, plazebokontrollierten Phase III- Studien (RECONNECT) injizierten sich vor geplanter sexueller Aktivität etwa 800 prämenopausale Frauen ab dem 21. Lebensjahr entweder 1.75 mg Bremlanotid (Palatin Techologies) oder Plazebo s.c. mit einem Autoinjektor. Primäre Endpunkte waren der Female Sexual Function Index – Desire Domain (FSFI – D) und Frage 13 der Sexual Distress Scale – Desire/Arousal/Orgasm (FSDS – DAO). Studiendauer 4-12 Wochen.
Ergebnis: Bremlanotid erhöhte das sexuelle Verlangen (den Score des FSFI – D ; p<0.0001) und senkte den Wert auf der sexuellen Distress-Scale (FSDS – DAO, Frage 13; p=0.0007) . Es ergaben sich keine Sicherheitsbedenken.
Kommentar
Die Melanocortine sind eine Familie multifunktionaler peptiderger Hormone, aus der zwei Analoge (Melanotan I und II, MT-I und MT-II) patentiert und klinisch getestet wurden. MT-I wurde zur Hautbräunung überprüft, MT-II zur Diagnose und Behandlung der männlichen erektilen Dysfunktion. Die Wirkung auf die Sexualfunktion entdeckte man zufällig, also ebenso wie wie bei Sildenafil (Viagra®), bei der Anwendung von MT-I als Bräunungsmittel. Ein neues MT-II-Analog, PT-141, wurde von der Firma Palatin Technologies in Phase I und II untersucht, geplant zur Verbesserung der Sexualfunktion sowohl bei Männern als auch bei Frauen (3). Jetzt wurde in Paris über Phase III-Resultate mit PT-141 bei prämenopausalen Frauen berichtet. Bremlanotid wirkt nicht peripher über die Durchblutung wie Viagra, sondern greift zentral in das Zusammenwirken hemmender und erregender Signale ein. Auch das im August 2015 von der FDA für Frauen vor dem Wechsel zugelassene Flibanserin (Handelsname Addyi™), salopp als „Pink Viagra“ oder auch „Viagra für die Frau“ genannt, wirkt zentral über Serotonin- und Dopaminrezeptoren im Gehirn (4). Mit Flibanserin besteht die Gefahr von Blutdruckabfällen und Synkopen, Alkoholkonsum ist eine Kontraindikation.
Ob bzw. in welchem Ausmass sich bei breiterer und längerer Anwendung von Bremlanotid auch unerwünschte bzw. gefährliche Nebenwirkungen ergeben, muss sorgfältig geprüft werden. Im Internet findet man dennoch schon heute zahlreiche Anbieter bzw. Bezugsquellen für Bremlanotid zur Anwendung Frauen und Männern.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Anita Clayton et al.: Präsentation auf dem 30. ECNP- Kongress in Paris, 5. September 2017
(2) ClinicalTrials,gov: Bremlanotide in premenopausal women with female sexual arousal disorder and/or hypoactive sexual desire disorder.
https://clinicaltrials.gov/ct/show/NCT01382719
(3) Mac E. Hadley, Robert T. Dorr: Melanocortin peptide therapeutics: Historical milestones, clinical studies and commercialisation.
Peptides, April 2006. 27:921-930
(4) Helmut Schatz: Flibanserin, ‚Viagra für die Frau‘, von FDA-Gremien zur Zulassung empfohlen.
DGE-Blogbeitrag vom 5. Juni 2015
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