Bochum, zum Jahreswechsel 2019/2020
In den letzten Jahren wurde angesichts der Migrantenströme in Europa oft und manchmal recht kontrovers über ein „christliches Abendland“ diskutiert. Die stärkste politische Partei in der derzeitigen Bundesregierung bezeichnet sich als „christliche“ Partei (CDU). Wie christlich ist aber Europa wirklich? Zweifelsohne ist die Kultur weitgehend christlich geprägt. Die Akzeptanz christlicher Glaubenssätze und ein praktiziertes Christentum haben in den letzten Jahren jedoch stark abgenommen. Die Anziehungskraft der Kirchen geht ständig zurück. Als die neuen „Dome der Deutschen“ kann man die Fußballstadien ansehen, in die heute große Teile der Bevölkerung jedes Wochenende strömen (siehe den DGE-Blog vom 25. Februar 2019, Lit. 1). Und in der „Hohen Kathedrale“, dem Dortmunder Fussballmuseum wird ein Ball einer Hostie gleich angestrahlt, ja angebetet, und man sieht eine der neuen „Reliquien“, den echt vergoldeten Fußballschuh vom linken Schussbein des Helmut Rahn, mit dem er das entscheidende Tor zum 3:2-Sieg über Ungarn bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern geschossen hat (1).
Wie aber steht es mit dem Glauben an Gott in den unseren Ländern? In der Zeitschrift „Academia“ von Dezember 2019 (2) findet sich ein Artikel von Wilhelm Ortmayr mit dem Titel „Christlich – aber ohne Tiefgang“. In diesem werden die „immer größer werdenden Löcher zwischen gelebtem Bekenntnis, diffusem Gottglauben und sozio-kulturellen Abwehrhaltungen“ in Österreich angesprochen. Hoch interessant ist die dort abgedruckte Tabelle über den Glauben an Gott in 34 europäischen Ländern, erstellt vom GALLUP-Institut (2). An der Spitze einer an Gott glaubenden Bevölkerung, differenziert ausgewertet als „mit hoher“ oder „mit geringerer Gewißheit“, stehen zwei kaukasische Länder an der Grenze von Europa zu Asien: Georgien mit 99% und Armenien mit 95% Gläubigen, gefolgt von Moldavien (95%) und Rumänien (95%) sowie drei weiteren orthodoxen Ländern. Armenien ist bekanntlich das erste Land der Welt, in welchem von König Trdat III. im Jahre 301 (oder 314?) das Christentum als offizielle Staatsreligion eingeführt wurde. Erst auf Position 8 und 9 der Liste tauchen katholische Länder auf, Kroatien und Polen (beide mit 86%). Portugal: 83%, Italien: 73%. Österreich findet sich auf Position 20 (67%), Deutschland auf Position 23 (60%). Vorwiegend protestantische Länder weisen folgenden Prozentsätze auf: Dänemark 51%, Norwegen 49%, Niederlande 44% und als vorletztem Land Schweden mit 36%. Am Tabellenende auf Position 34 befindet sich Tschechien (29%).
Im Anschluss an die Tabelle des GALLUP-Instituts wird auf Details der Glaubenspraxis in Österreich eingegangen. Im Hinblick auf die wachsende Zahl von Muslimen im Lande kommentiert Josef Höchtl, 1975-1999 Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat (in Deutschland = Bundestag) den Artikel von Wilhelm Ortmayr: „Wer in unserem Staat leben will, muss sich an unsere Gesetze halten und nicht an irgendwelche anderen Rechtssysteme. Da gibt es keinen Diskussionsbedarf, sondern nur Handlungsbedarf“ (3). Er weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass mit der Zunahme von Menschern mit anderen Religionen als dem Christentum der Wandel nicht nur in einer Richtung erfolgen könne. Auch die (katholische) Kirche müsse sich wandeln. Er spricht von der „Chance einer Trendumkehr“ (3). Auf die Problematik der unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse und des sozioreligiösen Verhaltens insbesondere des Islams bei der Integration der (süd-)osteuropäischen Länder der Europäischen Union gehen Erhard Busek und Emil Brix in ihrem Buch „Mitteleuropa revisited“ (4) ein, das auch im DGE-Blog vom 18. Juni 2018 besprochen wurde (5): Sie schreiben: „Es ist eine Arroganz des Westens, von Menschen anderer Ländern zu verlangen, sie müssten sich einer – wie immer gearteten – Leitkultur unterwerfen“. Vom ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff stammt der viel diskutierte Satz. „Der Islam gehört zu Deutschland“. Ob oder wie eine Integration insbesondere die des Islams in die immer noch christlich geprägte abendländische (Leit-?) Kultur aussehen soll, wird die Zukunft zeigen müssen.
Zum Anbruch eines Neuen Jahres kann und soll man viel erwarten. Vielleicht gibt es auch einen Fortschritt auf dem Gebiet der Integration, oder zumindest eines friedlichen Miteinander der Religionen.
Ein Prosit Neujahr!
Helmut Schatz
Literatur
(1) Helmut Schatz: Der „Hohe Dom“ der Deutschen – Schräge Gedanken über die „Kathedrale des Deutschen Fußballs“.
DGE-Blogbeitrag zu Weiberfastnacht 2019
(2) Wilhelm Ortmayr: Christlich – aber ohne Tiefgang.
Academia – Politik, Wirtschaft, Religion, Kultur. Österreichischer Cartellverband 06/2019 (Dezember), pp. 4-7
(3) Josef Höchtl: Kommentar.
Academia – Politik, Wirtschaft, Religion, Kultur. Österreichischer Cartellverband 06/2019 (Dezember) p. 7
(4) Emil Brix, Erhard Busek: Mitteleuropa revisited.
Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2018
(5) Helmut Schatz: Die Programme der Europäischen Union (EU) zur Wissenschaflich-kulturellen Integration: Die Diabetologie als Vorreiter.
DGE-Blogbeitrag vom 18. Juni 2019
Papst Franziskus äußerte sich, wie den Medien zu entnehmen war, im Dezember 2019 zu diesem Thema: „ Wir haben keine christliche Leitkultur, es gibt keine mehr. Wir sind heute nicht mehr die Einzigen, die Kultur prägen, und wir sind weder die ersten noch die, denen am meisten Gehör geschenkt wird…..Der Glaube, vor allem in Europa, aber auch im Großteil des Westens, stellt keine selbstverständliche Voraussetzung des allgemeinen Lebens mehr dar“.