Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Industrialisierung der Medizin – ein gefährlicher Weg für die Patientenversorgung. Das 3-Länder-Manifest.


München, 4. Februar 2020:

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und der Bund Deutscher Internisten (BDI) haben sich schon länger zur Aufgabe gemacht gemeinsam der Ärzteschaft in der Auseinandersetzung mit dem zunehmenden ökonomischen Druck im Krankenhaus, aber auch im niedergelassenen Bereich mit dem Klinik-/Ärzte Codex den Rücken zu stärken. Der Codex (dgim.de/aerzte-codex) hat seit 2017 eine große Verbreitung und Anerkennung erfahren.

In Fortführung dieses Vorhabens wurde im November 2019 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift 2019; 144: e145 – e152 mit gedruckter Kurzfassung das „3-Länder-Manifest“ publiziert: Zeitenwende in der Medizin-Patientenversorgung auf dem gefährlichen Weg in die Ökonomisierung und Industrialisierung. Zehn Forderungen sollen den Diskurs nicht nur in den Care-Berufen, sondern auch im politischen Umfeld und der Bevölkerung anregen. Als Manifest soll es die Zeit von Bekenntnissen und Appellen überwinden und eine Zeit wirksamen Handelns einläuten. Gerade die junge Ärztegeneration ist zunehmend unzufrieden, überlastet und burn out-gefährdet, der Fachkräftemangel im Care-Sektor ist erschreckend.

Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (1-4) gehen kritisch im Einzelnen auf folgende Punkte ein:

– Wie können bestehende Hindernisse gegenüber einer am Patientenwohl orientierten Medizin ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung überwunden werden ?

– Die Ärzteschaft hat dabei die Pflicht auf Missstände und Fehlentwicklungen hinzuweisen  und selbst in Vorbildfunktion zu praktizieren.

– Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten ist Grundbedingung für jede Patientenbehandlung und muss geschützt werden.

– Medizinisches Handeln hat Vorrang vor erwerbswirtschaftlichen Zielen. Oberstes Gebot ist das Patientenwohl.

– Der Arzt ist Anwalt seines Patienten, benötigt jedoch qualifizierte betriebswirtschaftliche, organisatorische und IT-erfahrene Unterstützung durch Fachleute mit bedarfswirtschaftlicher Zielsetzung.

– Der Staat ist verpflichtet, die persönliche Arzt-Patienten-Beziehung zu unterstützen und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Ein Rückzug lediglich auf die Festsetzung von ökonomischen Vorgaben im Gesundheitswesen ist abzulehnen,

– Es muss gewährleistet bleiben, dass Ärztinnen und Ärzte eine freie Entscheidung im Sinne und zu Gunsten der Patienten treffen können.

– Der Technologieeinsatz darf nur als Hilfsmittel benutzt werden.

– Fachliche und außermedizinische Interessenkonflikte der klinisch tätigen Ärzteschaft müssen offen gelegt werden. Dies gilt auch für die Preisgestaltung von Medikamenten und technischem Gerät. Das neoliberale Marktmodell ist für den Gesundheitssektor mit einer Finanzierung durch die Solidargemeinschaft ungeeignet.

– Gesundheitsbezogene Datensammlungen müssen in der Souverenität des Patienten bleiben. -Dessen informationelles Selbstbestimmungsrecht ist zu bewahren.

– Die ärztliche Schweigepflicht darf nicht durch lückenhafte oder unvollständige Datenschutzbestimmungen ausgehöhlt und untergraben werden.

– Die Würde des Menschen ist stets und besonders im Erkrankungsfall unantastbar.

– Menschenrechte gelten für alle Menschen, auch für das medizinische Personal und besonders schutzbedürftige Personengruppen ( u.a. Geflüchtete, Pflegebedürftige, behinderte Menschen).

Klaus Mann, Duisburg-Essen und München

 

1.) K. Mann, Em. Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel   Universität Duisburg-Essen und Endokrinologiezentrum Alter Hof, München

2.) T. Kapitza, Sachverständiger für Medizinökonomie, Germering

3.) R. Likar, Past-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie. Abteilung für Anästhesiologie, Allgemeine Intensivmedizin, Notfallmedizin, Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, Lehrstuhl für Palliativmedizin SFU Wien, Mitautor des ÖGARI-Manifests für eine menschliche Medizin: „Der Patient ist kein Kunde, das Spital kein Wirtschaftsbetrieb“.

4.) B. Egger, Chir. Chefarzt Hopital Cantonal, Fribourg,  Autor des „Schweizer Eids“ der Ärzte, einer Weiterführung des „Ärzte-Gelöbnisses 2017“ (= Aktualisierung des „Genfer Gelöbnisses“ der WHO von 1948), siehe DGE-Blogbeitrag vom 24. Oktober 2017.

Anmerkung des Blogverantwortlichen H.S.:

Mein kollegialer Freund Klaus Mann mailte mir als Resonanz auf den  Blogbeitrag vom 3.1.2020 über die horrenden Insulinpreise und die bereits erfolgten Todesfälle ärmerer Typ-1-Diabetespatienten, die sich diese bis in mehrere hundert Dollar pro Monat gehenden Preise nicht mehr leisten konnten und weniger oder gar kein Insulin mehr spritzten, das „3-Länder-Manifest“ zu „Medizin vor Ökonomie“ und weitere Themen zum ärztlichen Handeln zu. Auf meine Bitte hin verfasste er dankenswerterweise den obenstehenden Beitrag. Möge er Beherzigung finden. Jeder von uns kann und muss in seinem Umfeld in diesem Sinne tätig werden.

Posted on by Prof. Klaus Mann
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One Response to Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Industrialisierung der Medizin – ein gefährlicher Weg für die Patientenversorgung. Das 3-Länder-Manifest.

  1. Prof. Martin Reincke says:

    Lieber Helmut, lieber Klaus,

    danke für diesen wichtigen Blog und die Publikation in der DMW, der hoffentlich aufrüttelt. Ökonomisierung der Medizin und Lobbyismus im Gesundheitswesen führen zu Fehlanreizen bei der Diagnostik und Therapie, erodieren das Patientenvertrauen und reiben die Ärzteschaft auf. Ich sorge mich sehr um die jungen Ärzte, die auf diesen täglichen Wahnsinn verständlicherweise wenig Lust haben, und an den wir ‚Gestandenen‘ uns viel zu sehr gewöhnt zu haben scheinen.
    Mit freundlichen Grüßen Martin Reincke

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