Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Das Ende der Vorlesungen an den Medizinischen Fakultäten?


ENDOKRINOLOGISCHES DISKUSIONSFORUM

Graz, 26. August 2017:

„Become a doctor, no lectures required” – so steht es als Titel über der Schilderung der neuen Form der Ärzteausbildung an der Universität von Vermont, USA (1). Diese führte zu heftigen Kontroversen in den USA und in weiteren Ländern. Die traditionellen, auf Vorlesungen basierten Unterrichtsformen einschliesslich der Kurse änderten sich freilich schon seit längerem. Mit der Einführung des problemorientierten Lernens begann eine neue Ära. Das vorlesungsbasierte wurde durch ein Team-basiertes Lernen ersetzt. Man integrierte die klinische Medizin mit den Grundlagenwissenschaften. Soll man aber auf Vorlesungen vollständig verzichten?

Problemorientierter Unterricht findet an deutschen und österreichischen Universitäten schon seit Jahren statt. An der Ruhr-Universität Bochum wurde bei der Einführung doppelgleisig gefahren, es wurde parallel in der traditionellen und der neuen Form unterrichtet. Derzeit existiert noch kein evidenzbasierter Nachweis der Überlegenheit der neuen ärztlichen Ausbildungsform.
Wie ist Ihre Meinung und wie sind Ihre Erfahrungen mit dem problemorientierten Lernen? Soll man wirklich bei der Ärzteausbildung auf Vorlesungen völlig verzichten?

Helmut Schatz

Literatur

(1) R.M. Schwartzstein, D.H. Roberts: Saying Goodbye to Lectures in Medical School – Paradigm Shift or Passing Fad?
N.Engl.J.Med. 2017; 377:605-607. August 17, 2017. DOI: 10.1056/NEJMp1706474

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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3 Antworten auf Das Ende der Vorlesungen an den Medizinischen Fakultäten?

  1. Ralf Schmidmaier sagt:

    Jeder von uns war schon in einer Lesung (und natürlich auch in einer Vorlesung im Studium): wenn charismatisch und engagiert gelesen wird, wenn die Zuhörer motiviert sind und entsprechendes Vorwissen besitzen, an das sie anknüpfen können, dann ist die klassische (Vor-)lesung eine taugliche und vor allem ökonomische (1 Lehrer, mehrere Hundert Hörer) Unterrichtsform. Insbesondere dann, wenn der Hörer so begeistert wurde, dass er motiviert ist, sich im Anschluss nochmals im Eigenstudium mit den Inhalten auseinander zu setzen. Das Verhältnis von Eigenstudium zu Präsenzunterricht sollte idealerweise >2 betragen! Tatsächlich treffen viele der genannten Bedingungen im universitären Alltag nicht zu und daher gibt es immer mehr wissenschaftliche Belege für die Unwirksamkeit dieser Lehrmethode. Insbesondere wenn man sich vor Augen hält, dass wir nicht nur Lehrbuchwissen vorlesen wollen, sondern handlungskompetente Ärzte ausbilden wollen.
    Tatsache: es gibt auch keine guten wissenschaftlichen Belege für die Überlegenheit von POL. Dies hängt aber mit den Messinstrumenten zusammen. Egal welche Unterrichtsformen die Studierenden an den verschiedenen Fakultäten genießen, nach 100 Tage Multiple-Choice-Übung erlangen alle die gleiche Ankreuzkompetenz im IMPP-Test. Valide Untersuchungen zur Frage, wie die Absolventen an ihrem ersten Weiterbildungstag zurecht kommen und wie sich Karriereverläufe unterscheiden oder gar Raten von Diagnose-/Behandlungsfehlern – wir würden es in der klinischen Medizin harte Endpunkte nennen – gibt es nicht. Die Umstellung an der eigenen Fakultät (LMU München) vom klassischen fächergeordneten Vorlesungskonzept auf ein interdisziplinäres Hybridcurriculum (an Lernziel angepasste Lehrformen) hat bei mir und vielen Kollegen schon zur Einschätzung geführt, dass die Weiterbildungsassistenten an ihrem ersten Tag kompetenter sind als früher (und wahrscheinlich auch als wir es selbst waren). Bezüglich des weiteren „Outcomes“ für Arzt und Patient schließt sich ja dann als weiterer „Confounder“ die Weiterbildung an, deren Qualität und Qualitätssicherung in Deutschland auch mal offen und ehrlich diskutiert werden sollte. Hier schließt sich vielleicht der Kreis zu den Möglichkeiten und Aufgaben der Fachgesellschaften! All dies erklärt die geringe Effektstärke der veränderten Unterrichtsform im Medizinstudium in Bezug auf harte Outcomes, sollte uns aber nicht daran hindern, die Unterrichtsmethoden klug und – wenn vorhanden – evidenzbasiert einzusetzen.

  2. Natürlich ist der Übergang zum problemorientierten Lernen ein großer Fortschritt. Es gibt auch einige, wenn auch noch begrenzte Evidenz dafür. Deshalb aber ganz auf die Vorlesungen zu verzichten, halte ich für übertrieben. Vielleicht ist es ja einfach billiger, den Präsenzunterricht durch Telelearning zu ersetzen.

  3. Helmut Schatz sagt:

    In Nordrhein-Westfalen will die neue Landesregierung die Anwesenheitspflicht an Hochschulen wieder einführen. In der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung erschien am 10. Oktober 2017 ein Artikel darüber samt Kommentar von Christopher Onkelbach. Er befürwortet bei Vorlesungen zwar weiter keine Anwesenheitspflicht, wohl hingegen bei Seminaren und Praktika. Die Professoren waren laut Zeitungsbericht bei der Abschaffung der Anwesenheitspflicht im Jahre 2014 „höchst empört“ gewesen und hätten ihre Arbeit „entwertet“ gesehen. Die Studenten wiederum meinten, die Vorträge seien „oft lieblos“, und die „Dozenten zeigten immer wieder dieselben Foliensätze oder läsen nur aus Büchern vor“. Sie meinten, wäre die Lehre attraktiv, wären die Hörsäle auch bei einer Lösung auf freiwilliger Basis bis auf den letzten Stuhl besetzt.

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