Europäischer Diabeteskongress, Lissabon, 11.-15. September 2017, Teil II
Bochum, 20. September 2017:
Im LANCET Diabetes & Endocrinology wurden online, zeitgleich zur Präsentation auf dem EASD 2017-Kongress, von Paresh Dandona et al. (Mitautor auch unser DGE-Mitglied Diethelm Tschöpe) positive Ergebnisse von DEPICT-1, einer Phase III-Studie mit zusätzlicher Gabe des SGLT2-Hemmer Dapagliflozin (Forxiga®) bei etwa 800 Typ-1-Diabetespatienten berichtet, die mit Insulin ungenügend eingestellt waren (1). Die dreiarmige Studie war doppelblind mit 5 und 10 mg Dapagliflozin sowie Plazebo angelegt. Sie lief über 24 Wochen. Das primäre Outcome, der HbA1c-Wert, wurde durch Dapagliflozin 5 mg und 10 mg gegenüber Plazebo um -0.42% und -0.45% signifikant abgesenkt. Sekundäre Endpunkte gegenüber Plazebo: Body Mass Index (BMI) -2.96% und -3.72%, Insulin-Tagesdosis -8.8% und -13.2% (alles signifikant). Harnwegsinfekte: Dapagliflozin 5mg, 10mg, Plazebo: 7% vs. 4% vs. 5%, Hypoglykämien 79%, 79%, 80%, schwere Hypoglykämien 8%, 6%, 7%. Diabetische Ketoazidosen 1%, 2%, 1%, davon schwere (Inzidenzrate pro 100 Patientenjahre): 1, 1, 1.
Entsprechend der in der Studie sehr sorgfältigen Anwendung des SGLT2-Hemmers mit Titrierung der Insulindosis kann Dapagliflozin bei Typ-1-Diabetes mit dem Vorteil einer HbA1c- und BMI-Absenkung ohne gesteigertes Risiko für Hypoglykämien und Ketoazidosen eingesetzt werden.
Die Behörden wollen vor einer Zulassung auch für Typ-1-Diabetes aber noch Langzeitresultate abwarten.
In New England Journal of Medicine wurde online (2), ebenfalls zeitgleich mit der EASD 2017 -Präsentation, die Tandem3-Studie mit einem dualen Hemmer von SGLT-1 und -2, mit Sotagliflozin, zusätzlich zu Insulin bei ~1400 Typ-1-Diabetespatienten gegeben, publiziert. Der primäre Endpunkt, ein HbA1c-Wert unter 7.0%, wurde unter Sotagliflozin signifikant häufiger erreicht (in 28.6% vs. 15.2%). Auch die tägliche Insulindosis und der systolische Blutdruck nahmen ab, bei gleicher Rate schwerer Hypoglykämien (3.0 vs. 2.4%). Allerdings waren diabetische Ketoazidosen unter Sotagliflozin häufiger als unter Plazebo: 3.0% (21 Patienten) vs. 0.6% (4 Patienten). Unter Sotaglilozin waren auch Diarrhoen häufiger (4.1% vs. 2.3%), ebenso Genitalmykosen (6.4% vs. 2.1%).
Der Referent meint, dass Sotagliflozin somit wohl kaum für den Typ-1-Diabetes zugelassen werden wird.
An 6500 Chinesen mit koronarer Herzkrankheit und gestörter Glukosetoleranz (IGT) wurde Acarbose (3×50 mg, Glucobay® u.a.) über im Mittel 5 (3.4 – 6.0) Jahre prospektiv doppelblind plazebokontrolliert geprüft. Die Resultate dieses Acarbose Cardiovascular Evaluation (ACE) – Trial wurden mit Rury R. Holman als Erstautor in Lissabon auf dem EASD 2017-Kongress vorgetragen und online im LANCET Diabetes & Endocrinology publiziert (3). Weder das primäre noch das sekundäre kardiovaskuläre Outcome wurden durch Acarbose beeinflusst (primäres Outcome: 14.4% unter Acarbose, 14.7% unter Plazebo). Das Auftreten eines Diabetes wurde jedoch durch Acarbose reduziert (13% vs. 16%, p=0.005).
Diese Ergebnisse sind vor allem für China und manche asiatischen Länder von Bedeutung, wo Acarbose breit eingesetzt wird, im Unterschied zu europäischen Ländern. Im begleitenden Editorial meinte unser DGE-Mitglied Michael Nauck zusammen mit Juris Meier: „Other preventive measures such as intensive lifestyle intervention, metformin, or thiazolidinediones seem to be more effective in quantitative terms“. Der Leiter der endokrinologischen und kardiologischen Abteilung eines Pekinger Krankenhauses sah hingegen die positiven Aspekte der Studie und sagte: „I think it´s a very important trial, in that it shows no harm for cardiovascular disease. Also, there was no hypoglycemia or increased body weight“ (4).
Helmut Schatz
Literatur
(1) Paresh Dandona et al.: Efficacy and safety of dapagliflozin in patients with inadequately controlled type 1 diabetes (DEPICT-1): 24 week results from a multicentre, double-blind, phase 3, randomized controlled trial.
LANCET Diabetes & Endocrinology online 14 September 2017.
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S2213-8587(17)30308-X
(2) Satish K. Garg et al.: Effects of Sotagliflozin added to insulin in patients with type 1 diabetes.
New Engl. J. Med. online 13 September 2017. DOI: 101056/NEJMoa1708337
(3) Rury R. Holman et al.: Effects of acarbose on cardiovascular and diabetes outcomes in patients with coronary heart disease and impaired glucose tolerance (ACE): a randomized, double-blind, placebo-controlled trial.
LANCET Diabetes & Endocrinology online 13 September 2017.
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S2213(17)30309-1
(4) Miriam M. Tucker: Acarbose offers no CVD protection in ACE, but may cut diabetes risk.
http://www.medscape.com/viewarticle/885675_print
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Die Beurteilung der Ergebnisse der Acarbose-Studie hängt wohl sehr vom Umfeld ab, in dem der Beurteiler lebt und arbeitet. In Deutschland ist NICHTS zur Behandlung des Prädiabetes bzw. von IGT zugelassen. Acarbose ist aber in 84 Ländern zur Behandlung des Prädiabetes zugelassen. Das ist eine andere Realität, in der diese Indikation und auch Acarbose nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt wird. Auch Metformin ist in zahlreichen Ländern zur Behandlung des Prädiabetes explizit zugelassen, insbesondere bei Personen mit sehr hohem BMI. Bei den Thazolidindionen ist mir von keinem Land bekannt, dass sie diese Indikation haben und verordnungsfähig sind.
An dieser Studie nahmen Patienten mit manifester koronarer Herzkrankheit teil (etwa jeder Zweite hatte bereits einen Infarkt) deren KHK mit Statinen, ACE-Hemmern oder gleichwertigen Antihypertensiva, Aspirin und ggf. Betablockern gut behandelt wurde. Auch Lifestyle- und Ernährungsberatung erhielten alle Patienten. Alle Patienten hatten zusätzlich zur KHK einen Prädiabetes und durch die doppelblinde, randomisierte Anwendung der für diese Indikation bereits zugelassenen Acarbose sollte deren langfristiger Effekt untersucht werden. In China hat fast jeder zweite Erwachsene einen Prädiabetes oder sogar manifesten Typ-2-Diabetes und Acarbose wird bereits sehr häufig eingesetzt. Metformin ist bei Prädiabetes eher stark Übergewichtigen vorbehalten, da es bei normalgewichtigen Prädiabetikern in Studien kaum Wirkung gezeigt hatte. Diese Konstellation ist in Asien nicht so häufig wie in westlichen Ländern.
Die Studiendosis von Acarbose sollte 3×50 mg betragen. Tatsächlich haben aber ein beträchtlicher Teil der Studienteilnehmer laut Publikation nur 2×50 mg täglich eingenommen. Dies hatte eher praktische Gründe wegen der Mittags-Gabe und die Verträglichkeit war sehr gut. Diese Dosis muss bei allen Ergebnissen und der Interpretation der Studie berücksichtigt werden Es ging um eine Real-World-Studie bei IGT-Patienten mit erheblicher kardiovaskulärer Vorerkrankung, die zusätzlich zu ihrer kardialen Therapie über ca. 5 Jahre ihre IGT behandeln sollen. Laut Frau Prof. Pan war die Sicherheit sehr wichtig. Offensichtlich hat Acarbose unter diesen Bedingungen keinen zusätzlichen Vorteil bzgl. der kardiovaskulären Endpunkte. Aber für die chinesischen Wissenschaftler und Therapeuten sind langfristig ca. 20% weniger Diabetiker unter den herzkranken Chinesen auch ein bedeutsamer Vorteil. Dieser Vorteil wird durch eine einfache Therapie mit sehr hoher Sicherheit ohne Gewichtszunahme, ohne Hypoglykämien oder irgendwelche schwerwiegende Nebenwirkungen erreicht. Zudem möchte ich daran erinnern, dass in der DaQing-Studie bei IGT erst nach über 15 Jahren Follow-up ein Nutzeffekt der Intervention auf die kardiovaskulären Ereignisse nachweisbar war und in der DPP-Studie, inklusive Metformin, bis heute nicht. Es sieht so aus, dass in China die Ergebnisse dieser Acarbose-Studie an ca. 6500 Koronarpatienten mit Prädiabetes anders wahrgenommen und bewertet werden als in manchen westlichen Ländern.