Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Der „Hohe Dom“ der Deutschen – Schräge Gedanken über die „Kathedrale des Deutschen Fußballs“


Bochum, zu Weiberfastnacht 2019  

Zu Beginn dieses Jahres besuchte ich in Dortmund das vielgepriesene „Nationale Fußballmuseum des Deutschen Fußball-Bundes“, wie es sich offiziell selbst bezeichnet. Ein Busbahnhof musste weichen, wie man mir sagte, damit dieser „Hohe Dom“ der Deutschen an würdiger Stelle errichtet werden konnte. Es ist schon beeindruckend, was man da alles sehen kann!  Bilder von Spielern in allen Positionen, von allen Seiten, in allen Kombinationen, Fußbälle, mit Unterschriften versehen und vergoldet auf Podesten ausgestellt und angestrahlt wie heilige Hostien in Monstranzen. Ein Diorama zeigt in lebensgroßen Bildern die Elf der bundesdeutschen Nationalmannschaft, die das „Wunder von Bern“ vollbrachte, den Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft durch einen 3:2 – Sieg über die hoch favorisierten Ungarn, am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorf-Stadium. Hinter und neben den elf Figuren sieht man  persönliche Gegenstände, etwa das Schulzeugnis eines der Spieler mit einer weniger guten Note aus „Singen“, worauf der Ausstellungsführer immer besonders hinweist, ein Trikot mit der Rückennummer „8“, im Jahre 2015 zur Museumseröffnung von der Witwe eines der Spieler gespendet,  einen Motorroller-Sturzhelm und  – ich konnte es kaum glauben –  den echt vergoldeten (!) linken Fußballschuh vom Schußbein eines der „Helden von Bern“, ich meine, es war Helmut Rahn. Da ging es mir blitzartig durch den Kopf: Hier besteht doch kein Unterschied zu den Reliquien in christlichen Kirchen!  Auch die vielen Bilder der Fußballspieler und Trainer erinnern an die Ausstattung von orthodoxen oder katholischen  Gotteshäusern mit Ikonen, Gemälden, Glasfenstern und Statuen von Heiligen.  Aber viele Menschen gehen heute ohnedies kaum mehr in die Kirche, stattdessen regelmäßig in ihre neuen Dome, die Fußballstadien.

Wo bleibt im „Nationalen Fußballmuseum“ der Fußball in der Deutschen Demokratischen Republik? Wieder „Hinter der Mauer“, sagen viele Besucher aus den neuen Bundesländern. Rechts von der großen Haupthalle befindet sich ein niedriges, schmales „Seitenschiff“ der Kathedrale, in dem der DDR-Fußball dokumentiert wird. Ich fragte, wo denn – immerhin im „Nationalen (!) Fußballmuseum“ –  das Tor gezeigt werde, mit dem Jürgen Sparwasser bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 in Hamburg die DDR zum 1:0-Sieg über die Bundesrepublik Deutschland schoss. Wie ich es damals am Fernsehschirm in Gießen selbst gesehen habe, versanken die bis dahin doch höchst arroganten Wessi-Spieler in Fassungslosigkeit.  „Dieses Tor haben wir vorsichtshalber versteckt“, antwortete man mir und zog  eine unscheinbare Lade rechts hinten  im schmalen Gang heraus, die sich auf Kniehöhe befand. Darin konnte man auf einem etwa 30×25 cm kleiner Bildschirm den Torschuss sehen. Oh Ihr Ossis, völlig zu Recht beklagt Ihr Euch über Eure Geringachtung durch die Besser-Wessis, auch heute noch!

Und die Präsentation des Spiels der Ösis von Rapid Wien gegen den fünfmaligen deutschen Meister Schalke 04 am 22. Juni 1941 vor 95.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion um die (Groß-) Deutsche Meisterschaft? Auch diese Dokumentation konnte ich selbst nicht gleich finden, erst auf Nachfrage. In einer der berühmt-berüchtigten „Rapid-Viertelstunden“ – mit dem Hattrick des 1.90 m großen  Bimbo Binder – drehten damals die grün-weissen Ösis aus Wien einen 0:3-Rückstand zu einem 4:3-Sieg. Die enttäuschte Kapitän der Schalker, Ernst Kuzorra weigerte sich als schlechter Verlierer sogar, die Ehrennadel für die Vizemeisterschaft anzunehmen. Rapid Wien wurde damit, wie man lesen kann, der bis zum heutigen Tage einzige nichtdeutsche Deutsche Meister. Was immer man mit dieser Formulierung aussagen will….

Helau und Alaaf!

Helmut Schatz

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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13 Antworten auf Der „Hohe Dom“ der Deutschen – Schräge Gedanken über die „Kathedrale des Deutschen Fußballs“

  1. Dr. Ulrich Heinrich sagt:

    Den goldenen Fußball aus Leder mit den Spielerunterschriften, der gleich nach dem Eingang in der Mitte des Raumes erstrahlt, mit der Hostie zu vergleichen, finde ich sehr treffend. Es ist in der Tat gleichsam wie eine Monstranz mit der heiligen Hostie.

  2. Man kann es beim Blick auf die heutige Tabelle (2019) kaum glauben, aber die Deutsche Fußballmeisterschaft 1954, einen Monat vor Beginn der ruhmreichen Weltmeisterschaft, wurde von Hannover 96 gegen den 1.FC Kaiserslautern mit 5:1 gewonnen, obwohl Kaiserslautern die meisten Spieler in der Weltmeistermannschaft stellte und Hannover keinen einzigen.

  3. Bernd Neuefeind sagt:

    Der Kommentar zu unserer Denkweise im Fußball, in unserer Gesellschaft insgesamt ist ein wichtiger Beitrag. Allerdings weiß ich wirklich nicht, was dieser Beitrag mit dem Obertitel Hormone und Stoffwechsel zu tun hat, außer dass der Schreiber dies hauptberuflich verantwortet.

  4. Helmut Schatz sagt:

    Lieber Herr Neuenfeld, hin und wieder gibt es einen „Blick über den Tellerrand“.
    Der jetzige Anlaß ist die heutige Weiberfastnacht. Da bin ich „in die Bütt“ gestiegen. Helau und Alaaf! Ihr Büttenredner Helmut Schatz

  5. Prof. Dr. Reinhard Ziegler sagt:

    À propos Hormone und Weiberfastnacht: Lieber Herr Schatz, wie sieht es denn mit der Darstellung des Frauenfußballs im Tempel des Heiligen Grals des Deutschen Fußballs aus? Wiederholt sich dort die maskuline Präpotenz der Männer wie in den Sportmedien, gleichgültig ob in der Glotze oder auf Papier?
    Mit endokrinen Grüßen aus Heidelberg.

  6. Helmut Schatz sagt:

    Lieber Herr Ziegler, ich war auch etwas überrascht und erfreut, dass der Frauenfußball im Dortmunder Museum recht gut vertreten ist. Man sah Bilder von englischen Spielerinnen aus der Zeit vor der der Jahrhundertwende: Das erste Frauenteam wurde auf der britischen Insel 1894 von Nettie Honeyball (nomen est omen) als „British Ladies Football Club“ gegründet. Die Damen spielten damals in Knickerbocker-Hosen. Auch in Frankreich gab es in den 1920er Jahren schon Frauenfußball, während in Deutschland erst 1930 der erste „Damen-Fußball-Club“ in Frankfurt gegründet wurde. Vielfach wurde das Fußballspielen nach Männer-Art bei uns aber als „moralisch verwerflich“ angesehen. In der NS-Zeit war Frauenfußball unerwünscht, der Frau wurde die Mutterrolle zugewiesen. Erst in den 1950er Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland wieder Frauenmannschaften gegründet, in der Deutschen Demokratischen Rebublik im Jahre 1968; das erste DDR-Frauenteam war die BSG Empor Mitte-Dresden.
    Lieber Herr Ziegler, so kommt man mit alten Kollegen über den Fußball wieder in Kontakt. Wie schön! Herzliche Grüße Helmut Schatz

  7. U. H. sagt:

    Aus den letzten Passagen seiner Eindrücke im Dortmunder Fußballmuseum scheint mir eine klammheimliche Freude und der unverhohlene Stolz eines gebürtigen Ösis an der nichtdeutschen „Deutschen Meisterschaft“ von Rapid Wien im Jahre 1941 geradezu hervorzuquellen. Obwohl unser Museumsbesucher und Kritiker schon seit vielen Jahren im näheren Dunstkreis von Schalke lebt und wirkt, hat er sich offensichtlich bisher dem Charme des in seinem Umfeld weit verbreiteten Schalke-Fiebers standhaft verweigern können. Ob ihm das wohl auch in Zukunft gelingen wird?
    Schalke selbst dürfte derzeit vermutlich andere Sorgen haben, als einer verlorenen Meisterschaft von 1941 nachzutrauern.
    In diesem Sinne ein fröhliches Alaaf & Helau von einem (un)heimlichen Schake-Fan

  8. Gert Mueller sagt:

    Früher hat man im Nachhinein einen Fußballschuh vergoldet, heute bekommen Fußballer so horrende Geldsummen, daß sie wie Ribery ein mit Blattgold überzogenes, riesiges Steak essen können, und dami im Internet noch angeben. Eine verrücktr Welt!

  9. Sportsfreund sagt:

    Sehr geehrter Herr Schatz, sieht oder hört man im Museum auch etwas über die Bestechungsaffaire, die Canellas von Kickers Offenbach 1973/74 aufgedeckt hatte? Nachdem der Deutsche Fußballbund auf seine Mitteilungen über die Bestechungsvorgänge nicht energisch und nur verzögert reagiert hatte, spielte er bei der Gesellschaft zu seinem 50. Geburtstag den Gästen die Mitschnitte der Gespräche vor, in denen die großen Geldbeträge „verschoben“ wurden, mit denen die Spielausgänge gekauft wurden. Als Helmut Schön dies hörte, verließ er wortlos die Gesellschaft.

  10. Helmut Schatz sagt:

    Lieber Sportfreund, ich habe im Museum nichts davon gesehen oder gehört. Ich konnte aber auch nicht danach fragen, da ich davon erst durch Ihren Kommentar erfahren habe.

  11. Soziologe sagt:

    Sehr geehrter Herr Dr. Heinrich, wie recht Sie mit Ihrem Vergleich haben! Das sieht man jetzt wieder an der „Heiligsprechung“ der Gründungself des deutschen Fußballs, von Uwe Seeler, Günther Netzer, Lothar Matthäus & Co. sowie posthum von Fritz Walter, Helmut Rahn und Trainer Sepp Herberger. Sie wurden vor einigen Tagen in die Hall auf Fame, die Ruhmeshalle im Dortmunder Fußballmuseum aufgenommen. Dort befindet sich ohnedies schon, wie Helmut Schatz schreibt, eine „Reliquie“ von Helmut Rahn, sein echt vergoldeter linker Schuh vom Schußbein. Die Riten der katholischen Kirche und des deutschen Fußballs sind fast identisch. Auch „heiloge Frauen“ wird es geben: Im Sommer 2019 wird die, wie es heißt, „feierliche Aufnahme der berufenen Spielerinnen des deutschen Frauenfußballs“ erfolgen. Immerhin besteht ein kleiner Unterschied zur Kirche: Heilig spricht der Vatikan erst nach dem Tod, der Deutsche Fußball-Bund schon zu Lebzeiten, allerdings erst mindestens fünf Jahre nach Beendigung der Karriere. Und auch posthum.

  12. Helmut Schatz sagt:

    Am 20.10.2019 sah ich in rbb eine Sendung über das Berliner Olympiastadion. Sie endete mit dem Satz: „Aus Hilers Olympiastadion ist nach der Wende eine „Kathedrale des Fußballs geworden“. Sagte ich es doch!

  13. Helmut Schatz sagt:

    Navid Kermani, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, ein begeisterter Anhänger des „Clubs“ sagte in seiner Rede zum 70.Geburtstag des 1.FC Köln: (abgedruckt in: Morgen ist da. Reden, C.H.Beck, München 2019): „Mehr als jeder anderen Institution gelingt es dem Fußball heute noch – vergleichbar mit dem Theater in der Antike oder über viele Jahrhunderte der Religion – einen öffentlichen Raum zu schaffen für ergreifende Erfahrungen: atemlose Spannung, Trauer, Zorn, Häme, Bangnis, Verzückung, Scham, Zusammenhalt, Dankbarkeit, Stolz. Wo sonst in der modernen Gesellschaft würden sich erwachsene Menschen jubelnd in die Arme fallen oder kreischend auf ihren Sitz springen, die unflätigsten Flüche herausschreien, hemmungslos weinen wie Kinder, vor Angst in Schweiß ausbrechen, vor Freude zittern? Wo sonst als auf dem Platz beziehúngsweise im Stadion durchlaufen wir noch kollektiv und nicht nur als einzelne alle Höhen und Tiefen des Lebens, Sieg und Niederlage, Aufstieg und…

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