Bochum, 17. März 2913:
Gezieltes Screening auf Diabetes in Hochrisikogruppen ergab zahlenmäßig keinen Unterschied für deren Herzkreislauf-Prognose gegenüber Patienten, bei denen die Diagnose auf Grund klinischer Symptome gestellt wurde. Da aber die Hochrisikopatienten schon zu Beginn der Studie mehr kardiovaskuläre Erkrankungen hatten, erscheint dennoch ein Nutzen gegeben (1).
Klein Woolthuis und Mitarbeiter aus Nijmegen führten die Studie in 10 niederländischen Hausarztpraxen an 45 bis 75 jährigen Diabetespatienten über 10 Jahre durch. Gescreent wurden Patienten ohne bekannten Diabetes, die aber eine familiärer Diabetesbelastung, kardiovaskuläre Erkrankungen, Übergewicht, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie oder einen Gestationsdiabetes hatten (Gruppe 1). Bei der zweiten Gruppe wurde der Typ-2-Diabetes durch die Symptome Polyurie oder Polydipsie und/oder diagnostisch erhöhte Blutzuckerwerte festgestellt. Die 359 durch Screening und die 206 klinisch diagnostizierten Patienten wurden bis zu 10 Jahre lang nachbeobachtet. Der Komposit- Endpunkt bezog sich auf Herz-Kreislauf-Tod und nicht-tödlichem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Nach etwa 7½ Jahren fand sich für diesen kein Unterschied zwischen den zwei Gruppen: 9.5% bzw. 10.2%, p=0.78. Zu berücksichtigen ist aber, dass zu Beginn in der gescreenten Hochrisikogruppe entsprechend den Selektionskriterien mehr Patienten mit präexistenten Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren als in der 2. Gruppe (16.9% vs. 7.1%, p=0.002). Da die Rate kardiovaskulärer Endpunkte nach über 7 Jahren für die gezielt gescreente Hochrisiko-Gruppe trotzdem nicht höher war, erscheint ein Nutzen des Screenings gegeben. Nach 1.5 Jahren begannen sich die kumulativen Hazard-Kurven zu trennen und der Unterschied hielt bis zum 10. Jahr an. In Subanalysen erreichte die Differenz für nicht-tödliche Herzinfarkte statistische Signifikanz, der kardiovaskuläre Tod war in der gezielt gescreenten Hochrisikogruppe seltener.
Kommentar des Referenten
„Screenen oder nicht screenen“, das ist die Frage – seit Jahrzehnten. Auf dem EASD-Kongress 2012 in Berlin (2) wurde die ADDITION Cambridge-Studie vorgestellt, die keinen Nutzen für ein Screening erbracht hatte. Auch dort wurden Hochrisiko-Personen gescreent (3). Die hier referierte Untersuchung zeigte, dass eine frühzeitige, gute Diabeteseinstellung bei Patienten mit schon präexistenten kardiovaskulären Erkrankungen von Nutzen war. Also: breites, ungezieltes Screenen – eher nein (?), gezieltes Screenen bei Herz-Kreislauf-Patienten – (eher) ja!
Helmut Schatz
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Literatur
(1) E.P. Klein Woolthuis et al.: Vascular outcomes in patients with screen-detected or clinically diagnosed type 2 diabetes: Diabscreen Study follow-up.
Ann. Fam. Med. 2013; 11: 20-27
(2) H. Schatz: Screening auf Diabetes und allgemeine ‘Gesundheits-Check-ups’ ohne viel Nutzen?
DGE-Blog-Beitrag vom 2. November 2012
(3) R.K. Simmons et al.: Screening for type 2 diabetes and population mortality over 10 yeaqrs (ADDITION-Cambridge): a cluster-randomized controlled trial.
Lancet 2012. 380:1741-1748
Im LANCET vom 16.-22. März 2013 findet sich eine längere Leserbriefdiskussion über die im obigen Kommentar zitierten negativen Ergebnisse von Simmons et a.l (3),. Sie bezieht sich weitgehend auf methodologische Probleme. Generell wird betont, dass Screening sehr wohl einen Nutzen brächte. So schreiben Torsten Lauritzen und Knut Borch-Johnsen, dass die Mortalität der in der ADDITION-Europe-Studie durch Screening entdeckten Diabetespatienten nahe an die der nichtdiabetischen dänischen Population herangekommen sei. Sie betonen, dass sich Screening-Strategien nicht nur auf Diabetes, sondern auch auf die kardiovaskulären Erkrankungen erstrecken sollte. In ihrer Schlussantwort führen die Autoren von ADDITION-Cambridg aus, dass es wichtig sei, Beratung und Behandlung nicht nur den durch Screening neu entdeckten Diabetes-Patienten zugute kommen zu lassen, sondern auch der grossen Anzahl von Menschen mit weiterhin hohem Diabetesrisiko ohne manifesten Diabetes und mit kardiovaskulären Erkrankungen. Dieser Schluss ist voll zu unterstreichen.