Graz, 2. Januar 2020:
Insuline der Firma Hoechst und andere Diabetesmedikamente begleiten den Referenten (H.S.) im beruflichen Alltag schon über ein halbes Jahrhundert lang, vom Beginn seiner klinischen Tätigkeit in Wien im Jahre 1964 bis heute, ebenso wie auch viele andere Kolleginnen und Kollegen.
Ein Foto (siehe unten) aus seinem alten „Austria Codex 1964/1965“, dem Pendant zur deutschen „Roten Liste“ zeigt (rot markiert), dass im Jahre 1964 zwei Insulinpräparate von Hoechst in Österreich erhältlich waren, rasch wirkendes Alt-Insulin (Insulin „Hoechst“) und mit Surfen verzögertes Depotinsulin (Depot-Insulin „Hoechst“ klar). Die längere Wirkung der anderen Depot-Insuline wie insbesondere die der Firma Novo wurde durch Zusatz von Protamin-Zink erzielt (= „PZI-Insuline“). Nach der vor Injektion nötigen Durchmischungischung waren sie trüb, und deshalb fügte Hoechst dem Namen seines Verzögerungsinsulins das Wort „klar“ hinzu . Wie auf dem Foto ebenfalls ersichtlich, wurde damals der österreichische Insulinmarkt von der Firma Novo beherrscht. Nach meiner Kenntnis war dies die Folge davon, dass schon bald nach dem 2. Weltkrieg in Österreich Novo-Insuline und noch keine von Hoechst verfügbar waren.
Abb. 1: Die zwei Insulin-Seiten aus dem Austria Codex 1964/1965 (Foto: Helmut Schatz)
Nunmehr verkündete am 9. Dezember 2019 in Paris Paul Hudson, CEO von Sanofi, zu der die ehemalige Firma Hoechst jetzt gehört (s.u.), dass sich sein Unternehmen im Zuge einer Umstrukturierung zukünftig insbesondere auf Krebstherapien konzentrieren wolle. In Reuters Health Information (1) las man: “Sanofi Ends Research in Diabetes, Narrows Units to Spur Profit“. Sanofi wolle die Forschung auf dem Gebiete von Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen beenden. Man will sich zukünftig in erster Linie auf Onkologie, Impfstoffe und einige andere Themen konzentrieren. Produktion und Vertrieb der Sanofi-Medikamente für Diabetes und Herzkreislauferkrankungen werden aber weitergehen, wie in einem Schreiben des Vorsitzenden der Geschäftsführung, Fabrizio Guidi und des Direktors Medizin, Prof. D. Dieter Paar von Mitte Dezember 2019 mitgeteilt wurde. Sanofi schreibt in dieser Mitteilung, dass weiterhin sichergestellt wird, „dass diese Produkte Behandlungsoptionen für Millionen erkrankter Menschen weltweit bleiben“ (2).
Als Internist und Endokrinologe/Diabetologe bin ich somit beruhigt, dass ich meine vielen Patienten, die ich auf Glargin-Insulin oder andere Diabetes- und Herzkreislauf-Medikamente von Sanofi eingestellt habe, nicht umzustellen gezwungen sein werde.
Dass allerdings die Forschungsabteilung der Firma in Frankfurt am Main – Hoechst aufgelöst werden soll, habe ich mit einer gewissen Wehmut vernommen. Oft habe ich diese besucht, und im Jahre 2000 nahm ich in Palermo an einer Konferenz teil, bei welcher ein Handelname für das neu entwickelte Glargin-Insulin gesucht wurde. Man entschied sich für „Lantus“ und nicht für „Largo“, was von vielen, auch von mir favorisiert wurde. Im Gefolge des Patentablaufs von Glargin-Insulin sackte der Jahresumsatz für den Bereich Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen um 11% auf 4.1 Milliarden Euro ab, wie man in der Deutschen Apotheker-Zeitung zu lesen bekam (3).
Für unser Fachgebiet, die Endokrinologie und Diabetologie bedeutet die Einstellung der Diabetesforschung in Frankfurt am Main ein emotionales Ende der Diabetes-Ära „Hoechst“. Diese hatte für Insulin im Jahre 1923 in Frankfurt am Main begonnen. Seit den 1950er Jahren kamen danach Sulfonylharnstoffe dazu. Insulin brachte Hoechst bereits 1923 auf den Markt, ein Jahr nach der ersten klinischen Anwendung und zwei Jahre nach dessen Entdeckung. Möglich war dies, da die Entdecker und Weiterentwickler von Insulins keinen Patentschutz beantragt hatten. Zur Erinnerung an das erste Hoechst-Insulin produzierte die Firma anlässlich des 75. Jubiläums im Jahre 1998 sogar eine „Hoechst Insulin“-Uhr.
Man erkennt auf dem Ziffernblatt groß die Zahl „75“ , mit dem zweikettigen Insulinmolekül im Bogen der Ziffer „5“ (Foto auf Abb. 2).
Abbildung 2: Uhr anlässlich 75 Jahre Insulin Hoechst im Jahre 1998 (Foto: Helmut Schatz)
Die Firma Hoechst wurde am 2.1.1863 mit Sitz in Frankfurt am Main gegründet. Noch 1974 lautete der Firmenname „Farbwerke Hoechst AG, vormals Meister, Lucius & Brüning“. Zwischen den Weltkriegen fusionierte 1925 Hoechst mit anderen Firmen zu der I.G. Farbenindustrie AG. Im Jahre 1999 erfolgte der Zusammenschluss mit Rhone-Poulenc zu Aventis S.A. mit Sitz in Straßburg und 2004 die Fusion mit Sanofi zu Sanofi-Aventis. Jetzt ist der Firmensitz Paris und der Traditionsname Hoechst taucht nirgendwo mehr auf.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Matthias Blamont: Sanofi Ends Research in Diabetes, Narrows Units to Spur Profit.
News > Reuters Information 11. Dezember 2019
(2) Fabrizio Guidi und Dieter Paar: Sanofi bleibt in den Bereichen Diabetes und Herzkreislauf engagiert.
Schreiben der Firmenleitung von Mitte Dezember 2019.
(3) Deutsche Apotheker-Zeitung, online 11.12.2019
Mir ging es nach Bekanntgabe des CEO von Sanofi, die Diabetesforschung in Frankfurt am Main – Hoechst zu beenden, ähnlich wie Helmut Schatz. Eine bald ein Jahrhundert lange Ära geht zu Ende. Dies bestätigt einmal mehr, dass Deutschland schon lange nicht mehr die „Apotheke der Welt“ istDr. med. Friedrich