Bochum, 18. Juni 2019:
Die EU hat nach der politischen Wende 1989 verschiedene regionale Programme zur Förderung der Integration der Länder Mittel- und Südosteuropas eingerichtet, darunter eine „EU-Strategie des Donauraumes (EUSDR)“. Zu deren 12 Arbeitsbereichen gehört auch einer für Wissenschaft und Kultur. Darüber ist nach anfänglichen Initiativen in der letzter Zeit wenig Neues bekannt geworden. Im Unterschied dazu sind es Aktivitäten der Diabetologen, welche die kulturell-wissenschaftliche Integration in der Donau-Region schon seit Langem vorantreiben. Die FÖDERATION DER INTERNATIONALEN DONAUSYMPOSIA ÜBER DIABETES (FID), heute auch CENTRAL EUROPEAN DIABETES ASSOCIATION (CEDA), hält seit ihrer Gründung im Jahre 1969 in Wien regelmäßig Kongresse in zentraleuropäischen Ländern ab, mit dem ursprünglichen Zweck des wissenschaftlichen Austausches über den Eisernen Vorhang hinweg. Sie unterhält heute ein gegenseitiges Hospitationsprogramm und vergibt Reisestipendien (1). Die ersten Kongresse fanden 1969 in Wien und in 1971 Budapest statt, jetzt tagt man jährlich in den mittel- und ost-mitteleuropäischen Ländern und hält zusätzlich auf den nationalen Kongressen FID-Satellitensymposien ab. Ursprünglich waren es die Staaten entlang der Donau, und auch Polen, die Schweiz und Griechenland, später kam das Baltikum dazu, so daß der Name der FID auf CEDA erweitert wurde (1). Der letzte Kongress wurde 2018 in Krakau abgehalten, 2019 war er in Lemberg (Lviv) in der Ukraine geplant, wurde wegen der unsicheren politischen Lage aber auf den Spätherbst nach Sofia in Bulgarien verlegt.
Kultur und Wissenschaft, auch in regionalen Programmen, als Integrationsfaktoren in der EU
Der frühere Wissenschafts- und Unterrichtsminister (= Kultusminister) und Vizekanzler a.D. der Republik Österreich, Dr. Erhard Busek und Dr. Emil Brix, unter anderem Generalkonsul in Krakau, Botschafter in London und in Moskau schrieben 2018 das lesenswerte und höchst informative Buch MITTELEUROPA REVISITED (2). Darin führen sie im Kapitel „Europa der Werte statt Europa der Märkte“ auf Seite 184ff aus, dass schon der ehemalige EG-Kommissionspräsident Jaques Delors eingefordert habe, Europa eine „Seele“ zu geben, weil die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Kooperation allein weder Begeisterung noch nachhaltigen Erfolg für dieses Projekt erzeugen könne. Aber man habe lieber über Kohle und Stahl als über Politik gesprochen als über Religion und Kultur. Lange Zeit verstand sich die EU schlicht als eine überaus erfolgreiche Wohlstandspartnerschaft, die ihre Energie darauf konzentrierte, alle jene Bereiche zu integrieren, die ihren Mitgliedsstaaten wirtschaftliche Vorteile versprachen. Seit dem Ende der ideologischen Teilung Europas brauche die EU aber tatsächlich auch einen „Stoff für ihre Träume“. Dies sei 1989 nicht sofort sichtbar geworden, weil die ökonomischen und politischen Herausforderungen einer Integration des „anderen“ Europa im Vordergrund standen und auch für die neuen demokratischen Reformstaaten Wohlstandsziele Vorrang hatten.
Religiöse Bekenntnisse und sozioreligiöses Verhalten sind zu berücksichtigen
Bei der Integration von Ländern in die EU müsse man auch deren Glaubensbekenntnis im Auge haben. Die orthodoxen Kirchen sind mit ihrem Staat viel stärker verbunden als bei uns, wo nach dem Grundgesetz die Kirchen vom Staat getrennt sind (3). Das kann man unschwer beim Umgang von Putin mit dem Patriarchen in Moskau erkennen. Im Islam wiederum sind die Stammesgemeinschaften und deren Oberhäupter von großer Bedeutung, wie man heute fast täglich in den Zeitungen des Ruhrgebietes über deren Fehden untereinander oder „Ehrenmorde“ lesen kann. Man müsse lernen, mit der Konfrontation von westlich-europäischer „Gesellschaft“ vs. islamischer „Gemeinschaft“ umzugehen, um diese Unterscheidung des Begründers der modernen Soziologie Ferdinand Tönnies aus dem Jahre 1887 zu gebrauchen: Der Träger von Rechten und Pflichten in der „Gemeinschaft“ des Islam ist der Familienverband, die Sippe, der Stamm, in der „Gesellschaft“ hingegen das Individuum. Die in manchen westlichen Ländern hochgespielte Rolle des Kopftuchtragens sei eine Marginalie. Im Islam habe es im Gegensatz zum Christentum keine Aufklärung gegeben. Religion und sozioreligiöses Verhalten müsse man bei den Bemühungen um eine Integration in die EU zur Kenntnis zu nehmen. Von diesen Ländern mit ihren Menschen zu verlangen, sich strikt in eine wie immer geartete „Leitkultur“ einzufügen, oder sich dieser zu „unterwerfen“, könne man, wie Emil Brix und Erhard Busek in ihrem Buch im Kapitel mit dieser Überschrift meinen, als „Arroganz der westlichen Länder“ ansehen. Diesbezüglich gab es in Deutschland eine breite, sehr kontroverse Diskussion zu dem Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff , der später auch von manchem der führenden deutschen Politiker wiederholt wurde: „Der Islam gehört zu Deutschland“. Auf die Frage jedoch, wie eine Integration insbesondere des Islam in die (immer noch) christlich geprägte abendländische (Leit-?) Kultur aussehen soll, kann der Referent keine präzise Antwort geben.
Auf jeden Fall lohnt es sich, das Buch von Emil Brix und Erhard Busek zu lesen, wie immer man zu den hier skizzierten Ansichten der Autoren stehen mag. Übrigens wird auch der Brexit darin in seinen Auswirkungen auf die EU besprochen.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Homepage der FID/CEDA: www.donausymposium.de, oder www.fid.at
(2) Emil Brix und Erhard Busek: Mitteleuropa revisited. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2018
(3) Helmut Schatz: Kirche und Staat in Deutschland: Getrennt?
DGE-Blogbeitrag vom 1. Januar 2018
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Gott sei Dank ist es noch nie gelungen, die Einheit des Europa der Vielfalt in einen Einheitsbrei zu verwandeln.Entsprechend aktuelle Tendenzen der EU lösten und lösen zum TeIl heftige sogenannte populistische Gegenreaktionen aus, die auf den Willen der Eigenständigkeit der Mitgliedsländer in einem akzeptablen politischen Rahmen deutlich genug hinweisen. Die Suche nach einem politischen Gleichgewicht, unzutreffend stets als „Krise“ bezeichnet, hat aber nie die enge Bindung der europäischen Länder ernsthaft in Frage gestellt: als typisches Beispiel für diese erfolgreiche „Hartnäckigkeit“ sind auch FID/CEDA anzuführen: Herzlichen Glückwunsch!
“ von diesen Ländern und deren Menschen zu verlangen, sich in eine wie immer geartete „Leitkultur“ einzufügen, oder sich dieser zu „unterwerfen“, kann man, wie Brix und Busek in ihrem Buch meinen, als „Arroganz“ der westlichen Länder ansehen.“
Vielleicht brauchen wir aber diese Arroganz.
Es gibt zwei Möglichkeiten. Man setzt eine Latte und hat Ansprüche oder man lässt diese Ansprüche fallen.
Bei „Arroganz“ ändert sich die Gesellschaft wenig und ohne „Arroganz“ viel, dass man es nicht wieder erkennen kann.
Konservative Kräfte wollen die Leitkultur und Andere wiederum nicht, weil sie möchten, dass die Gesellschaft sich grundlegend verändert.
Dann ist noch die Frage, ob diese Veränderungen überhaupt fortschrittlich oder positiv sind.
Wichtige Entscheidungen, die unser und das Leben unserer Kinder verändern wird.
Ich kann mich nicht erinnern, dass man alles öffentlich diskutieren und danach für oder dagegen abstimmen konnte. Im Gegenteil werden die…