Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Erhöht Selenzufuhr das Risiko für einen Typ-2-Diabetes?


Ein Selenmangel wurde und wird auch heute von vielen als wichtig in der Pathogenese – und damit möglicherweise für die Therapie – einer langen Reihe von Erkrankungen angesehen. In dieser Hinsicht ähnelt die Situation der gegenwärtigen Diskussion über Vitamin D. Auch für Selen liegen zumeist nur experimentelle, epidemiologische oder Assoziationsstudien vor. Interventionsstudien bei kardiovaskulären Erkrankungen mit Selen zeigten keinen Einfluß einer Selensupplementation (Info der Deutschen Gesellschaft für Ernährung – DGEinfo 2011). Im Gegensatz zu Vitamin D ist die therapeutische Breite von Selen recht gering.

Seit der Übersichtsarbeit „The importance of selenium in human health“ der britischen Ernährungswissenschaftlerin Margaret Rayman im Lancet (2000) wurde zunehmend ein Zusammenhang eines Selenmangels mit Fehlgeburten, männlicher Infertilität, Gemütsproblemen, Morbus Alzheimer, Schilddrüsenleiden, kardiovaskulären Erkrankungen, Arthritis, Viruserkrankungen einschließlich AIDS und bösartigen Erkrankungen untersucht. Viele Endokrinologen geben in Deutschland bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse Selenpräparate. Selen ist für die Wirkung von Dejodasen nötig, die in den peripheren Körperzellen Thyroxin zu Trijodthyronin umwandeln (vgl. Köhrle et al. 2005). Zum Einfluß auf die Hashimoto-Thyreoiditis sind die vorliegenden Ergebnisse nicht einheitlich (Gärtner et al. 2002, Karanakis et al. 2008; Übersicht: Schomburg 2011; vgl. auch Marcocci et al. 2011). Im Februar 2012 erschien online wieder eine prospektive Interventionsstudie über 6 Monate mit 200 Mikrogramm/Tag Selenmethionin an 86 Hashimoto-Patienten, die eine isolierte Abnahme der Thyreoglobulinantikörper, aber nicht der TPO-Antikörper oder anderer Immunparameter einschließlich der Lymphozytenzahl in den Punktaten und keinen Einfluß auf die Schilddrüsenfunktion fand (Anastasilakis et al. 2012). Insgesamt erscheinen zur endgültigen Abklärung des Nutzens einer Selengabe bei Schilddrüsenerkrankungen prospektive, randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien an größeren Patientenkollektiven nötig.

Andererseits werden seit einigen Jahren Berichte über ein erhöhtes Risiko eines Typ-2-Diabetes unter Selengabe publiziert. Jetzt liegen die Daten einer fast achtjährigen Studie mit täglich 200 Mikrogramm Selen an über 1200 Amerikanern vor, die ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes im Vergleich zu Placebo fand. Betrachtete man darunter die Patienten, deren Selenspiegel im Serum schon zu Beginn bei 122 Mikrogramm/Liter und darüber lag, so war das Diabetesrisiko sogar dreimal höher (Brenda Goodman 2012). Einschränkend muß allerdings gesagt werden, dass diese Studie nicht im Hinblick auf eine Diabetesinduktion, sondern mit der Frage einer Prävention von Hautkrebs angelegt wurde. Das U.S. Institute of Medicine sieht die obere Grenze einer Selenzufuhr bei 400 Mikrogramm/Tag. Bei höheren Spiegeln kann es zu einer „Selenose“ kommen, mit gastrointestinalen Beschwerden, Haarverlust, Nagelveränderungen, Knoblauchgeruch der Atemluft, Fatigue, Reizbarkeit und Nervenirritationen (vgl. Schomburg & Köhrle 2007). Es sind sogar vereinzelt Todesfälle durch Herzrhythmustörungen und Myokardnekrosen nach hohen Selendosen, meist nach Injektion beschrieben.

Literatur:

DGEinfo 11/2011: www.dge.de/modules.php?name=News&file=print&sid=1188

M. Rayman, Lancet, Vol. 356 (2000). 233-241

J. Köhrle et al. , Endocr Rev (2005). 26: 944-984

R. Gärtner et al., J Clin Endocrinol Metabol (2002). 87: 1687-1691

G. Karanikas et al., Thyroid (2008). 18: 7-12

L. Schomburg, Nat Rev Endocrinol advance online publication 18 Oct.2011; doi.10.1038/nrendo.2011.174

Marcocci et al., New Engl J Med (2011). 364: 1920-1931

A.D. Anastasilakis et al., Int J Clin Pract 2012 Feb 22. doi: 10.1111/j.1742-1241.2011.02879.x (Epub ahead of print)

Brenda Goodman, http://www.medscape.com/viewarticle/759497_print

L. Schomburg und J. Köhrle (2007). Handbuch der Lebensmitteltoxikologie, Band 5,
Dunkelberg, Gebel, Hartwich (eds.). VCH-CHEMBOOKS, Wiley/VCH, pp. 2403-2466

Posted on by Prof. Helmut Schatz
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