Bochum, 18. November 2021:
Auf dem virtuellen 81. Amerikanischen Diabeteskongress (ADA) im Juni 2021 (1) und auf dem Europäischen Diabeteskongress (EASD) Ende September-Anfang Oktober 2021 (2) wurden die Ergebnisse der GRADE-Study vorgetragen. In dieser Studie wurden 5.047 Typ-2-Diabetespatienten mit <10 Jahren Krankheitsdauer (Median 4.2 Jahre), die eine Metformin-Monotherapie erhielten und einen HbA1c-Wert von im Mittel 7.5% (6.8% -8.5%) hatten, randomisiert zusätzlich mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid, dem Dipeptidylpeptidase-Hemmer Sitagliptin, dem GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid oder Insulin Glargin behandelt. Primärer Endpunkt war die Zeit, in der nach dem Abfall der HbA1c-Wert wieder auf >/= 7.0% gestiegen war.
Ergebnisse
Die Zeit bis zum Erreichen des primären Endpunktes betrug mit Sitagliptin 1.9 Jahre, Glimepirid 2.2 Jahre, Liraglutid 2.4 Jahre und für Insulin Glargin 2.4 Jahre. Dann wurde die Therapie weiter eskaliert bis zu einer intensiviert-konventioellen Insulintherapie (ICT). In der Beobachtungszeit von im Mittel 5 Jahren kam es unter Sitagliptin bei 77% der Personen zu einem Wiederanstieg des HbA1c auf >/=7.0%, bei Glimepirid in 72%, Liraglutid 68% und Insulin Glargin 67%. Die Rate schwerer Hypoglykämien war niedrig, erwartungsgemäß mit 2.3% für Glimepirid und 1.4% für Glargin höher als mit Sitagliptin und Liraglutid.
Auf dem EASD-Kongress 2021 wurden nun auch die Daten für die kardiovaskulären (CV) Folgeerkrankungen vorgestellt: Es wurden die Teilnehmer mit niedrigem CV Risiko berücksichtigt (mittleres Alter 57 Jahre, Diabetesdauer 4 Jahre). Ein Hypertonus lag bei zwei Drittel, ein LDL >100 mg/dl in einem Drittel der Fälle vor. Nur 6.5% hatten eine CV Erkrankung. Im Mittel wurde 5 Jahre lang kontrolliert: Unter Liraglutid wurde eine signifikante Abnahme aller einzelnen CV Ereignisse im Vergleich mit Sitagliptin und Glimepirid gefunden, nicht aber mit Glargin. Es bestand jedoch kein Unterschied in den Major Adverse Cardiac Events (MACE): Myokardinfarkt, Schlaganfall und CV Tod.
Für die mikrovaskulären Komplikationen wie Albuminurie, eGFR (estimated Glomerular Filtratione Rate) oder distale sensorische Neuropathie fanden sich keine signifikanten Unterschiede.
Kommentar
Der Vorsitzende der Sitzung, David Nathan vom Bostoner Massachusetts General Hospital betonte, dass es bisher kaum einen head-to-head-Vergleich gebe, welches zweite Antidiabetikum man zu Metformin dazugeben solle. Deshalb habe man GRADE initiiert als Vergleichsstudie zur Wirksamkeit der von der Amerikanischen Arzneibehörde (FDA) von 1999 – 2010 approbierten Antidiabetika. Als Ergebnis sei herausgekommen, dass Insulin Glargin und Liraglutid bessere Resultate liefern als Glimepirid und Sitagliptin. In einem Kommentar sagte David Matthews von Oxford, dass in der Studie nicht die SGLT2-Hemmer nicht vorgekommen seien, welche heute in der ärztlichen Praxis breit verwendet werden. Auch wies er darauf hin, dass man diese Resultate nicht auf neu diagnostizierte und auch nicht auf Patienten mit sehr langer Diabetesdauer übertragen könne. In der Diskussion meinte ein Teilnehmer, dass Liraglutid nicht Semaglutid (Ozempic) oder Tirzapeptid (3) sei, womit man bessere Ergebnisse als mit Liraglutid erzielen könne. In der Praxis stellten allerdings die Kosten und die Regularien der Krankenversicherungen eine große Hürde dar. Ein weiterer Diskutant bemängelte, dass auf das unterschiedliche Gewichtsverhalten der geprüften Antidiabetika nicht näher eingegangen worden sei, wo doch die Obesitas beim Typ-2-Diabetes eine sehr große Rolle spiele.
Abschließend möchte der Referent (H.S.) hervorheben, dass die Entscheidung für eine medikamentöse Diabetestherapie, auch zur Eskalation nach Metformin nicht streng nach Algorithmen erfolgen solle, sondern individualisiert und gemeinsam mit dem Patienten zu treffen ist.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Trial GRADEs effectiveness of four common second- line type 2 diabetes drugs
https://diabetes.medicinematters.com/ada-2021/medications/grade-s–
(2) Anne L. Peters: Metformin, Then What? More Findings From the GRADE Study.
https://www.medscape.com.viewarticle/960391_print
(3) Helmut Schatz: Tirzepatide, ein Twincretin aus GIP und einem GLP1-Rezeptor-Agonisten.
DGE-Blogbeitrag vom 25. Juni 2021
Nüchtern betrachtet sind die Unterschiede doch nicht sehr groß, sieht man vom Preis ab. Die „Reklametrommel“ der Pharmaindustrie für GLP-1-Rezeptoragonisten (und auch die SGLT2-Hemmer) wird heftig gerührt. In einem der letzten Hefte des Brit.Med.J. wird geschildert, wie wir Ärzte von der Pharmaindustrie und den von ihr beeinflussten opinion leaders „gegängelt“ werden.
SGLT2i und GLP1-RA haben ganz klare und signifikante Vorteile und können bei entsprechender Indikation, also erhöhtes CV-Risiko bzw. manifeste kardiorenale Erkrankungen, MACE senken und sollten entsprechend primär und auch als Zweitpräparat zu Metformin gegeben werden.