Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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„Herabgehudelt“ und „vermaledeytes Hacken“ in die Tasten – Mozart und Schubert über die Interpretation ihrer Werke


Zum Karnevalsauftakt

Bochum, 20. Februar 2017:

Musik und Psyche

Was mag in einem Komponisten vorgehen, wenn er Aufführungen seiner Werke hört? In seinem Kopf und vor seinem inneren  Ohr hat er sie, wie viele Äusserungen  belegen, oft ganz anders konzipiert und wahrgenommen. Dafür zwei Beispiele aus Briefen von Komponisten:

Wolfgang Amadeus Mozart beklagte sich über die viel zu hohe Spielgeschwindigkeiten seiner Kompositionen und schrieb am 17. Januar 1778 an seinen Vater Leopold Mozart (1):

„Abbé Vogler hat mein Concert…….prima vista herabgehudelt, das erste stuck gieng Prestißimo, das Andante allegro und das Rondo wahrlich Prestißißimo…… sie können sich leicht vorstellen, das es nicht zum ausstehen war……viel zu geschwind“.

Und Franz Schubert ? Am 27. November 2016 hörte ich in Bochum die a-Moll-Klaviersonate op. posth. 143 (D 784) aus dem Jahre 1823, gespielt von Gerda Guttenberg vom Salzburger Mozarteum, und kurz danach am 18. Dezember von Lilian Akopova von der Hochschule für Musik und Theater in München die c-Moll-Klaviersonate D 958 von 1828,  dem Todesjahr des Komponisten. Gerda Guttenbergs Klavierspiel hätte Schubert wohl „ergötzt“. Was aber hätte Schubert zur Interpretation seiner Sonate durch Lilian Akopova gesagt?  Diese  nutzte nämlich die klanglichen Möglichkeiten des modernen Yamaha-Flügels in seiner Dynamik voll aus.

Albert Stadler, ein zeitgenössischer Komponist und Freund, schrieb über Schuberts Klavierspiel:

„Er gehörte noch zur alten Schule der guten Klavierspieler, wo die Finger nicht wie Stoßvögel den armen Tasten zu Leibe gingen“.

Und Schubert selbst schrieb in einem Brief an seine Eltern am 25. Juli 1825: „…..weil ich das vermaledeyte Hacken, welches auch ausgezeichneten Clavierspielern eigen ist, nicht ausstehen kann, indem es weder das Ohr noch das Gemüth ergötzt“.

Welche Schubert-Interpretation hat nun dem Rezensenten besser gefallen? Schwer zu sagen.  Eindrucksvoller, zumindest vordergründig war gewiß der sich der Möglichkeiten des modernen Instruments bedienende Stil von Lilian Akopova. Die Wiedergabe von Gerda Guttenberg hingegen, mit weicherem Anschlag und gemäßigterer Dynamik, entsprach für die posthume a-Moll-Sonate mit ihren in überirdische Räume führenden offenen Quinten zu Beginn des 1. Satzes nach meinem Empfinden wohl eher dem Charakter dieses Werks.

Letztlich zeigt aber dieses subjektive Urteil auf, dass jedes Kunstwerk erst durch die Interaktion des Werkes mit dem Zuhörer – oder Betrachter –  lebt. Bei der Musik ist es der flüchtige Augenblick der Töne, und der Interpret als dritte Person spielt dabei eine wichtige Rolle. Wenn ich meine Meinung zu den heutigen Interpretationen insbesondere von klassischer Klaviermusik äussern darf:  Bitte nicht „herabhudeln“ und kein „vermaledeytes Hacken“!

Musik und Medizinein weites Feld

Mediziner als Musiker – jeder Arzt denkt sofort an Theodor Billroth und sein Streichquartett. Es gab und gibt mehrere Zeitschriftenreihen, die sich mit Musik und Medizin sowohl essayistisch als auch psychologisch-wissenschaftlich befassten. Musiktherapie ist heute ein etabliertes Unterrichtsfach, das in Europa meines Wissens erstmals in Wien zu Beginn der 1960er Jahre akademisch gelehrt wurde und weltweiten Zustrom von Studentinnen und Studenten erhielt. Die „American Music Therapy Association“ und die „American Art Therapy Association“ zeigen in ihren Handbüchern gangbare Wege auf, um Kunsttherapien in den klinischen Alltag zu integrieren. Meist handelt es sich um die Erlernung einer Selbstdisziplinierung durch aktive künstlerische Tätigkeiten. Musik geht darüber hinaus und sollte bei passender Auswahl des Angebotes passiven Zuhörern helfen, gestörte Hirn- und Körperfunktionen wieder einem alltagstauglichen Gleichgewicht zuzuführen (2). An deutschen Kliniken ist Musiktherapie heute, wohl auch aus Personalmangel, im Stellenplan kaum etabliert. Immerhin wird aber in deutschen Krankenhäusern auch musiziert  oder von Patientengruppen mit therapeutischem Hintergrund gesungen. Alzheimer-Patienten werden auf Musik ruhig und öffnen sich der Umwelt in oft erstaunlicher Weise (3). Der Einfluss von Musik auf die Psyche und den menschlichen Körper ist  evident, seien es nun klassische Darbietungen, die Beatles, Elvis Presley oder bei manchen Rappern. Und im Wiener Fasching beginnt man sich automatisch auf Walzerklänge zu drehen, im Rheinland bei Karnevalsliedern zu schunkeln.

Helau und Alaaf !

Helmut Schatz

Literatur

(1) Helmut Schatz: Die Zeit in der Musik
DGE-Blogbeitrag vom 9. August 2016

(2) Klaus Ehrenberger: Kunst als Therapie – „Creative Therapies“. Kunst verführt und diszipliniert.
DGE-Blogbeitrag vom 22. Oktober 2014

(3) Irmgard Schwamm: Kommentar zum Beitrag von Klaus Ehrenberger, Lit. (2).

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Posted on by Prof. Helmut Schatz
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2 Responses to „Herabgehudelt“ und „vermaledeytes Hacken“ in die Tasten – Mozart und Schubert über die Interpretation ihrer Werke

  1. Otto Georg Ladenburger says:

    Leider füllen heutzutage Tastendompteure wie Lang Lang die Konzertsäle,die mit Tastenakrobatik die Konzertflügel malträtieren. Das Problem ist aber nicht neu ,wie Helmut Schatz in seinen Ausführungen so schön zitiert.Bereits vor 200 Jahren haben sich schon Mozart über“ herabhudeln seines
    Klavierkonzerts“,und Franz Schubert über „vermaledeytes Hacken ,welches auch ausgezeichneten Clavierspielern zu eigen ist“, beklagt.Die Konzertveranstalter heute richten sich eher nach dem Geschmack der Mehrheit des Publikums, – die Konzertsäle sollen voll werden –
    als nach getragenem ,ausdrucksstarkem Spiel .Helmut Schatz ist kompetent und zu solchen Äußerungen berufen,
    er ist intimer Musikkenner,und Franz Schubert sein Lieblingskomponist.

  2. Helmut Schatz says:

    Nikolaus Harnoncourt spielte mit seinem Concentus musicus auf den alten Instrumenten aus der Zeit. Da mag der Klang der Vorstellung der Komponisten näher sein als auf unseren modernen Instrumenten. Harnoncourt beteiligte sich auch ani der lebhaften Diskussion um die neu zu errichtende Orgel in der rekonstruierten Dresdner Frauenkirche. Er plädierte – natürlich – für die alte Orgel von SIlbermann, wie eine in der Katholischen Hofkirche in Dresden heute wieder erklingt. Ich hörte beide zu Ostern 2016. Der mächtiuge Klang der neuen Frauenkirche-Orgel hat mich , wenn „alle Register“ gezogen wurden, fast erschlagen.Freilich fehlte der Silbermann-Orgel die Brillianz, wie man sie heute gerade am Ostersonntag von modernen Orgeln gewohnt ist

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