Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Vermehrt Herzinfarkte und Schlaganfälle durch Erythritol, einen als E968 gekennzeichneten Lebensmittelzusatzstoff, in vielen Nahrungsmitteln?


Bochum, Mittwoch, 21. August 2024:

In der Fachzeitschrift Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular  Biology  erschien mit Stanley Hazen als Seniorautor kürzlich ein Artikel über Untersuchungen an 10 gesunden Probanden, die 30 mg Erythritol (Erythrit) zu sich genommen hatten.  Dreißig Minuten später fand man bei ihnen eine erhöhte Aggregation der Blutplättchen, der für die Gerinnung wichtigen Thrombozyten, sowie erhöhte Marker für eine Blutplättchen-Reagibilität und -Aktivierung (1). Die Studie erfolgte an einer der renommiertesten kardiologischen Kliniken der USA in Cleveland, Ohio.

Die Forschenden fanden eine erhöhte Stimulus-abhängige Freisetzung von Serotonin,  Marker für die dichten Granula der Blutplättchen, und von CXCL4 als  Marker für die Alpha-Granula der Thrombozyten. Diesen prothrombotischen Effekt beobachtete man bei jedem einzelnen Test, während er bei den Teilnehmern,  die zur Kontrolle 30 Gramm Glukose zu essen bekamen,  nicht zu beobachten war.

Dr. Hazen führte aus, dass Erythritol selbst nicht die Blutplättchen aktiviere, sondern die Schwelle senke, über die  eine solche Aktivierung stattfinde, wodurch Verklumpungen der Plättchen, also Thrombosen ausgelöst werden. So sei es möglich, dass das Risiko für Herzattacken und Schlaganfälle gesteigert werden könne.  Der Mechanismus dafür sei unbekannt. Dr. Hazen meint, dass die Empfindlichkeit der Thrombozyten für Erythritol  in gleicher Weise gesteigert würde wie der Süßigkeitsrezeptor für Zucker.

Dr. Hazens Gruppe hatte in früheren Untersuchungen schon Hinweise dafür gefunden, dass Erythritol ein erhöhtes Risiko für unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse und Thrombosen darstelle. Im DGE-Blog wurde am 2. März 2023 (2) eine  Publikation referiert, die zusammenfassend über mehrere Studien berichtete, die  ebenfalls in dieser Richtung sprachen (3).

Die US Food and Drug Administration (FDA) hatte im Jahre 2001 Erythritol als „a generally safe food additive“ eingestuft. Dieser Zuckeralkohol findet sich in geringer Konzentration in Früchten wie Melonen und Grapefruit, in Pilzen oder auch Käse u.a.. Der Körper selbst synthetisiert auch  Erythritol in geringer Menge aus Glukose über den Pentose -phosphat-Weg. Industriell kann der Zuckeralkohol durch Zuckerfermentation hergestellt werden. Erythritol  ist zu 50%-70% so süß wie Haushaltszucker.

In Deutschland müssen Lebensmittel, die den als E 962 klassifizierten Lebensmittelzusatzstoff Erythritol enthalten,  den Hinweis enthalten „mit Süßungsmittel(n)“. Verwendet wird Erythritol z.B. als Tafelsüße, für kalorienreduzierte und Produkte ohne Zuckerzusatz wie Desserts und Süßwaren, Milchprodukte, feine Backwaren, Kakao- und Schokoladeprodukte, Konfitüren und Brotaufstriche, zuckerfreie Kaugummis, Soßen oder auch Senf.

Martha Field von der Cornell-Universität in Ithaca, New York, die nicht an der Studie beteiligt war,  meinte, es  sei  wichtig gewesen, diese Untersuchungen zunächst an gesunden Personen durchzuführen. Erythritol sei möglicherweise gefährlich für Menschen mit erhöhter Thromboseneigung, zu der auch genetische Polymorphismen beitragen können. Auch forderte sie Studien mit Xylitol und Sorbitol, anderen Zuckeralkoholen, die in zuckerfreien Lebensmitteln verwendet werden. Die Ernährungsspezialistin Valisa E. Hendrick stimmte dem zu und wies drauf hin, dass besonders Menschen mit Diabetes und Prädiabetes vermehrt Zuckeralkohole verwenden; es sei daher nötig,  gerade bei diesen Personengruppen auf die Auswirkungen von Zuckeralkoholen zu achten.

JoAnn E. Manson von der Harvard Medical School in Boston und ihr Team führen zur Zeit eine randomisierte klinische Studie mit einem head-to-head-Vergleich von Getränken mit Zucker, kalorienfreien Süßstoffen und Wasser durch, um die  kardiometabolischen Auswirkungen  zu untersuchen (1).

Helmut Schatz

P.S.  Seit Jahrzehnten empfahl und empfehle ich an den Orten meiner akademischen Studien und Tätigkeiten (Graz, Stockholm, Wien, Ulm, Gießen und Bochum) allen meinen Patientinnen und Patienten, Leitungswasser zu trinken, welches an diesen Hochschulorten durchaus von guter Qualität war bzw. ist. Nur während meiner Studienzeit 1959/60  in Bonn wurde  das Leitungswasser, von der amerikanischen Besatzung  vorgeschrieben, so stark chloriert, dass es kaum zu trinken war. Erfreulicherweise ist  das heutige Bochumer Leitungswasser sehr gut. Und Wasser aus Plastikflaschen soll man wegen der Mikro- und Nanoplastik ohnedies meiden (siehe meine zahlreichen Blogs darüber aus 2024).

Literatur

(1) Julie Steward: New Study Links Sweetener to Heart Risk: What to Know.
Medscape Medical News, August 09, 2024

(2) Helmut Schatz: Der Süßstoff Erythrit ist mit erhöhterem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert.
DGE-Blogbeitrag vom 2. März 2023

(3) Marco Witkowski et al.: The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk.
Nature Medicine published online: 27 February 2023. https://doi.org/10.1038/s41591-023-02223-9

Posted on by Prof. Helmut Schatz
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