Bochum, 3. August 2016:
Im der Zeitschrift „Lancet“ vom 30. Juli 2016 erscheint die Metaanalyse von vier großen prospektiven Studien an insgesamt 135 000 Menschen, mittleres Alter 55 Jahre aus 49 Ländern, über im Mittel 4.2 Jahre. Diese greift ein Dogma an. Sie verglich den täglichen Kochsalzkonsum, erfasst als Natriumausscheidung im Urin, und Herzkreislauf-Ereignisse sowie Gesamttodesfälle bei ~64 000 Menschen mit Bluthochdruck und die Ergebnisse bei ~69 000 ohne Hypertonie. Während bei Hochdruckpatienten im Vergleich zu mäßiger Natriumausscheidung von 4 bis 5 g/Tag unter höheren täglichen Natriummengen die Ereignisrate erwartungsgemäß stieg, war dies bei Menschen mit normalem Blutdruck nicht der Fall. Bei Natriummengen <3g/Tag wurden Herzkreislauf-Ereignisse und Gesamttodesfälle hingegen sowohl bei Menschen mit als auch ohne Bluthochdruck erhöht (1).
Über eine U-förmige Assoziation zwischen Natriumausscheidung im Urin und Herzkreislauf-Ereignissen sowie Mortalität wurde schon seit längerer Zeit berichtet. Man hatte aber nicht zwischen Menschen mit und ohne Hypertonie unterschieden. In der jetzigen Metaanalyse wurden die Daten folgender vier Studien blutdruckgetrennt analysiert: PURE, EPIDREAM, ONTARGET und TRANSCEND (Lit. siehe bei 1). In allen wurden morgens nüchtern im Urin Natrium und Kalium in zentralen Laboratorien gemessen und auf den 24h-Urin – als Parameter der täglichen Kochsalzeinnahme – nach der „Kawasaki-Formel“ (siehe 1) hochgerechnet. Der Blutdruck wurde mit gleicher Technik basal 2x bestimmt; Menschen mit Werten ab 140/90 oder unter Hochdruckmedikamenten wurden der Hypertonie-Gruppe zugeteilt. Der primäre Komposit-Endpunkt umfasste Tod, Myokardinfarkt Schlaganfall und Herzinsuffizienz.
Die Ergebnisse zeigt Abbildung 1. Auf der Abszisse ist die Natriumausscheidung aufgetragen, auf der Ordinate doe Hazard Ratio für den Komposit-Endpunkt (aus Mente et al., Lit. 1). Man erkennt, dass die wenigsten Ereignisse bei einer täglichen Natriumausscheidung von etwa 5 g (5000 mg) beobachtet wurden, unabhängig vom Blutdruck. Umgerechnet auf Kochsalz entsprechen 5 g Salz 2.3g Natrium. Während aber im Gesamtkollektiv (oberer Teil der Abbildung) und bei den Hypertoniepatienten (Mitte) vermehrte Salz- (Natrium-)zufuhr den Komposit-Endpunkt erhöhte, war dies bei den Normotonikern (unten) nicht der Fall. In allen drei Gruppen stieg bei niedriger Natriumzufuhr, unter ~3000 mg/Tag, die Ereignisse an, auch bei den Normotonikern.
Kommentar
Die erste Arbeit, die das Salzdogma „the lower the better“ in Frage stellte, stammt von einer europäischen Populationsstudie, die bei niedrigem Salzkonsum eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität vorhersagte (2). Sie wurde vom Lancet abgelehnt mit der Begründung sie „trage wenig zu unserem Verständnis des Zusammenhangs zwischen Salz und Erkrankungen bei und …… die Resultate der Arbeit sollten weder unser Denken noch unsere Praxis ändern“. Ein typisches Beispiel für den „Semmelweis-Reflex“ (3) ! Weitere Studien wiesen in der Folge in gleicher Richtung. O´Brien zitiert diese alle in seinem Kommentar (4) zur Mente-Arbeit (1).
Soll man nun anstreben, den Salzverbrauch einer ganzen Bevölkerung zu reduzieren, damit die Hypertoniker davon profitieren, während Normotoniker von einem höheren Kochsalzkonsum keinen Schaden haben (siehe unterer Teil der Abbildung 1)? Dies ist eine gesundheitspolitische Frage. Zuwenig Salz sollte es nach der neuen Arbeit keineswegs sein. Dies dürfte sich in Deutschland aber kaum finden. Brot, Wurst und andere Fleischwaren, Käse und Milchprodukte enthalten reichlich Kochsalz (Faustregel: 1 Scheibe Brot enthält ~1g Kochsalz). Für den täglichen Salzkonsum in Deutschland findet man folgende Zahlen: Eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung vom 19. Oktober 2011 nennt für Männer durchschnittlich 9 g, für Frauen 6.5 g Salzaufnahme pro Tag und empfiehlt, diesen auf 3.5 bis maximal 6 g zu reduzieren (5). Eine Mitteilung der Verbraucherzentrale (6) zitiert eine Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, nach der die durchschnittliche tägliche Kochsalzaufnahme für Männer bei 10 g und für Frauen bei 8.4 g liegt. Über 75% der Männer und fast 70 % der Frauen würden die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Obergrenze von 6 g /Tag überschreiten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rät, nur 5 g täglich zu sich zu nehmen (6).
Was soll man sich nun verhalten? Wer eine Hypertonie hat und/oder blutdrucksenkende Medikamente nimmt, soll Salz meiden oder nur knapp verwenden. Menschen mit normalem Blutdruck – und ohne Herzinsuffizienz – können so essen, wie es ihnen schmeckt.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Mente A et al.: Associations of urinary sodium excretion with cardiovascular events in individuals with and without hypertension: a pooled analysis of data from four studies.
Lancet 2016. 388:465 ff.
(2) Stolarz-Skrzypek K et al.: European project on genes in hypertension (EPOGH). Fatal and nonfatal outcomes, incidence of hypertension, and blood pressure changes in relation to urinary sodium excretion.
J. Amer. Med. Assoc. 2011. 305:1777 ff.
(3) Schatz H: Die ‚Affaire Semmelweis‘ – Parallelen zwischen seinem akademischen Schicksal und dem Nobelpreis für ‚Medizin‘.
Kommentar zum DGE-Blogbeitrag vom 18. Juni 2016
(4) O´Brien E: Salt – too much or too little?
Comment. Lancet 2016. 388:439 f.
Schlimm ist, dass viele Menschen eine große Menge Fertigessen zu sich nehmen und so auch automatisch viel Zucker & Salz in den Organismus gelangt. Wer selber kocht und sich gesund & ausgewogen ernährt, der kann auch gerne mal den Salzstreuer zum Einsatz kommen lassen.
Menschen die sich aus der Dose oder der Mikrowelle ernähren, solltest tunlichst, weiteres Salz in der Ernährung vermeiden.
Beste Grüße
Michael Coenen | Ernährungsberater