Bochum, 22. September 2016:
Der 52. EASD-Kongress in München fand unter der Tagungspräsidentschaft unseres DGE-Mitgliedes Prof. Hans Hauner, München statt. Er war hervorragend organisiert und bot eine Fülle von neuen Daten. Der Europäische Diabeteskongress ist weltweit der grösste Fachkongress der Diabetologie und die Referenten, Vortragenden und übrigen Teilnehmer/innen kamen aus vielen außereuropäischen Ländern, insbesondere auch den USA.
Von den Preisvorträgen soll hier auf den „Diabetes Price for Excellence“ eingegangen werden, der zum 2. Mal von der EASD / NOVO NORDISK FOUNDATION verliehen wurde. Jungforscher aufgepasst: Der Preis hatte die stolze Summe von 800.000 Euro, davon 150.000 Euro für den Preisträger und 650.000 Euro für seine zukünftigen Forschungen an der Universität von Exeter, UK. Der Vortrag wurde von Professor Andrew Hattersley gehalten mit dem Titel: Defining Heterogeneity in Diabetes to improve clinical care (1). Der Preisträger startete 1995 mit Forschungen über monogenetische Diabetesformen und beschrieb die Mutation Kir6.2 im Gen für den ATP-abhängigen Kaliumkanal der Betazellen. Diese Mutation bewirkt einen Neugeborenen-Diabetes, der nicht durch Insulin, sondern mit Sulfonylharnstoffen, welche den Kaliumkanal schliessen, zu behandeln ist, etwa mit 7.5 mg Glibenclamid. Der Effekt erwies sich auch nach 10 Jahren als unverändert und selbst eine 40-fach höhere Dosis rief keine ernsteren Hypoglykämien hervor. Die Forschungen von Hattersley gingen in die Leitlinien ein: Bei einem Neugeborenen-Diabetes, der länger als 6 Monate dauert, soll eine genetische Untersuchung erfolgen, welche weltweit kostenlos über die Wellcome Foundation angeboten wird. Bisher wurden 1717 Personen aus 87 Ländern getestet. Gegewärtig sind 24 Gene für den Neugeborenen-Diabetes bekannt. In der „Vor-Genetik-Ära“ war der von Tattersall 1974 beschriebene, nicht-insulinabhängige Diabetes vor dem 25. Lebensjahr bekannt, der „Maturity-Onset Diabetes of the Youth“ (MODY). Heute weiss man, dass 22% durch Mutationen im Gen für die Glukokinase, den pankreatischen Glukosesensor bedingt sind und 66% durch genetisch veränderte, unterschiedliche Transskriptionsfaktoren. Die MODY-Differenzialdiagnose ohne Genetik sei schwierig, es gibt keinen „cut-off“ von Einzelkriterien wie etwa Manifestationsalter oder Body-Mass Index. Deshalb steht eine „App“ für die „MODY Probability“ zur Verfügung, die etwa auch von Frau Dr. Marianne Ehren und weiteren Mitarbeiter/innen in der Diabetesambulanz der alten Bochumer Klinik des Referenten verwendet wird.
Wie wichtig die exakte Diabetesdiagnostik ist, demonstrierte Hattersley an der neuen britischen Premierministerin, Frau Theresa May, die er auch im Bild zeigte. Als diese mit 56 Jahren einen Diabetes bekam, wurde sie über ein Jahr lang als „Typ-2- Diabetes“ erfolglos mit oralen Antidiabetika therapiert, bis die Diagnose eines Typ-1-Diabetes gestellt wurde. Heute behandelt sich die Premierministerin mit einer intensivierten Insulintherapie mit 4 täglichen Injektionen. Diabetes-Antikörper helfen nicht durchgehend bei der Differenzialdiagnostik eines neu aufgetretenen Diabetes bei Erwachsenen und Älteren, die Inselzellantikörper schon gar nicht und auch nicht immer die GAD-Antikörper. Letztere hätten zwar eine Spezifität von 97%, aber eine Sensitivität von nur 66%. Auch genetische Risiko-Scores für Typ-1-Diabetes hätten eine zu starke Überlappung und seien unbrauchbar. Man möge sich an die von Hattersley gezeigte Statistik halten: Der Typ-1-Diabetes tritt über alle der 6 geprüften Lebensdekaden in gleicher absoluter Häufigkeit auf. In einer oralen Präsentation aus seinem Institut in Exeter wurden in einer oralen Präsentation 2 Tage später von Nicholas J. Thomas und Mitarbeitern die genetischen Daten aus der UK Biobank im Detail vorgetragen (2). Diese zeigen, dass etwa die Hälfte aller Fälle von Typ-1-Diabetes erst nach dem 30. Lebensjahr auftritt. Deshalb sollten Ärzte bei einem neu aufgetretenen Diabetes bei Erwachsenen nicht immer automatisch in der Annahme eines Typ-2 Diabetes die Behandlung mit Metformin beginnen.
Die Daten aus der UK Biobank unterstreichen Hattersley´s Eingangssätze zu seinem Vortrag: „Die Priorität der Diabetologie und der Diabetologen liegt heute immer noch auf dem Gebiet der Therapie. Die Diagnostik findet viel zu wenig Beachtung“. Er verwies auf die Onkologie, in der die molekulargenetische Diagnostik im Vergleich zur onkologischen Therapie einen viel grösseren Teil ausmache als in der Diabetologie. Hattersley´s Postulat: „Diabetologen sollten ihre Therapie nach der Ursache und nicht nur nach der Blutzuckerhöhe ausrichten“.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Andrew Hattersley: Defining heterogeneity in diabetes to improve clinical care.
Preisvortrag auf dem EASD-Kongress München, September 2016
(2) J. Thomas et al.: Classifying diabetes by type 1 genetic risk shows autoimmune diabetes cases are evenly distributed above and below 30 years of age.
Vortrag OP 264 auf dem EASD-Kongress München, 16. September 2016
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