Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Hörgeräte verringern das Demenz-Risiko – Pathophysiologische Hinweise aus der Neurophysiologie


Bochum, 16. Mai 2023:

Vor einigen Tagen wurde im DGE-Blog berichtet, dass  man schon länger versucht, die Alzheimer-Demenz in ihren Frühstadien mit dem GLP-1-Analog Semaglutid zu behandeln (1). Zum Thema Demenz erschien jetzt im April/Mai 2023 im Lancet/Public Health eine longitudinale Kohortenstudie an 437.704  Personen aus der UK Biobank über Demenz und Hörverlust (2).  Verglichen mit  gematchten Personen ohne Hörverlust hatten diejenigen mit Hörverlust ohne Hörgeräte ein erhöhtes Risiko an Demenz (HR 1.42; 95% CI 1.29-1.56), nicht aber Personen mit Hörverlust, die Hörgeräte trugen (1.04; 0.98-1.10). Die positive Assoziation wurde für Demenz jeglicher Ursache gefunden, und auch für spezielle Subtypen wie bei Alzheimer-Erkrankung, vaskulärer Demenz sowie bei Demenz  ohne Morbus Alzheimer und bei nichtvaskulärer Demenz.

Der geschätzte attributable Anteil des Hörverlusts an der Entwicklung einer Demenz betrug bei den Personen mit einem Hörverlust, die keine Hörgeräte trugen, 29.08%. Von der Gesamt-Assoziation zwischen dem Tragen eines Hörgeräts und der Verminderung der Demenz wurden nur 1.5%  durch eine Verringerung der sozialen Isolation, 2.3% durch eine Reduktion der Einsamkeit und 7.1% durch eine Verringerung einer depressiven Stimmungslage erklärt. Nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Assoziation ließ sich somit durch eine Verringerung psychosozialer Probleme erklären.

Kommentar I

Weltweit betrifft ein Hörverlust (>/= 20 dB) etwa jeden zehnten Menschen zwischen 40 und 69 Jahren, 30% der über 65-Jährigen und 70-90% ab dem 85. Lebensjahr (2). Gegenwärtig läuft bei uns in Deutschland eine Welle von Einladungen zu  kostenlosen Hörtesten durch  Akustiker und  Hörgerätehersteller, und viele Augenoptiker wie etwa in Deutschland Fielmann oder andere auch in Österreich nehmen Hörgeräte mit den  nötigen Testungen in ihr Programm auf. Es scheint so zu sein, dass Hörgeräte zunehmend häufiger, bald wie Brillen angefordert werden.

Eine Assoziation zwischen Hörverlust und Demenz wurde schon vielfach publiziert (3). Dies entspricht auch den individuellen Erfahrungen vieler von uns In der hier besprochenen Arbeit aus der UK Biobank wird nun nahegelegt, dass bei Personen mit einem Hörverlust das Demenzrisiko durch das Tragen eines Hörgeräts verringert werden kann. Im begleitenden Kommentar  loben Gill Livingston und Sergi Costafreda schon im Titel einen  „huge progress“, weisen aber auch darauf hin, dass noch „more to do“ sei (4).

Helmut Schatz

Kommentar II

Taub und Doof haben sprachlich eine gemeinsame Wurzel. Der Zusammenhang ist also seit undenklichen Zeiten bekannt.
Zu neurophysiologischen Hinweisen, die immer wieder diskutiert werden: Glutamatrezeptoren sind entscheidend bei der Signalübertragung im optischen, akustischen und olfaktorischen System. Sie stabilisieren auch die Gedächtnisbildung. Störungen des Glutamathaushaltes, wie z.B. Glutamatintoxinationen, stören diese Funktionen bis zum Funktionsausfall. Glutamatantagonisten wie Memantine oder Ketamin werden daher erfolgreich bei Glutamatstoffwechselstörungen wie z.B. auch dem Gedächtnisverlust bei Demenz therapeutisch eingesetzt.
Es ist durchaus plausibel, dass Stimulationen glutamaterger Sinnesorgane zu Funktionsverbesserungen führen können.
Ein weites Feld!

Klaus Ehrenberger
o.Univ.-Prof. (emer.) Dr. med.
Direktor a. D. der Wiener Universitäts-HNO-Klinik

Literatur

(1) Helmut Schatz: Semaglutid in Frühstadium von Morbus Alzheimer?
DGE-Blogbeitrag vom 11. Mai 2023

(2) Fan Jiang et al.: Association between hearing aid use and all-cause and cause-specific dementia: an analysis oft the UK Biobank cohort.
Lancet Public Health 2023 ; 8:e329-38 published online April 13, 2023. Printed: May 2023

(3) BSY Yeo et al.: Association of hearing aids and cochlear implants with cognitive decline and dementia: a systematic review and meta-analysis.
JAMA Neurol 2023;80:134-141

(4) Gill Livingston, Sergi Costafreda, Comment: Preventing dementia through correcting hearing: huge progress but more to do.
Lancet Public Health. Published online April 13, 2023. Printed: May 2023

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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Eine Antwort auf Hörgeräte verringern das Demenz-Risiko – Pathophysiologische Hinweise aus der Neurophysiologie

  1. Rudi Sterzer sagt:

    Interessant, dass es diese Assoziation zwischen Hörverlust und Demenz gibt. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass man schneller abbaut, wenn man nicht so gut hört. Ich bin daher froh, dass sich meine Großeltern für ein Hörgerät entschieden haben.

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