Eine große dänische Studie kritisch betrachtet.
Bochum, 16. August 2023:
In einer Nested Case Control Study (1) wurden aus zwei dänischen nationalen Registern die von 2000 bis 2018 erfassten Frauen mit Demenz (n= 5589) nicht-dementen Kontrollen (n= 55.890) gegenübergestellt. Frauen mit einer Vielzahl von gynäkologischen und anderen Erkrankungen wurden ausgeschlossen. Die Einnahme von postmenopausalen weiblichen Hormonen (Östrogen und Progestin) gleich in welcher Art (kontinuierlich oder zyklisch) und wie lange (auch nur kurze Zeit nach Menopauseneintritt) war mit einem höheren Demenzrisiko verbunden.
Das Risiko betraf Demenz, aus den Akten erfassbar in 3 Kategorien: Demenz jeglicher Ursache, late-onset-Demenz und Alzheimer-Demenz (~1/3 der Fälle), siehe Abbildung 1. Das Alter bei Diagnose betrug im Median 70 (66-73) Jahre. Verglichen mit der Kontrollgruppe hatten die Patientinnen der Demenzgruppe kürzere Erziehungszeiten, geringeres Haushaltseinkommen, lebten des Öfteren allein und hatten häufiger Bluthochdruck, Diabetes und Schilddrüsenerkrankungen. Diese sind potenzielle Confounders für eine Demenzentwicklung. Mit steigender Dauer der Hormoneinnahme nahm die Hazard Ratio (HR,, 95% CI) zu. (Abbildung 1, aus Lit.1)
Für Frauen ausschließlich von 55 Jahren und darunter ergab sich das gleiche Resultat (Demenz jeglicher Art; Abbildung 2 aus Lit.2)
Behandlung nur mit Progestin oder vaginalem Östrogen waren nicht mit der Entwicklung einer Demenz assoziiert.
Kommentar
Die Women´s Health Initiative Memory Study (WHIMS, Lit. 2) berichtete ein erhöhtes Demenzrisiko, wenn die postmenopausalen Frauen 1 Jahr lang Östrogen und Progestin eingenommen hatten; für die Gabe von Östrogen und Progestin auch für kurze Zeit entspricht sie der hier referierten dänischen Studie (1). Das Studienalter lag allerdings bei über 65 Jahre. Zwei weiter neuere Studien fanden auch eine Assoziation zwischen weiblichen Hormonen und Demenz, allerdings nur bei längerfristiger Hormoneinnahme (3, 4). Da in diese Studien aber auch viele Patientinnen >/=80 Jahre aufgenommen wurden, erlauben sie keine Aussage über das Demenzrisiko bei nur kurzzeitiger Hormonzufuhr nach Menopauseneintritt.
Der Vorteil der dänischen Studie liegt in der großen, nationenweiten, unselektierten Erfassung, ein Nachteil, dass oft unspezifische Demenz-Diagnosen vorlagen. So betrug der Anteil an Alzheimer-Patientinnen im Gesamtkollektiv nur 26%, während man etwa 70% zu erwarten hat. Auch war aus den Unterlagen die vaskuläre Demenz nicht von anderen Demenzarten abzugrenzen. Ebenso war das Menopausenalter nicht zu eruieren. Man erfasste aber die Altersgruppe von 45-55 Jahre getrennt, was vorher in Studien nicht erfolgt war.
Commentary: Menopausal hormone therapy and dementia
Kejal Kantarci und JoAnn E. Manson (5)
(Transcript edited by JoAnn E. Manson (6)
A Causal link is unlikely:
Es wird eingangs hervorgehoben, dass die Alzheimer-Erkrankung bei Frauen doppelt so häufig vorkommt wie bei Männern und eine Hormonexposition in der Lebensmitte zum gesteigerten Demenzrisiko beitragen könnte. Während in der WHIMS (2) der Einsatz von Östrogen plus Progestin zu einer Verdopplung des Demenzrisiko bei Frauen über 65 Jahre führte, war dies nicht der Fall bei Frauen von 50-55 Jahren (WHIMS of Younger Women, WHIMS-Y). In zwei weiteren randomisierten Studien (siehe 5) mit Östrogen-Progesteron-Behandlung kurz nach der Menopause wurde die kognitive Funktion der Frauen auch nicht beeinträchtigt; allerdings ist noch das Langzeit-Outcome zu beobachten. Man muss auch nicht erfasste Einflussfaktoren/Confounders bedenken. Dass ein erhöhtes Demenzrisiko nach Hormonzufuhr von weniger als 1 Jahr auftritt, ist biologisch nicht sehr plausibel. Ungefähr 2/3 aller Frauen haben in der Zeitspanne um den Eintritt der Menopause kognitive Schwierigkeiten. Und Frauen mit subjektiven gestörter Kognition, vasomotorischen Symptomen oder Schlafstörungen könnten häufiger Abhilfe in der Hormoneinnahme suchen als die ohne solche Symptome. In einem aktuellen Review von Stute et al., dem Daten aus 2 neuen Metaanalysen mit 16 respektive 18 Studien sowie 8 weitere Studien zugrunde lagen, zeigt sich sogar ein günstiger Effekt einer Hormon(ersatz)therapie auf Risikofaktoren für eine demenzielle Entwicklung (7).
Frühere Observationsstudien haben widersprüchliche Ergebnisse über Risiken und Vorteile einer Hormontherapie bezüglich Kognition und Demenz ergeben. Obwohl die dänische Studie sehr sorgfältig unter Verwendung von nationalen Registern erfolgte, zeigen die gefundenen Assoziationen keine Kausalität zwischen Hormongabe und Demenz auf. Man sollte also die Resultate nicht in der Therapiebesprechung („shared decision“) bei Menopausensymptomen verwenden. Randomisierte klinische Versuche liefern die stärkste Evidenz für einen möglichen Effekt der Gabe von weiblichen Hormonen auf die Demenz. Gehirnuntersuchungen mit den heute verfügbaren Techniken sind einzusetzen, um den Einfluss von Hormonen auf das Demenzrisiko bei postmenopausalen Frauen weiter zu untersuchen.
Literatur
(1) Nelsan Pourhadi et. al.: Menopausal hormone therapy and dementia: nationwide, nested case-control study.
BMJ 2023;382:e072770 doi: 10.1136/bmj-2022-072770
(2) Shumaker SA et al.: Women´s Health Initiative Memory Study (WHIMS). Conjugated equine estrogens and incidence of probable dementia in mild cognitive impaiment in postmenopausal women.
JAMA 2004;291:2947. Doi: 10.1001/jama.291.24.2947
(3) Savolainen-Peltonen H. et al.: Use of postmenopausal hormone therapy and risk of Alzheimer´s disease in Finland: nationwide case-control study.
BMJ 2019;364:1665. doi: 10.1136/bmj.166
(4) Vinogradova Y. et al.: Use of menopausal hormone therapy and risk of dementia: nested case-control studies using QResearch and CPRD databases.
BMJ 2021;374:n2182. doi: 10.1136/bmj.n2182
(5) Kejal Kantarci, JoAnn E. Manson: Menopausal hormone therapy and dementia.
BMJ 2023;381:p1404. doi: https://doi.org/10.1136/bmj.p1404 (published 28 June 2023)
(6) JoAnn E. Manson: Commentary: Hormone Therapy and Dementia: Novel Insights.
Medscape – Jul 28, 2023
(7) Stute p: et al.: Cognitive health after menopause: Does menopausal hormone therapy affect it? Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2021; 35(6):101565. Doi: 10.1016/j.beem.2021.101565
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