Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

Bitte beachten Sie den Haftungsausschluss für medizinische Themen.

Hormonmessungen im Speichel selbst anfordern und Beratung durch Heilpraktiker?


Bochum, 24. Oktober 2021:

Im gestrigen Blogbeitrag (1) wurde über Untersuchungen von Endokrinologen aus Essen zur Wertigkeit einer nächtlichen Cortisolbestimmung im Speichel für die Diagnostik eines Hypercortisolismus (2) berichtet.

Hier soll in diesem Zusammenhang über eine Erfahrung in der eigenen Praxis des Referenten (H.S.) mit Hormonspeichelmessungen berichtet werden: Kürzlich kam ein Patient mit Hypogonadismus zu mir in die Praxis und legte eine grössere Zahl von Speicheltest-Ergebnissen vor, die er bei der Hamburger Firma VERISANA selbst auf eigene Kosten hatte bestimmen lassen. Bei ihm wurden Testosteron, Cortisol, Progesteron, Östradiol, DHEA und noch weitere Hormone gemessen. Im Kommentar dazu stand, er hätte einen „verminderten Progesteron/Östrogen-Quotienten“, was den Patienten sehr verängstigte. Ich ließ die für ihn relevanten Hormonwerte in meinem Hormonlabor im Serum messen, konnte ihn dann beruhigen und machte einen Therapievorschlag. Ursache seines Hypogonadismus, an dem er schon jahrzehntelang litt war eine Mumpsorchitis, die bei ihm, was selten vorkommt, beidseitig war.

Alle von mir wegen Speichelhormon-Messungen telefonisch befragten Endokrinologen antworteten, dass sie keine Hormonbestimmungen im Speichel machten oder machen ließen mit Ausnahme von Cortisol-Tagesprofilen. Die gestern im DGE-Blog referierte Arbeit aus Essen bestätigt den diagnostischen Wert dieser Hormonmessung im Speichel.

Ich sah daraufhin interessenshalber im Internet nach und fand unter „VERISANA“, wo mein Patient die Speichelhormonwerte angefordert hatte, folgende Eintragungen:

***

VERISANA Hamburg:
Fachlabor für Hormonspeicheltests Speicheltests zu Hause durchführen. Einfach & Schnell. Naturheilkundlich. Qualitativ hochwertig. Typen: Hormontests, Darmgesundheits-Tests.                                                                                                                                                                   

„Unsere Lösung: Die gute Nachricht: Sie müssen dies nicht einfach so hinnehmen!

Es darf keine Normalität sein, sich über Jahre hinweg krank und kraftlos zu fühlen. Deshalb haben wir das Verisana-Labor etabliert – wir helfen Ihnen dabei Ihre Gesundheit wieder selbst in die Hand zu nehmen“.

Der Kit für einen „Hormongesamtstatus“ kostet dort 188,79 Euro. Beschrieben wird er folgendermaßen:

„Der Hormongesamtstatus bietet Ihnen die Möglichkeit, Ihren Hormonhaushalt umfangreich auf 5 wichtige Hormone zu testen und eventuelle Ungleichgewichte zu identifizieren:

1.) Progesteron (1x)
2.) Östradiol (1x)
3.) DHEA (1x)
4.) Cortisol (5x)
5.) Testo (1x)

Dysbalancen bei Hormonwerten können u.a. Ursache für chronische Erschöpfung, Hautprobleme, Depressionen oder auch Menstruationsbeschwerden bzw. Potenzprobleme sein.“

„Welche Hilfestellungen bekomme ich zu meinem Befund?

Wir empfehlen stets, die erhaltenen Ergebnisse mit einem erfahrenen Arzt oder Heilpraktiker zu besprechen. Sollten Sie keinen Therapeuten haben, kontaktieren Sie uns gerne und wir bemühen uns den Kontakt zu einem Heilpraktiker in Ihrer Nähe herzustellen. Alternativ können Sie bei uns zusammen mit dem Test oder auch nachträglich allgemeine Therapieempfehlungen erwerben. Diese enthalten Schritt-für-Schritt Anleitungen, wie Sie die hormonelle Balance mit Ernährung und naturheilkundlichen Mitteln wiederherstellen können“.

***

Kommentar

Sind Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, schon von Patienten wegen selbst eingeholten Speichelmesswerten angesprochen worden? Diese gibt es für eine erstaunlich viele Hormone und Faktoren (siehe bei Google: VERISANA). Bei mir war es das 1. Mal.

Dem Referenten stellt sich die Frage: Wozu braucht man Endokrinologen, wenn man Hormone im Speichel selbst bestimmen lassen kann und dann ein Heilpraktiker über „Ernährung und naturheilkundliche Mittel“ berät?

Helmut Schatz

Literatur

(1) Helmut Schatz: Nächtlicher Cortisol-Speicheltest zur Diagnostik eines Hypercortisolismus.
DGE-Blogbeitrag vom 23. Oktober 2021

(2) Lukas van Baal et al.: Distinct Late-Night Salivary Cortisol Cut-Off Values for the Diagnosis of Hypercortisolism.
Horm Metab Res 2021; 53(10): 662-671

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Permalink.

11 Antworten auf Hormonmessungen im Speichel selbst anfordern und Beratung durch Heilpraktiker?

  1. Maja sagt:

    Eben. Meinen Sie nicht auch, daß die Endokrinologen, wie auch Ärzte anderer Fachrichtungen, sich selbst abschaffen, indem sie erstaunlich fest die Augen zumachen und nichts von der Funktion und der Bedeutung der Mikronährstoffe und Vitamine wissen wollen? Hätten sie nicht versagt, hätten die Patienten keine Heilpraktiker aufsuchen müssen, wenn sie Hilfe brauchen. Sie selbst sind an dem Vertrauensverlust maßgeblich beteiligt, da Sie seit Jahren versuchen, von Supplementation des Vitamins D3 als nicht nötig, bzw. gar schädlich, darzustellen und vergessen, daß die Patienten die unzähligen Studien zu dem Thema lesen, verstehen und sich selbst ein Bild machen können. Abgesehen davon, sind empirische Erfahrungen der Patienten oft vielfach aufschlußreicher, als Ihre einseitigen Tiraden über Nutzlosigkeit einer ausreichender Versorgung mit Vitaminen und Mineralien. Die Zeiten der Götter in Weiß sind längst vorbei, Prof. Schatz. Auch dann, wenn sie keinen weißen Arztkittel mehr tragen.

  2. M. Merkel sagt:

    Ein hervorragender Beitrag im Blog und ein um so erstaunlicherer Kommentar von MAJA. Ich bin sehr froh, dass wir Endokrinologen uns in aller Regel streng auf der Basis wissenschaftlich nachgewiesener Methoden bewegen. Zu uns kommen auch immer mal wieder Menschen, denen solche „naturheilkundlichen“ Tests gedreht worden sind – ohne medizinische oder gar therapeutische Konsequenz. Der Trend zur Selbstdiagnostik ist nicht nur teuer sondern auch unsinnig und manchmal gefährlich.

  3. In der Frauenheilkunde haben wir schon länger mit den sog. Speichelmessungen zu tun. Hier werden dann von – offenbar Unwissenden – bemerkenswerte „Östrogendominanzen“ in der frühen Follikelphase diagnostiziert und entsprechende Progesteronsubstitutionen initiiert, manchmal sogar transdermal, wobei man eigentlich weiß, dass die transdermale Progesterongabe keine zuverlässigen Serumspiegel schafft. Es ist halt ein großer Markt. Während die niedergelassenen Frauenärzt*innen von einem Laborbudget reglementiert sind, steigt gleichzeitig der Bedarf einer „Laborkontrolle“ bei Patient*innen. Die Folge sind dann eben diese Speicheltests…bemerkenswerter Weise wird in dem Flyer eines der größten Anbieter eine Studie zitiert, deren Schlussfolgerungen die geringe Korrelation der Speichelwerte zum Serum ist. Hat aber vermutlich keiner dort gelesen.

  4. Sigrun Merger sagt:

    Ich begegne immer wieder Patienten, die eine Fülle von Speichel-, Blut- und Stuhltest (Mikrobiom) von Heilpraktikern aber auch als Selbsttest oder … bestimmen lassen, wofür sie oft viel Geld bezahlen. Die Interpretation der Ergebnisse ist dann aber schwierig und dann wird der Endokrinologe gebeten, hier einen Befund oder Therapie zu finden.
    hier finde ich verschiedene Dinge problematisch: Es sollte verpflichtend sein, dass nur jemand einen Wert bestimmen lassen kann, den er auch interpretieren kann.
    Ein Laborparameter lässt sich nur durch einen Befund/Erläuterung abrechnen.
    Wir könnten hier als Fachgesellschaft zumindest bezüglich der Hormonparameter vieles verbessern, wenn wir Menschen vermitteln würden, dass die Bestimmung eines Laborwerts eine Automatenleistung ist, für die eine Gebühr für den Mechanischen Ablauf erforderlich ist, dass aber die medizinische Leistung die Interpretation bzw. Befundung des Laborwerte in Zusammenhang ist, Rö-Bild ist auch kein Befund

  5. HS sagt:

    Solange Ärzte selbst einfache Werte völlig falsch deuten. Selbst bei bekannter Diagnose!
    So schafft man kein Vertrauen. Leider ist das kein Einzelfall, nimmt eher stetig zu (gefühlt).
    Da wäre mir stellenweise ein automatisch erzeugter Befund lieber. Leider auch wirklich vergleichbar mit Radiologie,
    da dort die Entwicklungen genau in die selbe Richtung laufen.

    Das gewisse Vitamine und co für reibungslosen Stoffwechsel notwendig sind, sollten Sie mal gehört/gelernt haben.
    Eigentlich müsste es doch erfreulich sein, wenn man dadurch so einfach einen Patienten wieder fit bekommt.

    Das etwas sich nicht selbst reguliert, wenn kaputt ist, ist ja selbst bei Ärzten noch nicht ganz angekommen.

    Weiteres Grundproblem, als evtl. Patient einen Termin zu bekommen. Aus dessen Not greift dieser natürlich
    nach jedem Strohalm.

    Viele Endokrinologen behaupten, sich auszukennen, was definitiv nicht
    gegeben ist. Dadurch verursachte Suizide interessiert dann keinen.

  6. Reimar Fritzen sagt:

    Ja, derartige Teste bekomme ich auch immer wieder vorgelegt und wie einige Kommentare hier erkennen lassen besteht ja auch eine Nachfrage nach Dingen die jenseits der schulmedizinischen Endokrinologie angeboten werden.
    Das Problem ist oft, dass der Patient berechigter Weise nach einer Erklärung für seine Beschwerden sucht, der schulmedizinisch tätige Arzt jedoch oft nur Ursachen ausschließen kann und die Beschwerden bleiben.

    Wenn dann Andere behaupten, sie könnten durch eine Speichelanalyse die Probleme klären wird das natürlich gerne angenommen. Die danach gegebenen Empfehlungen zur Ernährungsmodifikation, körperlicher Aktivität und Stressreduktion können auch durchaus günstig sein, sich sogar auf verschiedene messbare Stoffwechselparameter auswirken. Dass man diese Empfehlungen auch ohne Hormonspeicheltest geben kann steht auf einem anderen Blatt.

    Ein anderes Thema sind die Supplemente, dies hier weiter auszuführen erlaubt mir die Zeichenbegrenzung nicht.

  7. Maja sagt:

    Da fragt man sich natürlich sofort, warum wohl ein Arzt nicht nach Ursachen der Beschwerden sucht, stattdessen nur ein paar offensichtliche ausschließt und auf Glück hofft. Dafür aber Medikamente auf Verdacht zu verschreiben weiß. Müßte gerade ein Arzt nicht wissen, daß Symptome zu beseitigen/zu unterdrücken nichts mit einer korrekten Behandlung der Erkrankung zu tun hat? Wenn man aber nicht sucht, findet man auch nicht.

    Wie bereitwillig bleiben die Ärzte dadurch unwissend. Mit so einer Einstellung können sie auch nicht dazu lernen, daher bleiben sie auf dem Wissensspektrum aus dem Studium, auch nach jahrelanger Tätigkeit, sitzen. Was für eine Überraschung, daß die Patienten nicht mehr dorthin gehen, wo kein Erfolg zu erwarten ist. Ein Arzt, der genug Fachwissen besitzt, um heilen zu können. Was für eine überzogene Vorstellung!

  8. Wolfgang Kerner sagt:

    Es ist schon erschreckend wie zur Zeit die Pseudowissenschaften florieren. Jeder hat seine eigene Wissenschaft, deren hauptsächlicher Zweck es ist, von der etablierten Wissenschaft abzuweichen. Primär steckt dahinter in diesem Fall, wie so oft, das finanzielle Interesse einer Firma. Es interessiert wenig, ob die Eignung von Speicheltests zur Diagnose von Krankheiten bewiesen ist. Wenn aber damit Menschen wie MAJA glücklich werden, erfüllt das Ganze erstaunlicherweise auch einen anderen Zweck.

  9. Maja sagt:

    @Wolfgang Kerner

    Es ist schon erschreckend, wie wenig Sie von meinem obigen Kommentar verstanden haben, bzw. den Sinn nicht erfaßt haben. Abgesehen davon, persönlicher Exkurs untergräbt jegliche Sachlichkeit in der Debatte.

  10. Andreas Becker sagt:

    Das der Kit für einen „Hormongesamtstatus“188,79 Euro kostet, ist schon enorm.

  11. Georg Mansmann sagt:

    Vielleicht noch meine subjektive Sichtweise zum Thema Eigendiagnostik:
    Das Cortisol-Tagesprofil wird bislang fast ausschließlich wegen der Frage „Nebennierenschwäche“ oder Stress/Müdigkeit etc. angefordert. Nach Vorliegen des Testergebnisses mit seiner typischerweise abfallenden Kurve erfolgt dann eine Behandlung mit verschiedenen Supplementen, die die Nebennierenfunktion bessern sollen, und/oder eine Konsultation.
    Dass ein Tagesprofil in der Eigen-Bestimmung mit der theoretisch durchaus sinnvollen Fragestellung „Hypercortisolismus“ durchgeführt wurde, habe ich noch nie erlebt. Möglicherweise werden wir jetzt aber zunehmend Fragen bekommen, ob nicht vielleicht doch ein Cushing vorliegt (s. Blog vom 24. Januar 2023). Häufig wird ja erst ein Ergebnis generiert (hier Tagesprofil) und dann die klinische Fragestellung daraufhin angepasst (Habe ich eine Nebennierenschwäche – oder dann doch einen Cushing?). Das Schöne ist, es passt halt immer irgendwie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 Verbleibende Zeichenanzahl

Mit dem Absenden des Formulars erklären Sie sich mit der Verarbeitung der übermittelten Daten einverstanden. Details hierzu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.