Bochum, 5. März 2021:
Seit den 1960er Jahren, als die synthetischen Schilddrüsenhormonpräparate T4 und T3 die getrockneten Rinderschilddrüsenextrakte (wie Thyranon-Organon) ablösten, hält die Diskussion über eine Monotherapie mit T4 oder eine Kombination von T4 und T3 an. Lange Zeit verordneten die Ärzte Kombinationstherapien (mit z.T. recht hohem T3-Anteil wie in Novothyral-Merck), dann bevorzugte man die Monotherapie mit T4. Diese wird auch heute in den meisten Leitlinien empfohlen, wobei im Einzelfall Ausnahmen möglich seien. Man stützte sich auf zahlreiche Studien, die keinen Nutzen einer Kombinationstherapie bei Hypothyreose belegen konnten. Manche Patienten sind mit einer T4-Monotherapie aber unzufrieden und fordern von den Ärzten, auch T3 zu bekommen, entweder in Kombination mit T4, manchmal sogar als T3-Monotherapie.
Am 12. Februar 2021 wurde nun zu dieser Thematik ein Consensus-Dokument der Amerikanischen (ATA), Britischen (BTA) und Europäischen (ETA) Schilddrüsengesellschaft publiziert, welches auch das Ergebnis einer Konferenz vom 3. November 2019 wiedergibt (1). Zwölf Experten hatten vorliegenden 14 Studien analysiert und festgestellt, dass diese heutigen Studienanforderungen nicht immer genügten, und es fanden zusätzlich Umfragen statt. Das Ergebnis war die Forderung, die Therapieoptionen für die Hypothyreose erneut zu studieren. Die Autoren schreiben am Ende ihrer Publikation (1):
„Based on the presentation and discussion of these topics by the authors, we believe that there is equipoise for a new well-designed adequately powered clinical trial of combination therapy. Furthermore, patients and physicians have demonstrated an urgent strong interest in addressing the clinical problem of patients‘ dissatisfaction with the existing standard of care for thyroid hormone therapy. Additional physiological/translational data, informing the theoretical basis for potential combination therapy benefit, may be generated in parallel with planned or ongoing studies in order not to delay new studies in this area”.
Nach Abfassung diese Blogbeitrags erreicht den Referenten am heutigen Tage die Aufforderung, an einer Umfrage zur Verwendung von Levothyroxin in Europa teilzunehmen. Sie trägt den Titel “THESIS”: Treatment of Hypothyroidism in Europe by Specialists: an International Survey. Unten sei aus dem Text zur Aufforderung, an der Umfrage teilzunehmen, des Passus wiedergegeben, welcher von einer „ Evidenz gegen“ eine objektive Überlegenheit der T3-Behandlung spricht und dass nur LT4-Präparate den Vorteil (gegenüber T3) hätten, physiologische Schilddrüsenhormonwerte zu erzielen.
Man darf gespannt die Ergebnisse von neuen Studien und Umfragen zur Frage „T4-Monotherapie oder Kombination T4/T3 bei Hypopthyreose ?“ erwarten.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Jacqueline Jonklaas et al.: Evidence-Based Use of Levothyroxine/Liothyronine Combinations in Treating Hypothyroidism: A Consensus Document.
Thyroid, Vol. 31, No 2. Published online 12 Feb 2021.
https://doi.org/10.1089/thy.2020.0720
(2) THESIS: https://de.surveymonkey.com/r/QZBDFLP
Ich kann nur bestätigen, dass zunehmend hypothyreote Patienten sich unter T4-Monotrherapie nicht wohl fühlen und z.T. nach eigenen „Internet-Recherchen“ T3 in verschiedenen Dosierungen zu T4 dazu oder auch allein nehmen. Auch verlangen jetzt etliche nach Thyroid Armour, dem „natürlichen Hormon“ , einen Extrakt aus Schweineschilddüsen. Wie aus dem Blog zu entnehmen ist, gab es noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts solche Extrakte aus Rinderschilddrüsen..
Lieber Helmut,
die von Dir zitierte Passage ist seltsam. Wieso soll es „besorgniserregend“ sein, wenn Ärzte die Schilderung anhaltender Symptome ernstnehmen und die empfohlene Therapie auf dieser Grundlage ggf. leicht modifizieren?
Ich persönlich bin auch der Ansicht, dass die Standardtherapie in einer Monotherapie mit L-T4 besteht, aber man muss auch die Ausnahmen berücksichtigen. Die hier zitierte angebliche „Evidenz“ ist höchst fragwürdig. Studien vom Anfang des Jahrtausends verwenden eine zu hohe T3-Dosis, und diese auch nur einmal täglich, obwohl schon die T3-Kinetik zeigt, dass das nicht funktionieren kann. Es gibt Evidenz gegen eine falsch durchgeführte T3-Therapie aber nicht gegen die T3-Substitution an sich.
Die nachfolgende Literatur ist vielleicht hilfreich, um zu verstehen, warum nicht eine „Schuhgröße“ für alle passt:
Wiersinga WM. Paradigm shifts in thyroid hormone replacement therapies for hypothyroidism. Nat Rev Endocrinol. 2014 Mar;10(3):164-74. doi: 10.1038/nrendo.2013.258. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24419358/
Hoermann R, Midgley JEM, Larisch R, Dietrich JW. Lessons from Randomised Clinical Trials for Triiodothyronine Treatment of Hypothyroidism: Have They Achieved Their Objectives? J Thyroid Res. 2018 Jul 16;2018:3239197. doi: 10.1155/2018/3239197. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30174821/
Midgley JEM, Toft AD, Larisch R, Dietrich JW, Hoermann R. Time for a reassessment of the treatment of hypothyroidism. BMC Endocr Disord. 2019 Apr 18;19(1):37. doi: 10.1186/s12902-019-0365-4. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30999905/
Die meisten Studien einschließlich RCTs beziehen sich auf den Durchschnitt (der Population). Es ist aber schon lange bekannt, dass der „Durchschnitt“ kein gutes Maß der Thyreologie darstellt (1). Der objektive Fehler oder Blas einer Studie, der sich aus dem „falschen“ Gebrauch eines „Durchschnitts“ für eine Einzelperson ergibt, ist ebenso klar (2) und lässt sich berechnen (3).
1. Andersen S et al.. Narrow individual variations in serum T4 and T3 in normal subjects: A clue to the understanding of subclinical thyroid disease. J Clin Endocrinol Metab. 2002;87:1068-1072. doi:10.1210/jcem.87.3.8165
2. Fisher AJ et al.. Lack of group-to-individual generalizability is a threat to human subjects research. Proc Natl Acad Sci U S A. 2018;115:E6106-E6115. doi:10.1073/pnas.1711978115
3. Hoermann R et al.. Functional and symptomatic individuality in the response to levothyroxine treatment. Front Endocrinol (Lausanne). 2019;10:664. doi:10.3389/fendo.2019.00664
Ich möchte (aus dem Blickwinkel der Schilddrüsenselbsthilfe) dazu kurz anmerken, dass nach meiner Erfahrung etliche schwer einstellbare SchilddrüsenpatientInnen sowohl mit den hierzulande erhältlichen T3-T4-Kombinationspräparaten wie Novothyral als auch den NDTs der Receptura-, der Schloss- und der Klösterl-Apotheke oder auch den Schweine- bzw. Rinderthyroxinpräparaten aus dem Ausland oft nicht so gut zurecht kommen. Sehr viele nehmen beispielsweise ergänzend noch ein T4-Präparat hinzu, weil das Verhältnis von T3 zu T4 ansonsten nicht passt.
Es ist schade, dass nicht zunächst ein einfacherer und besser kontrollierbarer Weg gewählt wird wenn die T4-Monotherapie nicht zur Beschwerdefreiheit führt. Mit Thybon gibt es bekanntermaßen ein reines T3-Monopräparat. Mit einem handelsüblichen Tablettenteiler lassen sich die Tabletten auch vierteln, d.h. man erhält Einzeldosen von 5 µg T3. Morgens die gewohnte T4-Dosis und abends 5 µg T3 reicht oft aus um das Befinden nachhaltig zu verbessern.
@Nicole Wobker: Sie haben völlig recht., Thybon ist viel zu hoch dosiert. Ggf. rate ich meinen Pat. auch, die Tablette zu vierteln.
Viele amerikanischen Ärzte kennen sich im Gegensatz zu deutschen Kollegen gewohnheitsbedingt gut mit ihren Extrakten aus, die eine historische Zulassung besitzen. Deren Inhalt ist überwacht und standardisiert. Nicht zu verwechseln mit dem sog. „Compounding“, einer freien, vom Apotheker selbst-gefertigten Mixtur.
Wenn man einen guten FT3-Test zur Verfügung hat und zudem Erfahrung im Umgang besitzt (1), kann und sollte man neben der Klinik vor allem auch die im Verlauf gemessenen FT3-Werte einbeziehen, um Über/Unterdosierungen im Einzelfall zu vermeiden.
1. Larisch R et al. Symptomatic relief is related to serum free triiodothyronine concentrations during follow-up in levothyroxine-treated patients with differentiated thyroid cancer. Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2018;126:546-552. doi:10.1055/s-0043-125064
@RudolfHoermann
Genau diese Unkenntnis deutscher Ärzte ist ein Riesenproblem. Wenn sich weder Hausarzt, noch Endokrinologie oder Nuklearmediziner auskennen pilgern die hilfesuchenden Patienten stattdessen zu oft umstrittenen Ärzten die in der Schilddrüsenszene dafür bekannt sind NDTs zu verschreiben.
Aufgrund der wiederholten Lieferschwierigkeiten z.B. von Armour oder Westthyroid und des kostenintensiven Imports über internationale Apotheken steigen zudem die Marktanteile der Compounding-Apotheken. Interessanterweise scheinen zudem nicht wenige Ärzte und Patienten mehr Vertrauen darin zu haben, weil diese in Deutschland hergestellt werden.
Das Kernproblem – Patienten denen es mit der T4-Monotherapie unverändert schlecht geht – gerät dabei ins Hintertreffen.
Dafür gibt es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern zugelassene und preisgünstige synthetische T3-Präparate, so dass man diese gezielt und feindosiert einsetzen kann. Mit diesen wiederum kennen sich viele internationale Kollegen nicht aus. Ich denke, man ist bei solchen Vergleichen gut beraten Unterschiede in den Methoden, Therapiemöglichkeiten und Therapiegepflogenheiten anzusprechen.
Einen brauchbaren Lösungsansatz sehe ich, wie erwähnt, in der differenzierten Entscheidung der Zugabe und sehr gezielten Dosierung von LT3, soweit es im individuellen Fall erforderlich wird.
Man kann auch 1/2 Tabl. Prothyrid plus 1 Tabl. Levothyroxin- 50 geben, dann hat man 100 microgramm T4 und 5 microgrammT3.
Da einmalige T3-Dosis wenig sinnvoll ist, wie Dr. Dietrich oben schreibt, braucht man auch einen Mörser und eine Apothekenwaage, um die 5 Mikrogramm in mehrere Portionen aufzuteilen.
Sehr geehrter Prof. Hörmann,
das nächste Problem bei einer Kombitherapie tut sich auf, wenn es um den Zeitpunkt der Messung des fT3 geht. Den Wissenschaftler ist scheinbar nicht ganz klar, daß die Höhe des gemessenen fT3-Spiegels nicht nur von der Höhe der Dosis, sondern, vor allem, von der Länge der Karenz vor der Blutabnahme direkt abhängig ist. Erfolgt die Blutabnahme 2-6h nach Tabletteneinnahme, ergibt sich ein ganz anderes Bild, als wenn eine 24 h Karenz eingehalten würde. Widersprüchliche Studienergebnisse zur Kombitherapie sind vorprogrammiert, da die Karenz vor der Blutabnahme bei den Daten nicht berücksichtigt wird. Um eine einigermaßen sinnvolle, vor allem aber ganz praktikable, Beurteilung der Versorgung, außer der Klinik, erscheint das Gesamt-T3 zu messen. Empirisch bestätigt.
Man kann auch Thybon 20 mg 1/2 Tablette einnehmen und die nur jeden zweiten Tag. Das kommt mit der Halbwertszeit sehr gut hin und man benötigt keine Tablettenteiler um 5 mg als Ergänzung zum L-Thyroxin zu dosieren.
Man kann auch Thybon 20 mg 1/2 Tablette nehmen und diese nur jeden zweiten Tag. Das kommt mit der Halbwertszeit des Medikamentes sehr gut hin und erübrigt die mühsame und ungenaue Viertelung des Präparates, wenn man die Zugabe eines T3 Präparat es für erforderlich hält (und das scheint immer öfter in dieser niedrigen Dosis erfolgreich zu sein.)
Nicht alle Methoden sind geeignet, das stimmt leider. Bei guten Assays ist die Bestimmung der freien Hormone genauer (geringere Varianz). Bei LT3-Medikationen empfehlen wir die Einnahme erst nach der Blutabnahme, für LT4 weniger kritisch – der Zeitabstand wurde erfasst und untersucht (bereits zitiert).