Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Insulin-Fläschchen mit kurzwirkendem Humaninsulin / NPH-Insulin könnten nicht genügend Insulin enthalten: Eine Untersuchung in den USA


Bochum, 21. Januar 2018:

Eine Messung der Insulinkonzentration von Alan W. Carter (Kansas City) und dem DDG-Mitglied Lutz Heinemann (Düsseldorf) in 18 Fläschchen zweier etablierter Insulinfirmen, die in 5 Apotheken in den USA gekauft wurden, ergab überraschend niedrige Insulinmengen (1). Dabei wurden nur Fläschchen mit Humaninsulin (Normalinsulin / NPH-Insulin) untersucht. Da die Präparate vor Verlassen der Herstellerfirmen strengen Prüfungen unterliegen und nicht weniger Insulin als 95 E/ml in den 100 E/ml-Fläschchen/Patronen und Pens enthalten sein dürfen, ist die plausibelste Ursache wohl eine Unterbrechung in der Kühlkette, über die das Insulin vom Hersteller über die Großhändler bis zur Apotheken-Abgabe an die Patienten gebracht wird. Bei den Fläschchen variierte der Insulingehalt zwischen 13,9 und 94,2 E/ml, im Mittel lag er bei 40,2 E/ml.

Die Insulinmessung wurde mit einer massenspektrometrischen Methode durchgeführt (2) und nicht mit der Standardtechnik der amerikanischen Arzneibehörde (FDA) zur Insulinquantifizierung. Dies erklärt aber vermutlich nicht den geringen Insulingehalt der in den Apotheken abgegebene Insulinpräparationen. Die 18 der in fünf Apotheken gekauften Präparate wurden von drei verschiedenen Großhändlern geliefert. Assoziationen des Insulingehalts mit den Lieferanten oder Apotheken wurden nicht festgestellt.

Kommentar

Insulinformulierungen mit diesem Peptid sollen zwischen 2 und 8 Grad Celsius transportiert und vor der Abgabe an Patienten bei den Großhändlern und in den Apotheken geeignet aufbewahrt werden. Die Transportkette unterliegt in Deutschland der Kontrolle. Insulin darf nicht eingefroren werden, aber auch nicht zu warm gehalten werden und muß vor Licht geschützt sein, was bei originalverpackten Präparaten der Fall ist. Patienten dürfen Insulin also keinesfalls ins Tiefkühlfach legen oder die Packung zu warm werden lassen. Über 40 Grad Celsius wird Insulin abgebaut. Neu angebrochene Packungen können Patienten lichtgeschützt bei Raumtemperatur, Pens auch in der Kleidung bei normalen Temperaturen etwa 6 Wochen lang aufbewahren.

Eine Untersuchung wie in den USA sollte in größerem Stil sowie – trotz unserer kontrollierten Transportketten – in Deutschland und auch in Europa erfolgen, unter Einbeziehung von Analog- und Biosimilar-Insulinen der verschiedenen Hersteller. Die Insulinpräparate für die Testungen durch Carter und Heinemann stammten von den Firmen Novo Nordisk und Lilly, wie dem Beitrag in Medscape vom 15. Januar 2018 zu entnehmen ist (3).  In diesem Beitrag werden auch die Stellungnahmen von Sprechern der beiden Firmen abgedruckt. Wenn auch zu hoffen und anzunehmen ist, dass in Deutschland die in Apotheken abgegebenen Insulinpräparate korrekt die angezeigte Insulinmenge enthalten, sollten unsere Diabetespatienten vorsichtshalber jetzt einmal darauf achten, ob nach Verwendung von neuen Patronen/Fläschchen oder Pens sonst unerklärliche Blutzuckeranstiege auftreten und sie dann, gut geschult, die Insulindosis erhöhen mußten. Sie sollten dies dann auch ihrem Arzt berichten.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Alan W. Carter, Lutz Heinemann: Insulin concentration in vials randomly purchased in pharmacies in the United States: considerable loss in the cold supply chain.
J. Diabetes Sci Technol. Published online December 21, 2017

(2) E.E. Chambers et al.: Development of a fast method for direct analysis of intact synthetic insulins in human plasma: the large peptide challenge.
Bioanalysis 2013. 5(1):65-81

(3) Miriam E. Tucker: Insulin vials and pens may not contain sufficient insulin.
Medscape Januar 15, 2016.
http://www.medscape.com/viewarticle/891322_print

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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7 Antworten auf Insulin-Fläschchen mit kurzwirkendem Humaninsulin / NPH-Insulin könnten nicht genügend Insulin enthalten: Eine Untersuchung in den USA

  1. Helmut Schatz sagt:

    Die American Diabetes Association hat ein Statement verfasst, in dem sie ernsthafte Bedenken über den Artikel äußert:
    „The methodology for sample handling and preparation is minimally described. More important, there are serious concerns about whether the results match real-world experience and whether appropriate testing methods were used…..
    Based on these findings, we have no reason to believe that the results of Carter et al.’s study reflect the actual potency of human insulin widely available at retail pharmacies in the United States”

  2. Helmut Schatz sagt:

    Im Interview mit Medscape (siehe Lit. 3 oben) hat der Erstautor ALan W. Carter folgendes geäußert:

    „The analysis was done using a mass spectrometry method developed for measuring insulin in plasma, and not — as the Lilly statement noted — using the standard FDA reference method for determining insulin drug product quantities. Those methods, they note, are published and publicly available in the US Pharmacopeia“.

  3. Dr. Eberhard Draeger sagt:

    Bezüglich der massenspektrometrischen Identifikation der Moleküle wäre zu klären, inwieweit ausschließlich „das Insulinmolekül“ bestimmt wurde und evtl. biologisch aktive Insulinderivate (z.B. Desamido-Insulin) nicht erfaßt wurden bzw. nicht-aktive Abbauprodukte mitgemessen wurden. Gab es in den Behältnissen Hinweise auf Fibrillenbildung?

  4. Diese Daten sind erschreckend und aufrüttelnd. Klar, dass im Sinne der Verhinderung von Panik und Imageverlusten nun nach Gründen gesucht wird, warum diese Daten falsch sein könnten (Stichprobengröße, Probenverarbeitung, etc.). Wo die Wahrheit nun genau liegt, verrät uns die Arbeit zwar nicht, aber sie zeigt eine potenzielle Versorgungslücke auf, der bislang zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Der vorliegenden Arbeit geht ein rund 21 Monate zuvor erschiener Beitrags „Quality Control of Insulins and Biosimilar Insulins – What Do We Know?“ (J Diabetes Sci Technol. 2016 Jul; 10(4): 811–815. DOI 10.1177/1932296816638923) im gleichen Journal von -im Wesentlichen- denselben Autoren voraus. Dort fassen sie zusammen, dass ihrer Meinung nach Qualitätsprobleme bei Insulin-Produkten offener diskutiert werden sollten, und wünschen stärkere Bemühungen seitens der Zulassungsbehörden und der Hersteller, die bestmögliche Qualität zu erreichen. Als konkrete Vorschläge führen sie als erste Maßnahme unabhängige Qualitätskontrollen auf, bei denen der Proteingehalt bestimmt werden sollte. Der Beitrag schließt mit Ausruf: „Waiting for something bad to happen before we act is not an option, especially for insulin!“ Insofern stellt die nun vorgestellte Arbeit den logischen nächsten Schritt dar. Und mit diesen bestürzenden Daten soll natürlich auch ein weiteres Handeln provoziert werden, idealerweise eine flächendeckend unabhängige und systematische Kontrolle. (Aber wer soll das bezahlen?) Von Natur aus eher Optimist glaube ich auch an eine weniger düstere Realität und insbesondere im streng normierten deutschen Pharmaziewesen, aber überraschen würde es mich auch nicht, wenn eine solche Untersuchung in Deutschland ähnlich vernichtende Ergebnisse zu Tage fördern würde. Wie oft ist möglicherweise das schlechte Ansprechen auf Insulindosen doch nicht [bloß] auf BE-Fehleinschätzung, Insulin-Pumpenkatheter-Fehllage, Stress oder andere exogene Faktoren zurückzuführen?

  5. Prof. Dr. L. Heinemann sagt:

    Wir, d.h. die beiden Autoren des Artikels haben ein Antwortschreiben auf dieses Statement (und ein weiteres der Firma Eli Lilly) erstellte, welches in Kürze auf der Homepage der Zeitschrift JDST publiziert wird. Darin gehen wir auf die geäußerten methodischen Fragen ein.
    Lutz Heinemann

  6. Prof. Dr. L. Heinemann sagt:

    Bei der Analyse wurde nicht ausreichend Wert auf die Messung solcher Insulinderivate gelegt. Bei einer erneuten Messung würde dies erfolgen. Fibrillen wurden in den Insulinfläschchen keine gesehen.

  7. Prof. Dr. L. Heinemann sagt:

    Vielen Dank für Ihre Kommentare (die ich erst gerade gelesen habe).

    Lutz Heinemann

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