Bochum, 6. Februar 2013: Vorgestern erschien online (1) eine Auswertung der Daten von ~380 000 Männern und Frauen aus einer Studienpopulation der National Institutes of Health (NIH), die über 12 Jahre nachverfolgt wurden. Die Einnahme von Kalzium ab 1000 mg/Tag war bei Männern mit einem um 20% höheren Mortalitätsrisiko an kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert, nicht jedoch bei Frauen. Die Autoren fordern weitere Studien, um der Ursache für diesen Geschlechtsunterschied, wenn er sich bestätigen sollte, nachzugehen.
Dr. Susanna Larsson vom Karolinska-Institut Stockholm weist in ihrem Invited Commentary (2) darauf hin, dass in der ursprünglichen Analyse der Women´s Health Initiative Calcium Vitamin D (WHI CaD)-Studie auch kein signifikanter Unterschied bei kardiovaskulären Ereignissen zwischen den Frauen gefunden wurde, die Kalzium und Vitamin D oder keine Supplemente eingenommen hatten (3). Eine erneute Betrachtung der WHI CaD-Studie zeigte jedoch, dass über die Hälfte der Teilnehmerinnen bei Studienbeginn bereits von sich aus Kalzium und Vitamin D zu sich genommen hatten. Sie wurden aber nicht angewiesen, dies zu beenden, wenn sie in die Placebo-Gruppe randomisiert worden waren. Die Reanalyse unter Berücksichtigung dieser Tatsache ergab jetzt eine signifikante Assoziation zwischen dem Herzinfarktrisiko und der Einnahme sowohl von Kalzium als auch Vitamin D für Frauen (4). Ähnliche Befunde wurden unter anderem auch an finnischen Frauen erhoben (5, ebenso in Deutschland in der Heidelberg-Kohorte der EPIC-Studie (6).
Kommentar des Referenten
Kalzium und Vitamin D stellen die Basistherapie bei Osteoporose dar, wenn auch heute der Schwerpunkt eher auf der Gabe von Vitamin D liegt. Über die Knochengesundheit hinausgehend nehmen aber sehr viele Menschen Kalzium zu sich, nach einer Erhebung aus dem Jahre 2012 knapp die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung (7). Daher kommt den Befunden eines erhöhten kardiovaskulären Risikos bei Kalziumsupplementierung ab 1000 mg täglich eine große Bedeutung zu. Es gibt aber auch zwei prospektive Studien aus den USA mit gegenteiligen Befunden (8,9). Daher sollte man, zumindest zur Zeit, Kalzium besser mit der Nahrung und nicht durch Supplemente zuführen (2). Fettarme Milchprodukte, Bohnen und grünes Gemüse stellen gute, natürliche Kalziumquellen dar.
Helmut Schatz
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Literatur:
(1) Qian Xiao et al.: Dietary and supplemental calcium intake and cardiovascular disease mortality. The National Institutes of Health – AARP Diet and Health Study
JAMA INTERN MED published online February 4, 2013
http://archinte.jamanetwork.com/on02/07/2013
(2) S.C.Larsson: Invited Commentary: Are calcium supplements harmful to cardiovascular disease? JAMA INTERN MED published online February 4, 2013
http://archinte.jamanetwork.com/on02/07/2013
(3) M.J. Bolland et al.: Vascular events in healthy older women receiving calcium supplementation: randomized controlled trial.
Brit. Med. J. 2008. 336 (7638):262-266
(4) M.J. Bolland et al.: Calcium supplements with or without vitamin D and risk of cardiovascular events: reanalysis of the Women´s Health Initiative limited dataset and meta-analysis.
Brit.Med. J. 2011. 342:d2040
(5) K.Pentti et al.: Use of calcium supplements and risk of coronary heart disease in 52-62 year old women: the Kuopio Osteoporosis Risk Factor and Prevention Study.
Maturitas. 2009. 63(1):73-78
(6) K.Li et al.: Associations of dietary calcium intake and calcium supplementation with myocardial infarction and stroke risk and overall cardiovascular mortality in the Heidelberg cohort of the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition Study (EPIC-Heidelberg).
Heart 2012. 98(12):920-925
(7) Office of Dietary Supplements, National Institutes of Health. Calcium. November 13, 2012
http://ods.od.nih.gov/factsheet/Calcium-HealthProfessional/
(8) D.J.Jenkins et al.: Effect of legumes as part of a low glycemic index diet on glycemic control and cardiovascular risk factors in type 2 diabetes mellitus: a randomized controlled trial (published online October 22, 2012). Arch.Intern.Med. doi:10.1001/2ß13.jamainternmed.70
(9) W.K. Al-Delaimy et al.: A prospective study of calcium intake from diet and supplements and risk of ischemic heart disease among men.
Am. J .Clin. Nutr. 2003. 77(4):814-818
Sehr geehrter Herr Professor Schatz,
als Ernährungswissenschaftlerin und Vorsitzende der Interessengemeinschaft Selbsthilfe Nebenschilddrüsenunterfunktion InSeNSU befasse ich mich schon sehr lange mit den Problemen der Calciummedikation. Meines Erachtens wird dem Zusammenhang mit den Ernährungsgewohnheiten (Einfluss auf Calciumresorption, Säuren-Basen-Haushalt) und der Dosierung und Verbindung der Calciumpräparate in den Studien zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Sicher spielt die weit verbreitete „Unsitte“ eine Rolle, zur Sicherung der Compliance hohe einmalige Tagesdosen (1000 mg -Tablette) zu empfehlen. Das führt zu kurzzeitigen Calciumspitzen im Blut, die dann gemeinsam mit oft zu reichlicher Phosphatversorgung sowohl Nierensteine als auch Weichteilverkalkungen begünstigen.
Der Vorteil der Calciumzufuhr per Nahrung liegt nämlich einerseits in der Verteilung auf mehrere kleine Portionen über den Tag und andererseits in der Calciumverbindung, die bei Lebensmitteln in Form von Citrat, Lactat, Acetat, etc. vorherrschend ist.
Die Calciumverbindung ist auch für die Verträglichkeit und die Verwertbarkeit der Calciumtablette von beträchtlicher Bedeutung. Amling et al. (UKE Hamburg) haben in diesem Zusammenhang ja vor einiger Zeit auf die entsprechenden Interaktionen von Calciumcarbonat bzw. Osteoporose-Gefahr durch PPI und Magensäure-Mangel hingewiesen.
Wir Nebenschilddrüsenpatienten, die auf Calciumtabletten lebenslang angewiesen sind, fordern seit langem mehr Calciumtabletten ohne Carbonat und in moderater Dosierung (und mit weniger abführenden Zuckeraustauschstoffen…). Leider stehen da bislang nur sehr wenige Präparate zur Verfügung. Meines Erachtens würde mit derartigen Präparaten aber auch eine viel Risiko-ärmere Osteoporose-Prophylaxe möglich sein. Es wäre schön, wenn die DGE sich dieses Problems im Dialog mit der Pharmaindustrie einmal annehmen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Frauke Sieger
Sehr geehrte Frau Sieger,
danke für Ihren wichtigen Kommentar. Ich habe ihn an den Präsidenten der DGE, Prof. Gromoll weitergeleitet mit der Bitte, ihn bearbeiten zu lassen und mit der Pharmazeutischen Industrie in Kontakt zu treten. Ein geeigneter Spezialist dafür wäre in meinen Augen Herr Prof. Raue, Heidelberg.
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Schatz
Sehr geehrter Herr Professor Schatz, Calcium und Vitamin-D-Gabe sind angezeigt, wenn hier ein Mangel vorliegt, wie z.B. bei Gemeinschaftsessen in Pflegeheimen. Die Gabe von Calcium und Vitamin-D aber als Basistherapie der Osteoporose (Mangel an Knochengewebe) bei normaler Vitamin-D-Versorgung heranzuziehen, ist in meinen Augen abwegig. Die Astronauten hatten eine ausreichende Calcium und Vitamin-D-Versorgung, haben aber mangels Schwerkraft erhebliche Anteile ihres Skeletts verloren. Die Calcium- und Vit-D-Versorgung der Bevölkerung nimmt zu, die Zahl der Patienten mit Knochenbrüchen ebenso. Hier muß der Schwerpunkt vielmehr auf Muskelarbeit und Koordninationstraining als Basistherapie gelegt werden. Die Gabe von Calcium und Vitamin-D, wenn die Versorgung ausreichnd ist, hat oft Alibifunktion, um eine physische Anstrengung zu vermeiden. Viele Grüße Ihr Harald Etzrodt.
Lieber Herr Etzrodt,
danke für Ihren Kommentar! In der Tat spielen Calcium und Vitamin D vor allem bei älteren Menschen in Pflegeheimen eine Rolle, auch zur Sturzprophylaxe. In der Basistherapie der Osteoporose wird heute Calcium eine immer geringere Bedeutung zugemessen. Dass Muskelarbeit wichtig ist, sieht man daran, dass seinerzeit die NASA Herrn Prof. Dambacher aus der Schweiz beauftragt hatte, für die Astronauten nicht nur Zahlen für eine ausreichende Calcium-Vitamin-D-Versorgung auszuarbeiten, sondern auch entsprechende körperliche Trainingsprogramme („Muskel macht Knochen“).
Beste Grüße nach Ulm!
Helmut Schatz