Bochum, 24. Februar 2018:
Die amerikanische und die Europäische Arzneibehörde (FDA und EMA) warnten 2015 und 2016 vor euglykämischen diabetischen Ketoazidosen (DKAs) mit den neuen Diabetesmediakamenten aus der Klasse der SGLT2-Hemmer. Im DGE-Blog wurde darüber mehrfach berichtet (1, 2 und weitere Beiträge). Jetzt wurden am 13. Februar 2018 online in Diabetes Care von Emily J. Meyer et al. (3) neue Ergebnisse aus Australien berichtet.
1) Bei Erhebungen im Süden Australiens von Dezember 2015 bis März 2017 wurden 13 Fälle von SGLT2-assoziierten Ketoazidosen bekannt, für die Daten und medizinische Berichte vorlagen. Es waren dies 8 Typ-2- und 5 Typ-1- Diabetes-Patienten. Die Hälfte der Typ-2-Patienten war mit Insulin behandelt, bei 2 der fünf Typ-1-Patienten wurde die Typ-1-Zuordnung erst retrospektiv nach der DKA durch Antikörperbestimmungen vorgenommen. Dapaglifloxin wurde in neun Fällen gegeben (Forxiga®, in Deutschland vom Markt zurückgezogen) und Empagliflozin bei vier Patienten (Jardiance®, in Deutschland stark beworben nach der EMPA-REG-OUTCOME-Studie (4)). Neun dieser 13 Patienten mussten auf Intensivstationen behandelt werden, alle benötigten intravenöses Insulin und Glucose. Ein Patient verstarb an einer Takotsubo-Myokardiopathie (Stress-Kardiomyopathie, Broken Heart-Syndrom). Die behandelnden Ärzte hatten die Diagnose einer DKA 2x nicht gestellt, bei 6 weiteren Patienten war den behandelnden Ärzte ein Zusammenhang der DKA mit SGLT2-Hemmern nicht Auslösende Ursachen waren 5x das Weglassen oder die nicht richtige Dosis des Insulins, 5x Infektionen, 3x chirurgiasche Eingriffe mit kohlenhydratarmer Kost oder Nüchternzustand vor der Operation, und 5x kohlenhydratarme Diät oder Anorexie. Bei etwa 88.000 Verschreibungen von Dapagliflozin und Empagliflozin in Süd-Australien von Dezember 2015 bis März 2017 errechnet sich aus den 13 DKA-Fällen eine Ereignisrate and DKA´s von 1.8 Fällen pro 1000 Patientenjahren, höher als in den meisten vorliegenden Berichten.
2) Die Autoren führten noch eine zweite Untersuchungsreiheie durch. Sie griffen auf die Daten der Therapeutic Goods Administration (TGA) zurück, dem Äquivalent zur FDA. Von der Marktausbietung bis April 2017 wurden 82 Fälle von SGLT2-Inhibitor – assoziierten DKA´s gemeldet. In diesen dürften die 13 oben analysierten Patienten enthalten sein. Bei 47 der 82 Fälle wurde nichts über einen Diabetes berichtet, 2x lag ein off-label-Gebrauch zur Erzielung einer Gewichtsabnahme oder Durchbrechung einer Insulinresistenz vor und die DKA trat im Rahmen gastrointestinaler Erkrankungen auf. Die durchschnittliche Anwendungsdauer der SGLT2-Hemmer lag bei 11.6 Wochen (1 Tag bis 76 Wochen). Die DKA wurde zumeist als ernst eingestuft, 16x als lebensbedrohlich, 18 Fällen wurden auf Intensivstationen behandelt. Mittelwerte für pH 7.06, Bikarbonat 7.35 mmol/L, Ketone 6.2 mmol/L. Der mittlere Blutzucker betrug 254 mg/dl / 14.1 mmol/l (Bereich 86 – 630 mg/dl / 4.8 – 35 mmol/l). Die auslösenden Ursachen waren ähnlich wie bei den 13 Patienten der Studie: 13x Operationen, 3x akute Koronarereignisse und 1x sehr niedrige Kohlenhydratzufuhr.
Kommentar
Diese Untersuchungen zeigen, dass zumindest in Australien, wahrscheinlich aber auch bei uns zu wenig an die sehr seltene Möglichkeit der Auslösung einer dann schwer bis tödlich verlaufenden diabetischen Ketoazidose durch die SGLT2-Hemmer gedacht wird, zumal diese auch häufig normo- bis leicht hyperglykämisch auftreten kann. Bei einem routinemäßig erhobenen Blutzuckerwert etwa von 100 -200 mg/dl / 5.6 – 11.2 mmol/l denkt man wohl nicht primär an eine Ketoazidose als Ursache von Beschwerden (s.u.), wenn einem dieser Zusammenhang nicht geläufig ist. Am 14. März 2016 verschickte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zusammen mit den Herstellerfirmen von Dapagliflozin, Empagliflozin und Canagliflozin an die deutsche Ärzteschaft einen Informationsbrief (Rote-Hand-Brief, Lit. 5). Darin sind als solche unspezifischen Symptome angeführt: Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen, starker Durst, Atemschwierigkeiten, ungewöhnliche Müdigkeit, Schläfrigkeit, Verwirrtheit. Steht ein Patient mit diesen unerklärbaren Symptomen unter SGLT2-Hemmern, so ist im Blut eine pH-Wert-Bestimmung vorzunehmen. Die auslösenden Faktoren für eine DKA, welche die australischen Autoren beschrieben haben, sollten alle Ärzte stets vor Augen haben und in solchen Situationen die SGTL2-Hemmer absetzen, insbesondere vor größeren operativen Eingriffen oder Hospitalisationen wegen akuter schwerer Erkrankungen. Wer einmal eine DKA durchgemacht hat, sollte SGLT2-Hemmer nicht wieder verschrieben bekommen.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Helmut Schatz: Diabetische Ketoazidose unter Gliflozinen (SGLT2-Hemmern) – sogar bei Blutzuckerwerten unter 200 mg/dl / 11,2 mmol/l.
DGE-Blogbeitrag vom 23. Mai 2015
(2) Helmut Schatz: Diabetespatienten unter SGLT2-Hemmern auch ohne Blutzuckererhöhung mit typischen Koma-Symptomen: auf Ketonkörper testen! DGE-Blogbeitrag vom 22. Juni 2015. www.blog.endokrinologie.net
(3) Emily J. Meyer et al.: SGLT2 inhibitor-associated euglycemic diabetic ketoacidosis: a South Australian clinical case series and Australian spontaneous adverse event notifications.
Diabetes Care online, February 13, 2018
https://doi.org/10.2337/dc17-1721
(4) Helmut Schatz: Empagliflozin (Jardiance®), ein SGLT2-Hemmer, verringert signifikant kardiovaskuläre Ereignisse bei Hochrisiko-Typ-2 Diabetes-Patienten.
DGE-Blogbeitrag vom 18. September 2015
(5) BfArM: Informationsbrief vom 14. März 2016: Aktualisierte Hinweise zum Risiko einer diabetischen Ketoazidose während der Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren.
https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/RI_rhb/2016/info-sglt2.pdf?_blob=publicationFile&v=2
Bitte kommentieren Sie diesen Beitrag !
Neueste Kommentare