Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Kisspeptin, ein Peptidhormon aus dem Hypothalamus bei sexueller Unlust


Bochum, 16. Februar 2023

Am 3. Februar 2023 erschien in JAMA Network Open eine randomisierte klinische Studie aus dem Imperial College in London über die positive Wirkung des hypothalamischen Peptidhomons Kisspeptin bei verminderter sexueller Appetenz (hypoactive sexual desire disorder, HSDD) von 32 Männern (1).  Bereits im Oktober 2022 wurden die Resultate einer gleichen Studie bei 32 prämenopausalen Frauen mit vermindertem Geschlechtsverlangen publiziert (2).

Methodik

In den zwei Studien wurden je 32 heterosexuelle Männer bzw. Frauen mit HSDD mit 1 nmol/kg/h  Kisspeptin-54 oder Plazebo 75 min lang infundiert, während sie erotische/sexuelle Videos zu sehen bekamen. Den Frauen wurden zusätzlich noch  attraktive oder weniger attraktive männliche Gesichter gezeigt. Es erfolgten eine funktionelle nuklearmagnetische Bildgebung (fNMI) und psychophysiologische, Verhaltens- und hormonelle Analysen. Bei Männern wurde auch die Penisanschwellung gemessen.

Ergebnisse

Männer: Abbildung 1 (aus Lit.1): links die Penisanschwellung unter Kisspeptin (KP, rot) und unter Plazebo (dunkelblau), rechts die sexuelle Hirnaktivität während der  8 min – Videovorführung

Frauen: Auf Abbildung 2 (aus Lit. 2) sieht man links und in der Mitte, dass die Gesamt-Sexualfunktion, erfasst auf der Female Sexual Distress Scale (FSDS-DAO) unter Kisspeptin bei Betrachtung des Videos mit einer erhöhten Gehirnaktivität im Hippocampus assoziiert war. Rechts  ist das Sexual Arousal and Desire Inventary (SADI) bei Betrachtung hochattraktiver männlicher Gesichter abgebildet.

Schlussfolgerungen der Autoren

Männer (Lit.1):

Conclusions: „This randomized clinical trial provides the first clinical evidence to date showing that kisspeptin administration in men with low sexual desire (HSDD) modulates sexual brain activity as well as markedly increases penile tumescence in response to sexual stimuli (by up to 56% more than placebo) and associated behavioral measures of sexual desire and arousal. Taken together, our data suggest that pharmacological use of kisspeptin-based therapeutics may offer the first safe and much needed clinical strategy for men with HSDD and low sexual desire more broadly“.

Frauen (Lit.2)

Conclusions: „In summary, these data suggest that kisspeptin administration deactivates regions that are hyperactivated in women with HSDD, as well as activating additional key sexual brain regions, thereby enhancing sexual brain processing. Furthermore, kisspeptin enhances limbic brain activity that correlates with reduced sexual aversion and alters the processing of male facial attractiveness. Collectively, these findings provide key behavioral and functional relevance for kisspeptin’s enhancement of brain activity on viewing erotic stimuli and male faces and, importantly, lays the foundations for clinical applications for kisspeptin in patients with psychosexual disorders“.

Kommentar

Im Jahre 1999 wurde der Rezeptor für Kisspeptin bei Ratten entdeckt, ein G-Protein-gekoppelter Rezeptor. Im Jahre  2001 fand man den dazu passenden Liganden, ein Produkt des  KiSS1-Gens. Kisspeptin wird vor allem im Hypothalamus synthetisiert, aber auch an anderen Stellen im Körper. Die Forschungen erfolgten an Ratten und auch an Schafen. Beim Menschen dient es als Tumorsuppressor zur Metastasen-Verhütung beim malignen Melanom und beim Mammakarzinom.  Bei einer loss-of-function-Mutation des KiSS-Gens wird bei Ratten, und wohl auch beim Menschen die Pubertätsentwicklung gehindert, sodass ein Hypogonadismus auftritt. Zu Pubertätsbeginn ist die Signaltransduktion des KiSS1-Rezeptors für den Beginn der Gonadotropinsekretion nötig.

In  den beiden referierten Studien über Kisspeptin wurde erstmals ein Weg aufgezeigt, eine Störung der sexuellen Appetenz (HSDD, = hypoactive sexual desire disorder)  zu behandeln, ohne dass, wie bisher beobachtet, ernsthaftere Nebenwirkungen (siehe diesbezüglich die 2 DGE-Blogs 3 und 4 !) auftreten. Unter einer HSDD leiden, wie man schätzt, etwa 8-10%  der Menschen, nach manchen Quellen sogar bis zu 30% der Frauen.

Das Internet ist  heute voll von Berichten über und Angeboten von Kisspeptin, so auch für das Bodybuilding. Und in der Allgemeinpresse sind in diesem Februar zahlreiche Artikel erschienen, mit griffigen Titeln wie etwa  „Kisspeptin als Lust-Booster?“ o.ä.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Edouard G. Mills et al.: Effects of Kisspeptin on Sexual Processing and Penile Tumorescence in Men With Hypoactive Sexual Desire Disorder. A Randomized Clinical Trial.
JAMA Network Open, February 3, 2023. 6(2):e2254313. Doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.54313

(2) Layla Thurston et al.: Effects of Kisspeptim Administration in Women With Hypoactive Sexual Desire Disorder. A Randomized Clinical Trial.
JAMA Network Open, October 26, 2022, 5(10):e2236131.doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.336131

(3) Helmut Schatz: Flibanserin, ‚Viagra für die Frau‘, von FDA-Gremien zur Zulassung empfohlen.
DGE-Blogbeitrag vom 5. Juni 2015
(Mitte August 2015 wurde salopp „Pink Viagra“ bezeichnete Substanz unter dem Namen Addyi von der FDA zugelassen. In der EU ist es bis heute nicht approbiert.

(4) Helmut Schatz: Bremlanotid, ein Melanocortinrezeptor-Agonist, bessert vermindertes Sexualverlangen und -erleben bei prämenopausalen Frauen.
DGE-Blogbeitrag vom 16. September 2017

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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