Ein Blick an den Tellerrand der Endokrinologie
Bochum, 1. Januar 2024
Zum Weihnachtsfest 2023 erhielt ich das Bild einer Hirtenskulptur aus einer Weihnachtskrippe, welches mir meine Schwester aus Graz schickte. Sie hatte es im Krippenmuseum Birglhof in Passail bei Graz, Steiermark , gesehen und für mich – als Endokrinologen – fotografiert (Bild links). Im Anschluss an meine Nachfrage nach der genauen Herkunft der Figur erwähnte sie, dass sie in der Burgkapelle Manta in Piemont ein Kreuzigungsbild gesehen habe (Bild rechts), auf welchem der Römersoldat Stephanton, der Christus auf einem Ysopstab einen in Essig getränkten Schwamm reichte, auch einen veritablen Kropf hatte.
Die Hirtenfigur aus dem Birglhof stammt von einem Mitglied der berühmten Bildschnitzerfamilie Schwanthaler, die während der Barock- und Rokokozeit in Ried im Innkreis tätig war. Dieser Familie gehören 21 Künstler aus 7 Generationen an. Die Hirtenfigur mit dem Kropf wurde sehr oft kopiert, das Original befindet sich im Museum in Traunkirchen im oberösterreichischen Salzkammergut. Eine der Kopien steht im Krippenmuseum Birglhof in Passail in der Steiermark. Der Inhaber der Sammlung „Krippen am Birglhof“ mit über 400 Krippen vorwiegend aus dem Raum des Habsburger Reiches ist unser Kollege Dr. med. Bernd Mayer, Praktischer Arzt und Notfallmediziner in Passail. Ich habe mit ihm vor Weihnachten länger telefoniert und er erzählte mir, wieso er Krippen sammle. Im Internet schreibt er, er sei „zu diesem Hobby gekommen aus einem Mangel heraus“. Sie hätten „zuhause nie eine Krippe unter dem Weihnachtsbaum“ gehabt. Und als „der Vater sich nach langem Betteln der Kinder hatte erweichen lassen und eine wunderschöne Krippe kaufte, sei der Samen gelegt worden……“.
Vorläufer der Krippen kann man schon im Altertum finden, etwa als steinerne Wandreliefs in Italien. Dreidimensionale Krippen gibt es seit Franz von Assisi, der sie 1223 „erfand“, um dem lese- und schreibunkundigen Volk die Weihnachtsgeschichte zu nahezubringen. Die erste Krippe im heutige Sinn stand, von den Jesuiten errichtet, 1562 in Prag. Im Jahre 1784 wurden Krippen aber vom Salzburger Fürsterzbischof Colloredo verboten, um „kirchlichen Nebensächlichkeiten und Äußerlichkeiten ein Ende zu machen …. und die Religion von unbiblischen Zutaten zu reinigen“. Auch unter der Regentschaft von Maria Theresia und Josef II. wurden Krippen untersagt. Es war das Zeitalter der Aufklärung. Die Krippen verschwanden aus Kirchen und den bayrischen Amtsgebäuden – und tauchten in tausendfacher Ausfertigung in Privathäusern wieder auf.
Dass auf einem Kreuzigungsbild in der gotischen Burgkapelle von Manta im Piemont am Rande der Cottischen Alpen der römische Soldat unter dem Kreuz, der dem dürstenden Christus einen essiggetränkten Schwamm reichte, ebenfalls einen Kropf hatte zeigt, dass Kröpfe im gesamten Alpengebiet weit verbreitet, ja fast alltäglich waren.
Ein „Kropfband“, oft als Schmuckstück breit und reich geschmückt, gehörte zur damaligen bayrischen und österreichischen Tracht. Damit konnte ein Kropf oder eine Narbe nach Schilddrüsenoperation verdeckt werden (Bild unten).
Wilhelm Leibl: Mädchen mit Kropfband (Museum Belvedere, Wien)
Medizinhistorisches zu den Kröpfen und den Jodmangel
Im DGE-Blog wurde im Jahre 2015 über die Medizinhistorie des Kropfes und den Zusammenhang mit dem Jodmangel im alpinen Raum berichtet (1). Dem römischen Satiriker Juvenal war bereits um 100 n.Chr., ebenso auch Plinius d.J. der „angeschwollene Hals der Alpenbewohner“ bekannt. Im DGE-Blog von 2015 (1) finden sich drastische Berichte und Bilder von Kretinismus und Kröpfen insbesondere aus der Steiermark und dem Schweizer Emmental, und auch die Geschichte von deren Verschwinden nach Einführung der Jodsalzprophylaxe. Jodierung des Speisesalzes findet schon lange in der Schweiz, in Österreich und vielen Ländern der Erde statt. Es gab sie auch in der ehemaligen DDR. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde sie jedoch in den fünf neuen Bundesländern abgeschafft und damit gab es in ganz Deutschland kein jodiertes Salz als Regelsalz mehr. Mit ein Grund dafür dürfte sein, dass Lebensmittelhersteller ihre – dann ohne jodiertes Salz produzierten – Fertigprodukte auch in Ländern ohne die Regelsalzverordnung verkaufen können. Aber auch eine zum Teil heftige Jodgegnerschaft findet sich in der deutschen Bevölkerung, wie sie zum Beispiel in den Kommentaren von Irene Gronegger und Michael d´Angelo zu dem DGE-Beitrag von 2015 zu sehen ist (2). Auch im Fernsehen wird die Jodversorgung in Deutschland von mancher Seite falsch dargestellt. Die DGE hat dies scharf kritisiert (3).
Literatur
(1) Helmut Schatz: Kretinismus und Riesenkröpfe in der Steiermark – ein medizinhistorischer Beitrag.
DGE-Blogbeitrag vom 1. Oktober 2015
(2) Helmut Schatz: Intrauteriner Jodmangel: Gibt es eine Fürsorgepflicht für Neugeborene und Kinder?
DGE-Blogbeitrag vom 16. April 2014
(3) Helmut Schatz: DGE kritisiert auf das Schärfste die tendenziöse und falsche Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ZDF über die Jodversorgung in Deutschland.
DGE-Blogbeitrag vom 3. April 2014
Aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 23.12.2023
Auf Ihren Blog hin besuchte ich, aus der Steiermark, aber dank Jodsalzprophylaxe ohne Kropf, das Krippenmuseum in Passail bei Graz. Dieses zeigte von seinen über 600 Krippen zwei für mich besonders eindrucksvolle: Die riesige, ca. 160 aus Lindenholz geschnitzte und bunt bemalte Figuren umfassende Schwanthaler Krippe mit dem „kropferten“ Hirten (2. Figur von links) und auf einem Fresco eines Künstlers aus der Schule von Giotto – schon im 14. Jhdt. realistisch und nicht mehr ikonographisch dargestellte – stillende Madonna (siehe meine zwei Fotographien).
Der Kropf in alpenländischen G´stanzln: 1.) „Mei Dirndl isch sauber – vom Fuaß bis zum Kopf – lei (=nur) am Hals hat´s a Binggerl – und dös hoaßt man an Kropf!“
2.) „Zlöscht (=zuletzt) bin i amol – bei a Steirerin g´legn – sie hat miar ihr´n Kropf – zum an Kopfposter gebn! “
Auch Sprüche über den Kropf findet man auf Marterln (=Heiligenbildern in der Alpenlandschaft an Bäumen usw.): „Hier ist erstickt an seinem Kropf- der Hias, er war a armer Tropf. – für ihn war´s ganz a schiacher Tod – drum schenk´ iahm Gnad der liabe Gott.“
Der Kropf im religiösen Brauchtum: Am Wallfahrtsort Heiligenblut bei Erding nordöstlich von München fand man alte Kirchenrechnungen aus dem 17. Jhdt: Alljährlich kaufte die Kirche 1-2 kg Messingdraht, der beim Gnadenbild aufgehängt wurde. Wallfahrer mit Kröpfen schnitten je nach ihrer Kropfgröße ein Stück ab, legten sich den Draht um den Hals und trugen ihn solange, bis der Kropf angeblich verschwunden war.