Bochum, 1. Januar 2015:
In einer Presseerklärung beschrieben am 12. Dezember 2014 in Berlin die Präsidenten und Vertreter aller 17 Landesärztekammern in dieser Formulierung die Aufgabe von Ärzten (1). Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Montgomery erklärte, dass das ärztliche Tätigkeitsfeld in allen Berufsordnungen der Landesärztekammern in dieser Diktion einheitlich und bundesweit festgelegt sei. Alle Präsidenten und Vertreter der 17 Landesärztekammern stellten geschlossen fest, dass Tötung von Patienten, auch auf deren Verlangen („aktive Sterbehilfe“) und Beihilfe zum Suicid („assistierte Sterbehilfe“) nicht zu den ärztlichen Aufgaben gehöre. Unterschiede in der Formulierung der (Muster)Berufsordnung zeigten zwar föderale Unterschiede in der Umsetzung, aber kein unterschiedliche Haltung. „Diese ist ebenso einheitlich wie eindeutig“ (2).
Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) hat am 23. August 2014 über das Thema „Suicid“ anlässlich einer Publikation aus der Gerichtsmedizin Zürich über den „Selbstmord-Tourismus“ in die Schweiz berichtet (3). Der Kommentator hat darin die 4 Formen der Sterbehilfe (Euthanasie) beschrieben: Die passive, die indirekte, die assistierte und die aktive Sterbehilfe. Während aktive Sterbehilfe, also eine Tötung auf Verlangen eines Patienten abgelehnt wird, gab und gibt es zur Zeit in Deutschland viel Diskussion zur assistierten Sterbehilfe, wie sie in mehreren Ländern wie etwa der Schweiz möglich ist. Im Deutschen Bundestag fand gegen Jahresende 2014 eine breite, die Parteigrenzen überschreitende, kontroverse Diskussion dazu statt. Der Deutsche Bundestag will Mitte 2015 darüber entscheiden. In der jüngsten Erklärung der Bundesärztekammer wird erneut betont, dass es „den Ärztinnen und Ärzten verboten sei, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten und sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung (=assistierter Suicid, Anm. des Kommentators) leisten“ (1).
Kommentar
Wohl jeder Arzt, insbesondere auch, wenn er, wie der Kommentator 14 Jahre lang eine Intensivstation zu leiten hatte, wird passive Sterbehilfe geleistet haben, wenn er bei Aussichtslosigkeit lebensverlängernde Maßnahmen beendet hat. Ebenso leistet man indirekte Sterbehilfe, wenn man zur Linderung sonst unerträglicher Schmerzen etwa Opioide in hoher Dosis gibt, selbst wenn dadurch das Leben verkürzt werden sollte. Daß ein Arzt hingegen nach der Berufsordnung in Deutschland keine assistierte Euthanasie leisten darf, wurde in der Stellungnahme vom 12. Dezember 2014 bekräftigt. Der Kommentator fragt sich übrigens, warum man eine assistierte Sterbehilfe durch Ärzte vornehmen lassen soll. Eine Überdosis an Barbituraten in einem Glas Wasser aufzulösen und dieses dem Sterbewilligen zum Trinken hinzustellen, wie es in der Sterbehilfe-Organisation „Dignitas“ in der Schweiz geschah – bedarf es dazu eines Arztes? Entspricht dies dem obersten ärztlichen Gebot „Primum nil nocere“ ? Das ist wohl Angelegenheit des Patienten und seiner Hilfsperson. Ein Arzt kann allenfalls wieder Mut zum Weiterleben machen. Die 17 Kammerpräsidenten erklärten: „Ärzte können und sollen Hilfe beim Sterben leisten, aber nicht zum Sterben“. Der Präsident der Bundesärztekammer wies auf die Grundsätze der Bundesärztekammer hin, dass die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung nicht unter allen Umständen bestehe. Wenn Diagnose- und Therapieverfahren nicht mehr indiziert sind, seien palliativmedizinische Maßnahmen zu ergreifen. Die letzte Instanz für einen Arzt sei aber immer sein Gewissen.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Mitteilung des Vorstandes der Bundesärztekammer: „Ärzte leisten Hilfe beim Sterben, aber nicht zum Sterben“
http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=3.71.11855.1251
(2) Eva Richter-Kuhlmann: Helfen, aber nicht töten.
Deutsches Ärzteblatt vom 22. Dezember 2014. Jahrgang 111, Seite C 1815
(3) Helmut Schatz: „Selbstmord-Tourismus“ in die Schweiz stark gestiegen.
DGE-Blogbeitrag vom 23. August 2014
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Ich persönlich sehe in der Selbstbestimmung des Einzelnen ein sehr hohes Gut, und der in der Sterbehilfe-Debatte ausgetragene Diskurs zwischen Autonomie des Individuums (vorgetragen von den Befürwortern der Sterbehilfe) versus kompromissloser Lebensbejahung (bei den Gegnern) ist meines Erachtens noch nicht ausreichend ausdiskutiert. Es wird bisher auch zu wenig berücksichtigt, dass der assistierte Suizid, wenn er einem genuinen Patientenwunsch auf der Basis einer unheilbaren Erkrankung entstammt, nicht mit Freitod aus anderen Gründen, z.B. einem Suizid aus persönlicher Verzweiflung, gleichgesetzt werden kann, weil der Mensch in ersterem Fall auf Grund der Grunderkrankung sowieso in kürze sterben wird. Aber, wie es schon bei Fontane heisst: „dies ist ein weites Feld, Luise“ und das Thema wird unsere Gesellschaft noch längere Zeit beschäftigen.
In den Niederlanden, wo als erstem Land der Welt die aktive (!) Sterbehilfe seit 2002 legalisiert ist, tragen mittlerweile viele Bürger eine „Credo Card“ bei sich mit der Aufschrift „Maak mij niet dood, Doktor = Töte mich nicht, Doktor“ .
Der damalige Bundespräsident Johannes Rau äußerte sich in seiner “Berliner Rede” am 18. Mai 2001 zur Gesetzeslage in den Niederlanden: “In den Niederlanden berufen sich die Gegner des neuen Gesetzes auf eine staatlich geförderte wissenschaftliche Studie. Sie hatte zum Ergebnis, dass es während der sogenannten Erprobungsphase vor der gesetzlichen Regelung der aktiven Sterbehilfe jährlich 1.000 Fälle gab, in denen, ich zitiere, “lebensbeendende Handlungen ohne ausdrücklichen Wunsch” des Getöteten vorgenommen worden sind. Auch das sollte man sich vor Augen führen, wenn man über aktive Sterbehilfe spricht”.
Sterbehilfe ist ein schwieriges Thema und muss intensiv diskutiert werden. In der Schweiz ist die Sterbehilfe möglich und in Deutschland nicht, weshalb totkranke Menschen zum Sterben oft in die Schweiz reisen. Genaueres zu diesem Thema wissen natürlich Menschen die damit direkt zu tun haben, wie Praxisassistentin und Arztsekretärin.
Auch in Belgien wurde 2002, kurz nach den Niederlanden, die aktive Sterbehilfe legalisiert. Die Bedingungen sind noch liberaler gefaßt als in den Niederlanden.
Ich habe diese Rede von Johannes Rau durchgesehen. Er schreibt darin weiter: “Wenn ich es recht sehe, sind deshalb so viele Menschen für aktive Sterbehilfe, weil sie große Angst davor haben, am Ende ihres Lebens Leid und Schmerzen nicht mehr auszuhalten, ihnen hilflos ausgeliefert zu sein. Sie haben Angst davor, alleingelassen zu sein oder anderen zur Last zu fallen. Sie haben Angst davor, Schmerzen nicht mehr ertragen zu können und würdelos dahinzusiechen.Ich verstehe diese Angst gut. Ich habe sie auch. Die aktive Sterbehilfe ist aber nicht die einzig mögliche Antwort auf diese verständliche Verzweiflung. Ja, wir brauchen einen anderen Umgang mit dem Sterben und dem Tod. Wir müssen wieder lernen: Es gibt viele Möglichkeiten, sterbenskranken Menschen beizustehen, sie zu trösten und ihnen zu helfen. Oft ist schon entscheidend, sie nicht allein zu lassen. Die wirksamste medizinische Hilfe ist in vielen Fällen eine gute Schmerztherapie. Mich hat tief beeindruckt, was neulich einer der Pioniere der deutschen Schmerztherapie, Prof. Eberhard Klaschik, in einem Interview dazu sagte: “Ich behandele seit fast 20 Jahren Patienten, die nicht heilbar sind. Viele, die zu uns kommen, sagen: So kann ich nicht mehr leben, so will ich nicht mehr leben, die Schmerzen sind zu groß […]. All diesen Patienten haben wir helfen können.” Viele Ärzte bestätigen diese Erfahrung. Wenn das so ist, dann ist der Streit um die aktive Sterbehilfe die falsche Debatte. Wir können und wir müssen viel mehr als bisher für die Schmerztherapie tun. Das ist ein Feld, das lange Zeit sträflich vernachlässigt worden ist. Ich wünsche mir, dass Deutschland bei der Schmerzforschung und bei der Schmerztherapie so schnell wie möglich vorbildlich wird. Das ist nun wirklich zutiefst human und ist im Interesse eines jeden von uns”.
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/
Als Replik dazu äußerte sich auf der 52. Ordentlichen Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft am 22. Juni 2001 in Berlin der kürzlich verstorbene, damalige Präsident Hubert Markl mit folgenden Worten zur Sterbehilfe: „Nur wer sich nicht als freier, selbstentscheidungsberechtigter Staatsbürger, sondern als lebens- und bis zum Ende tributpflichtiges Staatseigentum begreift, kann akzeptieren, dass eine Mehrheit sich anmaßt, diese persönlichste aller Lebensentscheidungen staatlich zustimmungspflichtig zu machen. Ich jedenfalls bekunde offen meinen Respekt vor dem niederländischen Parlament, das den hohen Wert der Freiheit des Menschen, über sich selbst zu entscheiden, recht eigentlich also seine Menschenwürde, trotz aller Anfeindungen, mutig anerkannt hat.“
http://www.helmut-hille.de/markl.html
Eine sehr lesenswerte Besprechung des Euthanasie-Themas findet sich unter dem Titel „Der Gedanke des Tötens“ in: „DER SPIEGEL“, Heft 30/2004 vom 19.7.20014. Link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-31548452.html
Das Leben als höchstes und nicht frei verfügbares Gut muss eine unveränderte Kondition sein und bleiben. In Zeiten von sich verknappenden Ressourcen und einer immer mehr auf Effizienz ausgerichteten Gesellschaft kann ein heute noch zustehendes Anrecht sich morgen leicht in eine (nicht offen ausgesprochene) Verpflichtung verwandeln. In meinem Alltag erlebe ich häufig, dass das „zu Last fallen“ zu einem großen Problem hilfs- und pflegebedürftiger Menschen wird. Wenn wir ihnen dann auch noch die „Möglichkeit“ aufbürden, diesen Zustand aus „freien“ Stücken ändern zu können, ich möchte nicht in ihrer Haut stecken!
Die in der Rede von Johannes Rau angesprochene Angst und der immer wieder ins Feld geführte Sterbewille terminal Erkrankter betreffend sollte man vielleicht nochmal die Veröffentlichungen von Elisabeth Kübler Ross durchlesen, Stichwort gute und adäquate Palliativmedizin! Ich kann Herrn Prof. Schatz nur beipflichten, wir führen die falsche Debatte, lasssen Sie mich hinzufügen: aber eine deutlich kostengünstigere und viele springen auf den Zug mit auf!
„Die letzte Instanz für einen Arzt sei aber immer sein Gewissen“ steht als letzter Satz am Ende meines Beitrags. Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, der ich angehöre, schreibt in diesem Sinne im Westfälischen Ärzteblatt vom Februar 2015, Seite 9: „In dieser schwierigen Frage, die im gegenseitigen Vertrauen zwischen Patient und Arzt behandelt werden muß, entscheidet der Arzt mit seinem Gewissen. Keine andere Institution kann dabei ‚mitentscheiden‘ „. In der Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Westfalen-Lippe findet sich seit 2011 der Passus: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres WIllens beizustehen. Ihnen ist verboten, Patientinnen oder Patienten auf deren Verlange zu töten. Sie sollen keine Hilfte zur Selbsttötung leisten“. Hier findet sich also eine „Soll-Bestimmung“, aber kein Verbot, bei einem assistierten Suizid mitzuwirken.