Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Anorexia nervosa (Magersucht): Genlokus auf Chromosom 12 identifiziert. Gemeinsame Wurzeln mit psychiatrischen und Stoffwechselerkrankungen ?


Bochum, 6. Juni 2017:

Am 12. Mai 2017 wurde von der Universität von North Carolina in Chapel Hill bekanntgegeben (1), dass eine internationale Gruppe von 220 Forschern, einschliesslich von Wissenschaftlern der Charité Berlin und der Universität Duisburg-Essen, einen Gen-Ort bei der Anorexia nervosa identifiziert hat, der auf Chromosom 12 lokalisiert ist. Das Team um Cynthia M. Bulik untersuchte durch genomweite Analyse ~3500 Anorexie-Patienten und ~11.000 gesunde Personen. Der gefundene Gen-Ort auf Chromosom 12 steht auch in Verbindung mit Typ-1-Diabetes und Autoimmunerkrankungen (2).

Anorexia nervosa ist genetisch signifikant mit Neurotizismus und Schizophrenie korreliert, was dafür spricht, dass Anorexie tatsächlich eine psychiatrische Erkrankung ist. In der Studie wurden unerwarteterweise ausgeprägte genetische Korrelationen mit dem Metabolismus einschließlich Body-Mass Index (BMI) und Glukosestoffwechsel gefunden. Nun möchte man untersuchen, ob bzw. wie der Stoffwechsel das Risiko für Anorexie erhöht.

Das Team der „Psychiatric Genetics Consortium Eating Disorders Working Group”, in der weltweit Wissenschaftler zusammenarbeiten, will die Patientenzahl erhöhen. Man meint, dies sei erst der Beginn der Aufklärung der Genetik bei Anorexie. Man müsse die Anorexie sowohl als eine psychiatrische als auch eine Stoffwechselerkrankung ansehen. Es besteht die Hoffnung, dass jetzt eine Suche nach Wirkstoffen beginnt, denn bisher gibt es für die Anorexie keine medikamentöse Therapie.

Helmut Schatz

Literatur

(1) University of North Carolina Health Care, Press Release: For Anorexia nervosa, researchers implicate genetic locus on chromosome 12.
http://www.eurekalert.org/pub_releases/2017-05/uonc-fan051017.php

(2) Cynthia M. Bulik et al.: Significant locus and metabolic genetic correlations revealed in genome-wide association study of anorexia nervosa.
Amer. J. Psychiatry 2017. appi.ajp.2017.1 DOI: 10.1176/appi.ajp.2017.16121402

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Posted on by Prof. Helmut Schatz
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3 Responses to Anorexia nervosa (Magersucht): Genlokus auf Chromosom 12 identifiziert. Gemeinsame Wurzeln mit psychiatrischen und Stoffwechselerkrankungen ?

  1. Helmut Schatz says:

    Heute ist in BILD zu lesen, dass die Miss Sachsen 2006 an Anorexia verstorben ist. Alte Faustregel: 1/3 stirbt, 1/3 chronifiziert und nur 1/3 gerät in Remission bzw. wird „geheilt“.

  2. M. B. G. W. says:

    Sehr geehrter Herr Prof. Schatz,
    im Zusammenhang mit der Erkrankung von Personen im Verwandten- und Freundeskreis vor rund 18 Jahren war ich gezwungen Erfahrungen zu sammeln. Ich war aber auch gezwungen mir Kenntnisse anzueignen. Aus alledem habe ich bis heute nachvollziehbare Erkenntnisse gewonnen, die mich in die Lage versetzen, über Berichte, wie den über die „so neuen Forschungsergebnisse“ in den „Medizinischen Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie“ nur zu wundern. Seit November 2001 ist mir der Zusammenhang von genetisch bedingten neurobiologischen Störungen und der (Angst-) Erkrankung, bei der Symptome wie die alles pervertierende gestörte Wahrnehmung (…nicht nur die gestörte Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit! bei Essstörungen), Essstörungen, Depressionen, Panikattacken, soziale Phobien usw., ausgeprägt werden, bekannt. Die wissensch. Erklärungen hierzu fand ich später als bahnbrechend neu vorgestellte in dem 2004 von Prof. Borwin Bandelow herausgebrachten so genannten „Angstbuch“.
    Nun mag die Lokalisierung der genetischen Ursache auf dem Chromosom 12 an sic h ja wahnsinnig neu sein, überrascht bin ich darüber nicht. Verwundert, ja geradezu entsetzt bin ich nur darüber, dass man sich nicht schon in den 1990iger Jahren, aufgrund des von der kanadischen Dipl. Psychologin Peggy Claude-Pierre seinerzeit veröffentlchten Krankheitsverständnisses („Veranlagung zum Negativismus“) zu Essstörungserkrankungen mit dem Gen-Bereich befasst hat (Quelle: „The secret language of eating disorders“ by Peggy Claude-Pierre*)). Selbst meine 2004 an Prof. Bandelow herangetragene Bitte, sich doch ‚mal mit diesem Krankheitsverständnis und der darauf aufbauend von Peggy Claude-Pierre entwickelten extrem nachhaltigen Psychotherapie wissenschaftlich auseinanderzusetzen, verhallte im „Nichts“.
    Ferner bin ich entsetzt darüber, dass man, angesichts der im Bericht genannten Forschungsergebnisse, nichts Besseres zu tun gedenkt, als über neue u. vollkommen überflüssige Medikamente nachzudenken. Zugegeben, Psychotherapien sind aufwendig und langwierig (siehe Buch von Peggy Claude-Pierre), jedoch im Gegensatz
    zu Medikamenten nachhaltig, insbesondere die von Peggy Claude-Pierre entwickelte Therapie.
    Da ich einerseits durch Anwendung in Analogie zu dieser Therapie erfolgreiche Erfahrungen gesammelt habe
    und andererseits in Gesprächen (Nov. 2001) mit Peggy Claude-Pierre Bestätigung für unsere seinerzeitige erfolgreiche Vorgehensweise erhalten habe, kann ich nur dringendst empfehlen, sich mit ihrem Krankheitsver-
    ständnis, ihrer Therapie und ihrer Arbeit wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Um nichts in der Welt würde
    ich Patienten u. ihren Angehörigen empfehlen, sich einem Arzt anzuvertrauen, der diese Angsterkrankung für
    Anorexie in der Bedeutung dieses a. d. griechischen stammenden Begriffs oder gar für eine Suchterkran-
    kung hält und diese sowohl medikamentös und/oder auf Basis klassischer Verhaltenstherapie (kognitiv) behandelt.
    Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
    mit freundlichem Gruß
    M. B. G. W.

  3. Helmut Schatz says:

    Sehr geehrter Herr M.B.G.W., vielen Dank für Ihren interessanten Kommentar. Die Studienergebnisse über Chromosom 12 und mögliche Zusammenhänge mit Diabetes, Autoimmunerkrankungen und Metabolischem Syndrom sind für mich und uns Endokrinologen als Nicht-Psychiater von ganz besonderem Interesse. Insofern habe ich die Ergebnisse der weltweiten Gruppe von über 200 Wissenschaftlern im DGE- Blog publiziert. Die Duisburg-Essen-Beteiligung stammt aus der dortigen Pädiatrisch-Psychiatrischen Abteilung.

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