Bochum, 4. Oktober 2022:
Im Jahre 2011 hielt ich an der Medical School der Otago University von Dunedin, Neuseeland einen Vortrag über Schilddrüsenimmunologie. An dieser Universität beschrieben Adams und Purves 1956 erstmals einen neuen Faktor, den sie Long-acting Thyroid Stimulator (LATS) nannten und der bei der Autoimmun-Hyperthyreose die Thyreozyten erst nach einigen Tagen zur Überfunktion anregt (1). Ich hatte Gelegenheit, den emeritierten, hochbetagten Professor Adams noch zu treffen, der mich zu einem längeren Fachgespräch zu sich nach Hause zum Five o´Clock Tea einlud. Die Erstbeschreiber arbeiteten tierexperimentell mit Meerschweinchen; einige Jahre später verwendete McKenzie dafür Mäuse. Auch ich bestimmte in den 1960er Jahren an der II. Med. Univ.-Klinik Wien den LATS mit dem McKenzie-Bioassay an Mäusen. Wir untersuchten LATS bei Basedow- Patienten mit endokriner Orbitopathie und prätibialem Myxödem vor und nach immunsuppressiver Behandlung mit Purinethol und Methotrexat. Parallel zu dessen Abfall besserte sich in mehr als der Hälfte der Patienten das klinische Bild (2), was ich als junger Assistenzarzt im Jahre 1968 auf dem Europäischen Schilddrüsenkongress in Marseille vortragen durfte (3). Heute wird LATS als TSH-Rezeptorantikörper (TRAK) in jedem Laboratorium bestimmt. Sein Abfall unter Thyreostatika dient als Indikator für die einsetzende Remission einer Basedow-Hyperthyreose, sein Hochbleiben für ein Fortbestehen oder ein – baldiges – Rezidiv.
Bei diesem Aufenthalt las ich auch im New Zealand Herald die Rezension eines Buches von Brian Ford, einem britischen Wissenschaftler und Autor in Fernsehen und Presse (4). Es trägt den Titel: „Secret Weapons: Technology, Science And The Race To Win World War II“. Darin kommen neben Giftschlangen u.a. auch die Östrogene vor, die britische Geheimdienste Adolf Hitler heimlich seiner Nahrung zusetzen wollten, um ihn weniger aggressiv zu machen (to neuterise = neutralisieren, kastrieren).
Ich fand den Zeitungsartikel vor einigen Tagen beim Aufräumen in der Mappe „Verschiedenes“ in einer meiner Schreibtischladen. Es wäre ein „off-label-use“ von Östrogenen gewesen, mit diesem Hormon Adolf Hitler zu feminisieren, um ihm weniger aggressiv zu machen.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Adams DD, Purves, HD: Proc. Univ. Otago Med. School, 34:11, 1956
(2) D. Depisch, R. Höfer, H. Schatz: Die Bestimmung des Long-Acting Thyroid Stimulator (LATS) bei Schilddrüsenerkrankungen. Wien.
Z. Inn. Med. 1968; 49(4): 121-130
(3) D. Depisch, R. Höfer, H. Schatz: LATS levels and conventional antibody titers. Relationship and reaction to immunosuppressive therapy.
Congress of the European Thyroid Association, Marseille ,September 5 – 7, 1968, Abstract-Band
(4) Telegraph Group Ltd: Hormone plan to neuterize Hitler.
The New Zealand Herald, 16. August 2011.
Vielen Dank für die interessante „Medizingeschichte“. In meiner endokrinologischen Jugend versuchte ich mich ebenfalls mit dem LATS-Nachweis, damals zusammen mit D. Emrich in Göttingen. Leider völlig erfolglos. Ich habe noch die unangenehmen, retrobulbären Blutentnahmen bei den weißen Mäusen in Erinnerung. In den 60er Jahren wurde auch ein sog. Exophthalmus-Producing-Factor beschrieben. Der „Nachweis“ erfolgte bei Goldfischen, denen man Patientenseren in das Cölom injizierte und nach einiger Zeit den Augenabstand mit einer Art Schublehre ausmass, während die armen Tiere in einer roten Plastikapparatur fixiert waren. Auch damit hatte ich leider keinen Erfolg, und die ganze Angelegenheit entpuppte sich später als fake, allenfalls zu veröffentlichen im Journal of Unreproducible Results. Zum Glück rettete ich mich schliesslich in die RIA’s mit Hilfe der uns vom NIH zur Verfügung gestellten Substanzen. Alexander v. zur Mühlen, Hannover