„Immortal Time Bias“ in älteren Assoziationsstudien
Bochum, 1. November 2024
Metformin wurde in einer sehr großen Zahl von Studien im Labor, an Zellen, Tieren und am Menschen auf eine positive Wirkung auf Krebs untersucht. Metformin verlangsamte das Wachstum von Tumorzellen im Labor. Viele der günstigen Effekte kann man z. B. durch seinen Einfluss auf den Energiehaushalt über die Mitochondrien und die Hemmung der Bildung von freien Radikalen erklären (1).
Beim Menschen zeigte sich in den zahlreichen Observations-/Kohorten-/Assoziationsstudien ein günstiger Zusammenhang zwischen Metformin und Krebs: So erschien im Jahre 2005 im British Medical Journal ein Bericht über eine Assoziation zwischen diesem Biguanid und Malignomen: Aus der Tayside-Region in Schottland untersuchte man 12.000 Menschen mit von 1993 – 2001 neu diagnostiziertem Diabetes. Davon entwickelten ~900 einen Krebs. Bei denjenigen von ihnen, die zu irgendeinem Zeitpunkt Metformin genommen hatten, war die Wahrscheinlichkeit, später eine Krebsdiagnose zu bekommen, um 23 % geringer (1). In der Folge wurde ein Metformin-Einfluss auf Brustkrebs sowie Malignome von Blut, Leber, Ovarien und Endometrium untersucht. Eine Metaanalyse wurde im Jahre 2013 mit mehr als 1 Million Patienten in 41 Observationsstudien (so wie die oben erwähnte Studie aus dem Jahre 2005) publiziert. Schlussfolgerung: „Metformin might be associated with a significant reduction in the risk of cancer“.
Diese Studien beziehen sich auf die Prävention von Malignomen mit Metformin. Bei vielen älteren dieser Studien kam allerdings das „Immortal Time Bias“ zum Tragen. Dieses ist ein statistischer Fehlschluss (bias), der entsteht, wenn in einem Zeitraum das zu beobachtende Ereignis (etwa der Tod) in einer bestimmten Kohorte nicht auftreten kann: Das heißt, dass während der Beobachtungszeit ein Intervall besteht, in welchem das Outcome-Ereignis nicht stattfinden kann. Die Studienteilnehmer sind „unsterblich, da sie lang genug überleben müssen, um das zu untersuchende Ereignis zu erleben. Aber auch bei guter Planung und Auswertung sind Assoziationsstudien kein Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang. Dafür bedarf es randomisiert- kontrollierter Studien, die für die Fragestellung einer Krebsprävention mit Metformin in der Gesamtbevölkerung kaum durchführbar sind
Behandlung von Malignomen mit Metformin: In randomisierten kontrollierten Studien (RCT´s) ließ sich ein günstiger Effekt von Metformin auf Malignome nicht bestätigen: Auf dem Kongress der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie im Juni 2024 in Chicago wurde über eine Studie an 407 Männern mit Niedrigrisiko-Prostatakarzinom berichtet, welches 6 Monate vor Behandlungsbeginn diagnostiziert worden war. Die Hälfte der Patienten bekam Metformin, die andere Plazebo. Prostatabiopsien nach 18 und 36 Wochen zeigten keinen Unterschied in der Progression.
Im September 2024 fand der Kongress der Europäischen Onkologischen Gesellschaft in Barcelona statt. Britische und Schweizer Autoren fanden bei ~1900 Patienten mit neu diagnostiziertem Prostatakarzinom, dass Metformin, zusätzlich zur Standardtherapie gegeben, keinen Überlebensvorteil brachte.
Schon eine multizentrische Studie von Goodwin et al. (vom Mount Sinai Hospital in Toronto) an ~13.000 Brustkrebs-Patientinnen, rekrutiert 2010-2013, war enttäuschend gewesen: Die Patientinnen waren ~1 Jahr vor Studienbeginn einer Chemotherapie und Operation unterzogen worden. Zusätzlich zur Krebstherapie wurde den Patientinnen je zur Hälfte Metformin oder Plazebo gegeben, ohne dass sich ein Nutzen gezeigt hätte.
Dennoch bleibt offen, ob Metformin nicht doch bei bestimmten Subgruppen von Personen oder auch bei speziellen Arten von Malignomen günstig wirken könnte. Ob jedoch bei dem geringen Preis von Metformin und den neueren, gut wirksamen antikanzerogenen Medikamenten solche Studien erfolgen werden, bleibt abzuwarten. Der Referent (H.S.) meint, wohl kaum.
Bei der großen Zahl von günstigen Berichten über Metformin bei Krebs sollte auch bedacht werden, dass früher die Autoren lieber positive Studien als negative publizierten, was die vielen positiven Berichte annehmen lassen. (Übrigens, im DGE-Blog wurde auch umgekehrt über eine mögliche krebserregende Wirkung von Metformin-Präparaten aus dem fernen Osten durch Verunreinigungen mit dem Karzinogen N-Nitrosodimethylamin berichtet (2).
Und zur Frage, warum in Labor und Tierexperiment oft positive Resultate erzielt wurden, muss die Dosis berücksichtigt werden: Diese war hier meist um ein Vielfaches höher als beim Menschen.
Helmut Schatz
Literatur
(1) Amber Dance: Why a Diabetes Drug Fell Short of Anticancer Hope. Knowable Magazine 10 Sep 2024
(2) Helmut Schatz: Krebserregende Verunreinigungen von Medikamenten: Auch das Diabetesmedikament Metformin kann das Karzinogen N-Nitrosodimethylamin (NDMA) enthalten.
DGE-Blogbeitrag vom 24. Januar 2020
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