Bochum, 18. April 2019:
Vom 4. bis 5. April 2019 fand in Bethesda, Maryland auf dem Campus der National Institutes of Health (NIH) und von diesen gesponsert eine Tagung statt mit dem Titel: „Accelerating Research on Myalgic Encephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME / CFS) Meeting“. An ihr nahmen Ärzte und Forscher, Patienten und Vertreter von Patienteninteressen teil (1). Der Haupt-Fokus lag auf zwei Schlüssel-Symptomenkomplexen, die von entscheidender Wichtigkeit für die Diagnose sind: Auftreten der Erkrankung nach Anstrengung (Postexertional malaise, PEM) und Orthostase-Intoleranz (OI). Nach der Definition des Institute (heute: Academy) of Medicine (IOM) aus dem Jahre 2015 sind zur Diagnose nötig 1.) Ausbruch („Crash“) oder Verschlechterung aller Symptome nach Anstrengung, 2.) mindestens 6 Monate anhaltende und leistungseinschränkende Müdigkeit, 3.) Fehlen eines erholsamen Schlafs und 4.) Orthostase-Intoleranz oder kognitive Dysfunktion (2).
Pathophysiologie und Diagnostik:
Der Pneumologe David D. Systrom vom Brigham and Women´s Hospital in Boston berichtete über Resultate von invasiven kardiopulmonalen Untersuchungen, die bei ME/CFS-Patienten Defekte im ventrikulären Füllungsdruck und in der muskulären Sauerstoffaufnahme zeigten, anders als bei Verminderung des Schlagvolumens und der Auswurfleistung. Er fand vielmehr einen supranormalen pulmonalen Blutfluss verglichen mit VO2 max, welcher einen Links-Rechts-Shunt anzeigte. Viele Patienten zeigten in der Biopsie auch eine Neuropathie der schmalen Nervenfasen, auf eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems hinweisend.
Der Pädiater Peter C. Rowe von der Children´s Center Chronic Fatigue Clinic an der John Hopkins – Universität in Baltimore sprach über die Orthostase-Insuffizienz bei der Kipptisch-Untersuchung: Der cerebrale Blutfluss nahm bei den Patienten im Vergleich zu Kontrollpersonen signifikant ab, ohne Veränderungen der Herzfrequenz oder des Blutdrucks. Dies trat unabhängig von VO2 max. auf, die dafür sprachen, dass die Resultate nicht bloß auf krankheitsbedingte Inaktivität zurückgeführt werden können.
Therapie
David D. Systrom testet zur Zeit in Phase III das Pyridostigmin (Mestinon®) bei ME/CFS. Diese Substanz wird heute bei der Behandlung der Myasthenia gravis eingesetzt. Bei ME/CFS würde dadurch die cholinerge Stimulation von Adrenalin in den postganglionären Synapsen verstärkt und könnte so die Vasokonstriktion in aktiven Muskeln verstärken. Dies könnte in einem besseren Blutzufluss zum Herzen resultieren, mit dem Ergebnis einer erhöhten Versorgung der Mitochondrien in den Muskelzellen mit sauerstoffreichem Blut bei Aktivität.
Kommentar
Im DGE-Blog wurde schon mehrfach über ME/CFS berichtet, so eingehend am 4. März 2015, im gleichen Jahr, in dem Ergebnisse des Institute of Medicine (s.o.) bekanntgemacht wurden (2). Dieser DGE-Artikel war naturgemäß deckungsgleich mit den oben angeführten Diagnosekriterien. Der Kommentar des Referenten (H.S.) endete mit dem Satz: „Auf jeden Fall sollen Ärzte ME/CFS als reales Krankheitsbild akzeptieren, die Patienten ernst nehmen und deren Beschwerden symptomatisch behandeln wie etwa die Schlafstörungen, Schmerzen oder gastrointestinalen Beschwerden“ (3).
Es ist zu hoffen, dass mit Pyridostigmin (Mestinon®), welches jetzt in Phase III bei ME/CFS getestet wird, ein pathophysiologisch begründeter, effektiver Therapieansatz bei diesem Krankheitsbild verfügbar werden wird.
Helmut Schatz
Literatur
(1) National Institutes of Health: Accelerating Research on Myalgic Encephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome (ME / CFS) Meeting. Meeting Information. 4.-5. April 2019.
http://palladianpartners.cvent.com/events/accelerating-research-o…
(2) Miriam E. Tucker: IOM gives chronic fatigue syndrome a new name and definition. 10. Februar 2015.
https://www.medscape.com/viewarticle/839532
(3) Helmut Schatz: Myalgische Enzephalopathie / Chronisches Müdigkeitssyndrom – ein reales Krankheitsbild.
DGE-Blogbeitrag vom 4. März 2015
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Kontraindiziert ist Pyridostigmin bei mechanischen Verschlüssen des Darmtraktes oder der Harnwege. Auch bei Asthma bronchiale und beim Glaukom darf es nicht eingenommen werden.
Es gibt diverse Kontraindikationen für Pyridostigmin. Grundsätzlich erscheinen mir Parasympathomimetika allerdings als ein richtiger Einsatz. Hier kann zum Beispiel durch HRV-Messungen und darauf basierender Diagnostik (LF/HF-Ratio etc.) ermittelt werden, ob Sympathikus oder Parasympathikus einseitig überwiegen (Ist-Analyse), um besser angemessen zu behandeln.
Hallo „Papa“
Gern würde ich mehr über diesen Ansatz hören
Sprichst du aus eigener Erfahrung?
Betroffene werden aufstehen bei Facebook
Glg Somy