Ein Blick über den Tellerrand
Bochum, 19. Februar 2021
Im DGE-Blog erschien am 24. März 2020 eine „Corona-Rückwärts-Prognose“ von Matthias Horx. Er schreibt: „Nie wieder wird alles so sein wie vorher“ und spricht von einem historischen Moment, den er Bifurkation oder auch Tiefenkrise nennt (1). Diesmal sollen Auswirkungen der Corona-Pandemie den christlichen Gottesdienst besprochen werden. Autor ist Dietmar Mieth, emeritierter katholischer Theologieprofessor der Universität Tübingen. Seine Ausführungen gehen von den Zusammenkünften der Urchristen aus und enden mit dem Ausblick auf mögliche neue Formen des Gottesdienstes nach Corona, welche dem ursprünglichen „festlichen Mahl“ wieder ähnlicher werden könnten. Anlass für diesen Blogbeitrag war ein Gespräch des Referenten (H.S.) mit Dietmar Mieth, ausgehend von der Publikation „Die christliche Gedächtnisfeier“, welche von einem Freund des Referenten, Wolfgang Oberndorfer, o. Professor für Bauingenieurwesen an der Wiener Technischen Universität und seinen Mitautoren im Jahre 2019 in Wien veröffentlicht wurde. Darin wird die von ihnen praktizierte neue Form religiöser Zusammenkünfte beschrieben (2).
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Dietmar Mieth:
Das unverzichtbare festliche Mahl einer Versammlung im Namen Jesu Christi
Drei Geschichten als Ermunterung zur Neugestaltung
Das festliche gemeinschaftliche Mahl der Christinnen und Christen ist ein Gedächtnis Jesu Christi und eine Feier der Hoffnung auf seine Wiederkunft. Das früheste christliche Dokument, der erste Brief des Paulus an die Korinther (Kap 11,7-27) bezeugt als bindende Überlieferung: ein gemeinschaftliches Mahl mit Wein und Brot als Gedächtnis an den Tod und in der Hoffnung an die Wiederkunft Jesu Christi. Dabei sollten die sozialen Unterschiede der Gläubigen, Männer und Frauen, aufgehoben werden.
Mit einem zeitlichen Sprung in das Mittelalter erzähle ich eine Geschichte, die für die Gestaltung dieses Mahles in der mittelalterlichen Frömmigkeit bedeutsam, aber wenig bekannt ist. Es war die Einrichtung eines „feierliche Festes des heiligen Leibes Christi“. Der Papst Urban IV wollte das Anliegen einer tieferen, innerlichen Frömmigkeit, die sich an der Eucharistie orientierte, aufnehmen. Die Anfrage und den Entwurf für die Feier sandte ihm eine „Laienfrau“ – Juliane von Cornillon in Lüttich, die er von dort her kannte und schätzte. Er schrieb jedoch dem Magister Thomas von Aquin und dieser bereicherte die Feier um wunderschöne, tiefsinnige Poesie zur Verehrung des geweihten Brotes und Weines als des Leibes und Blutes Jesu Christi. Anders als die Laienfrau zentrierte er die Feier jedoch ganz auf die Handlungen durch den Priester, der an die Stelle Christi tritt.
Im rheinischen Raum vergaß man aber das Anliegen der Juliane von Lüttich nicht, das Sakrament näher an die Verehrung der Gläubigen heranzuführen. Daher zog man an dem neuen Festtag in Köln nach der Liturgie in der Kirche mit der Hostie, dem geweihten Brot, dessen Substanz nun Jesus Christus selbst war, nach draußen auf die Straßen und Plätze der Stadt. So wurde das „Fronleichnamsfest“ ein Volksfest. Die Geschichte lässt sich so zusammenfassen: Klerus und Volk wurden unter Kirche, wo der Klerus die Feier dominierte, und Straße „für das Volk“ aufgeteilt.
Eine andere, bereits selbst erlebte, Geschichte: Als der berühmte Konzilstheologe Edward Schillebeeckx (*1914), Träger des Erasmuspreises, Dominikaner wie Thomas von Aquin 2009 gestorben war, fand zu seinem Gedächtnis in der großen Dominikanerkirche in Nijmegen eine Feier statt, an der ich auch teilnahm. Die Einsetzungsworte über das Brot und den Wein als heilige Zeichen („Sakrament“) der bleibenden Anwesenheit Jesu Christi unter den Gläubigen, wurden von der Gemeinde selbst laut gesungen, also nicht von den Priestern. Das hat mich tief beeindruckt.
Eine dritte Geschichte: Als ich mit meiner Familie 1981 in ein evangelisches Dorf in die Nähe von Rottenburg a.N., der kleinen katholischen Bischofstadt, zog, beauftragte der zuständige Dompfarrer von Rottenburg mich (Laie, aber katholischer Theologieprofessor in Tübingen) damit, in der evangelischen Kirche einen Sonntagsgottesdienst als „Wortgottdienst mit Kommunionfeier“ zu halten. Meine Frau und ich bestanden auf einem anschließenden gemeinsamen Mahl. Es war eine Einheit des Mahles.
Die Beharrung auf priesterlich geleiteten Gottesdiensten erzeugt in der Kirche den Druck, die Priesterweihe auch für verheiratete Männer und Frauen zu öffnen. Auch wenn man einer solchen Entwicklung wie ich zustimmt: die Distanz zwischen Amt und Volk wird allein dadurch nicht verringert. Man darf fragen, ob sich deshalb die Kirchen wieder mehr füllen werden. Die Antwort ist: leider nein. Denn die leise Wiederkehr der Religion als Bedürfnis denkender und fühlender Menschen geht nicht diesen Weg. Es geht um andere Gemeinschaftserlebnisse und um die Einbettung der Gedächtnisfeier in diese.
Nun bringt gerade Corona neue Initiativen mit sich. Es bilden sich neue Mahlfeiern ohne Priester „von unten“, gerade auch unter Theologiestudierenden. In der Zeit von Corona ist die Reduktion auf übertragene oder online-beteiligte Gottesdienste eine Möglichkeit der Neubesinnung auf die Gestaltung eines Neubeginnes der Mahlfeiern im christlichen Gedächtnis „life“ statt bloß „inline“ in und außerhalb der Katholischen Kirche.
Prof. em. Dr. Dietmar Mieth
(siehe Sozialethik, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Tübingen)
Literatur
(1) Matthias Horx: Die Welt nach Corona: Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise vorbei ist.
DGE-Blogbeitrag vom 24. März 2020
(2) Die Christliche Gedächtnisfeier. Hrsg. Herbert Bartl et al.. Eigenverlag, Wien 2019
(zu beziehen bei Wolfgang Oberndorfer obi-zt@aon.at)
(3) Anneke B. Mulder-Bakker: Gelebte Religion und eucharistische Frömmigkeit an der Maas und am Rhein im 13. und 14. Jahrhundert, in: Theologische Quartalschrift, Tübingen 197, 2017, 35-47. Die christliche Gedächtnisfeier: Wie Jesu Vermächtnis verwirklicht werden kann: www.gedaechtnisfeier.eu
Wohin der Klerikalismus führen kann, sieht man bei dem Kölner Bischof Wölfi. Der „Synodale Weg“ wird wohl auch kaum wesentliche Änderungen bringen oder überhaupt im Sande verlaufend.
Genügt ein Gottesdienst im Fernsehen der strengen „Sonntagspflicht“ zur Teilnahme an der Messe? In Coronazeiten gibt es jetzt virtuelle Gottesdienste bei geschlossenen oder nur eingeschränkt zugänglichen Kirchen. Das starre System mit peniblen Vorschriften muss sich ändern !
In der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung von heute, 15. 2.2021 steht ein grosser Artikel: „Kirche braucht Gewaltenteilung“. Ausgehend vom Missbrauchsskandal um Woelki sei in der Katholischen Kirche das Hauptproblem die fehlende Kontrolle der Amtsträger. Es seien „epochale Reformen“ nötig. Die Macht liege in den Händen von Papst, Bischof oder dem Pfarrer vor Ort. Diese predigen etwas und die Menschen sollen es hören, verstehen und befolgen. Entscheidend seien die geweihten Amtsträger. Insofern hat Professor Dietmar Mieth Recht, dass eine Priesterweihe für Frauen nichts ändern würde. Zurück zum Urchristentum mit christlichen Mahlfeiern in privater Runde wäre ein Weg ohne Klerikalismus. Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf sieht die Gefahr eines Weges der Katholischen Kirche in eine fundamentalistische Sekte; und der Theologem Michel Seewald sagt, es drohe, dass die Kirche im 21.Jhdt. nur noch als ein „unter die Völker verstreutes Freilichtmuseum“ wahrgenommen wird.
Nein, online- Feiern ersetzen auf keinen Fall die direkte Begegnung!
Den sehr schweren staatlichen Eingriffen darf eine Kirche nicht nachgeben.