Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Nahrungsergänzungsmittel sind oft durch Medikamente verfälscht


Bochum, 19. Oktober 2018:

Am 12. Oktober 2018 erschien in JAMA Network Open (1) eine Arbeit über die Untersuchung von  Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) von 2007 bis 2016 im Zusammenhang mit den Warnungen der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA). In 776 Präparaten wurden pharmazeutische Zusätze nachgewiesen. Dies betraf am häufigsten NEM zur Steigerung der sexuellen Potenz, zur Gewichtsabnahme und zum Muskelaufbau. Jedes Fünfte der NEM enthielt mehr als einen nicht zugelassenen pharmazeutischen Wirkstoff.

Das Center for Drug Evaluation and Research der FDA stellte in 776 Präparaten Verfälschungen fest. Am häufigsten (166 von 353 NEM , 45.5%) betraf dies Mittel zur Potenzsteigerung, welche Sildenafil, den Wirkstoff von Viagra® enthielten; auch Tadafanil (Cialis®) und Vardenfil (Levitra®) wies man nach. In 269 von 317 NEM (84.9%) zur Gewichtsabnahme war Sibutramin, der Wirkstoff des wegen ernster kardialer Nebenwirkungen vom Markt genommenen Reductil® enthalten, oder das früher auch als Abführmittel verwendete, möglicherweise kanzerogene Phenolphthalein, und in 82 von 92 (89.1%) NEM zum Muskelaufbau verschiedene, nicht zugelassene Steroide und sogar Aromatasehemmer.

Kommentar

In den USA nimmt mehr als die Hälfte aller Erwachsenen NEM zu sich. In Deutschland ist es nach Schätzungen jeder Dritte. Dafür werden in unserem Land jährlich weit mehr als 1 Milliarde Euro  ausgegeben. Nach einer FORSA-Umfrage an 1001 Personen im Jahre 2016  im Auftrag der Verbraucherzentrale haben 20% NEM verwendet und 51% halten sie für gesundheitsförderlich. In meiner Praxis stelle ich immer wieder fest, dass Patienten bei der Medikamentenanamnese NEM  spontan nicht angeben, und nur auf dezidierte Nachfrage berichten, NEM noch zusätzlich, manchmal auch anstelle der von mir verschriebenen Medikamente einzunehmen. Der Glaube und der Nimbus einer „notwendigen Ergänzung“ unserer heutigen „industriell mit Produkten aus ausgelaugten Böden“ gefertigten Ernährung, wie die Werbung Glauben macht, ist enorm. Immer wieder treten aber schwere Nebenwirkungen durch unerlaubterweise mit Pharmaka verfälschte NEM auf. So stellte man in einer amerikanischen Untersuchung 23.000 Besuche von Notfallambulanzen und 2000 stationäre Notfallaufnahmen pro Jahr im Zusammenhang mit der Einnahme von NEM fest. Dies betraf Schlaganfälle, akute Leberschädigungen, Nierenversagen, Lungenembolien und Tod (1).

Das Problem der Verfälschung von NEM ist auch bei uns in Europa und Deutschland  wohlbekannt. Im Internet findet man zahlreiche Beiträge und Berichte über die Printartikel, Hörfunk- und Fernsehsendungen darüber. Auf der Packung und der Liste der Bestandteile im Internet  wird im Detail beschrieben, was die NEM enthalten: Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren, essenzielle Fettsäuren und Extrakte auch aus zum Teil exotischen Pflanzen. Nie aber ist es der verbotenerweise zugesetzte pharmazeutische Wirkstoff. Nach den vom Internationalen Olympischen Komitee geförderten Untersuchungen der Sporthochschule Köln waren enthielten 15% der in 13 Ländern erworbenen NEM Prohormone (2), in Deutschland waren 11% der untersuchten NEM mit verbotenen Anabolika versetzt (siehe auch 3).

Nahrungsergänzungsmittel sind gesetzlich Lebensmittel und keine Heilmittel. Für sie besteht daher für sie keine Zulassungspflicht, sondern nur einer Anzeigepflicht beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Anders als bei Medikamenten wird kein Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweis gefordert. Da NEM also nicht der strengen Kontrolle wie Medikamente unterliegen, dürfte sich zumindest auf absehbare Zeit hier leider nicht viel ändern. Nur durch Überprüfung der auf den Markt gekommenen NEM kann man  diesen Verfälschungen auf die Spur kommen (4).

Dass man den riesigen Konsum der auch aus Sicht des Referenten für fast alle Menschen bei uns völlig unnötigen und zum Teil sogar schädlichen NEM einschränken oder gar verhindern kann, dürfte wohl kaum so wenig klappen wie bei den reinen Multivitaminpräparaten, deren Verkauf nach den negativen Ergebnissen der großer Studien in den USA nicht ein bisschen zurückging, obwohl diese keinerlei Nutzen gezeigt hatten.

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In Auyurveda-Präparaten gegen Diabetes aus Indien, die man in Deutschland kaufen konnte, fand sich übrigens, wie der Referent schon vor über einem Jahrzehnt berichtete, des öfteren beigemischtes Metformin oder Glibenclamid.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Jenna Tucker et al.: Unapproved pharmaceutical ingredients included in dietary supplements associated with US Food and Drug Administration warnings.
JAMA Network Open. 2018; 1(6):e183337. doi:10.1001/jamanetworkopen.2018.3337

(2) Hans Geyer, Wilhelm Schänzer: Dopingrisiken durch Nahrungsergänzungsmittel.
Leistungssport 2002. 32(6):54-55

(3) Gute Pillen – Schlechte Pillen: Nahrungsergänzungsmittel aus dem Internet – oft riskant für die Gesundheit.
https://gutepillen-schlechtepillen.de

(4) Universität Bonn: Qualitäts- und Authentizitätskontrolle von Lebensmitteln, funktionellen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln.
https://www.ilt.uni-bonn.de

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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