Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Neuere Medikamente können Nebenniereninsuffizienzen verursachen


Bochum, 21. Oktober 2019:

In der diesjährigen Oktober-Ausgabe von Nature Reviews Endocrinology (1) weist das DGE-Mitglied Stefan Bornstein aus Dresden mit seinen Mitautoren auf neuere und sich noch in Entwicklung befindliche Medikamente hin (CYP3A4-Inhibitoren, Opioide,  Immun-Checkpoint-Inhibitoren u.a., siehe Tabelle unten), welche an unterschiedlichen Punkten in die Hypothalamus-Hypophysen-Adrenale Achse (HPA) eingreifen und dadurch die Stressantwort der Nebenniere verringern können.

Als Beispiele für eine adrenale Insuffizienz verursachende oder prädisponierende Medikamente führen Bornstein et al. (einschließlich der jeweiligen pathophysiologischen Mechanismen)  tabellarisch an (1):

Steroide (systemisch, intraartikulär oder inhalativ)

CYP3A4-Inhibitoren (HIV-Medikamente wie Ritonavir, Anti-Pilz-Mittel wie Fluticason)

Opioide (Morphin, Fentanyl, Tramadol, Methadon oder Misch-Opioide)

Immun-Checkpoint-Inhibitoren (Ipilimumab, Pembrolizumab, Nivolumab, Avelumab)

Lipidsenkende Therapien  (Statine, PCSK9-Hemmer, LDL-Apherese)

Prostatakrebs-Medikamente (Abirateron, neue Steroid-blockiende Mittel wie ODM-208)

Aldosteronsynthase-Hemmer (wie LCI699)

Patienten mit Hepatitis oder anderen Lebererkrankungen,  etwa alkoholbedingt, könnten eine verminderte adrenale Funktion aufweisen, auch solche mit chronischen Erkrankungen wie Tuberkulose oder unter Opioiden (in bis zu einem Drittel!). Auch wachse ständig das Wissen um Einflüsse aus der Umwelt durch endokrine Disruptoren und Chemikalien.

Diese unerwünschten Nebenwirkungen müssten stärker ins Bewusstsein der Ärzte treten, um bei Anwendung solcher Medikamente durch rechtzeitige Gabe eines Glukokortikoids dem Auftreten einer Addison-Krise entgegenwirken zu können. Die Patienten sollten einen Notfallausweis bei sich tragen sowie einen Notfall- Kit zur Selbstbehandlung einer adrenalen Insuffizienz. Sie und auch ihre Angehörigen sollten entsprechend geschult werden.

Kommentar

Wie im DGE-Blog vom 1. Oktober 2019 berichtet (2), wurde die Wichtigkeit einer intensiveren Schulung  von Nebennierenpatienten erst kürzlich vom DGE-Mitglied Christof Schöfl et al. hervorgehoben (3). Der Referent (H.S.) meint, dass nicht alle Patienten und deren Angehörige geschult und mit einem  Notfall-Kit ausgestattet werden müssten, welche mit Medikamenten oder  Verfahren behandelt werden, die oben in der Tabelle gelistet sind. Bei den lipidsenkenden Therapien wird ohnedies angeführt dass, anders als bei Tierexperimenten, diese beim Menschen wohl sicher seien. Eine Umfrage bei Lipidologen  ergab, dass auch bei den neueren lipidsenkenden Therapien keine Beeinträchtigung der adrenalen Funktion bekannt geworden sei oder sich in den Zulassungsstudien etwa der PCSK9-Hemmer gezeigt  hätte. Der Referent fand  für die Statine in den üblichen Informationsquellen wie Rote Liste oder Packungsbeilagen auch keine adrenale Beeinträchtigung angeführt. Generell muss freilich bei jedem unklaren Zustand eines Patienten auch an die Nebenniere gedacht und eine Insuffizienz ausgeschlossen werden.

Helmut Schatz

Literatur

(1) Stefan Bornstein et l.: Novel medications inducing adrenal insufficiency.
Nat Rev Endocrinol. 2019 Oct, 15(10):561-562. doi: 109.1038/s41574-019-0248-9

(2) Helmut Schatz: Nebennierenrinden-Krisen – kann man sie verhindern?
DGE-Blog vom 1. Oktober 2019

(3) Christof Schöfl et al.: Daily Adjustment of Glucocorticoids by Patients with Adrenal Insufficiency.
Clin. Endocrinol. 2019. 91(2): 256-262

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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4 Antworten auf Neuere Medikamente können Nebenniereninsuffizienzen verursachen

  1. Ulrich Julius sagt:

    Da Cholesterol ein Vorläufer von Hormonen ist, wurden dort Mangelerscheinungen diskutiert, sind aber wohl klinisch überhaupt nicht relevant. PCSK9-Inhibitoren können aus meiner Sicht keinen Effekt auf Hormone haben, es handelt sich um spezifische Antikörper.
    Bei der Lipoproteinapherese gibt es gewisse Hinweise eines Effektes auf die NNR-Funktion, aber die Daten sind noch sehr vorläufig.

    Bei keiner der diskutierten Massnahmen wird eine Hormonkontrolle empfohlen.

  2. Andreas Barthel sagt:

    Cholesterin ist das Substrat für die Steroidbiosynthese. Das Hormon Cortisol und andere Steroide werden quantitativ aus Cholesterin synthetisiert, welches aus dem Blut in die Nebenniere aufgenommen wird. Eine Senkung des Cholesterin im Blut – über welchen Mechanismus auch immer – wird daher stets auch die Cortisolsynthese beeinflussen. Dies ist durch experimentelle und strukturelle Untersuchungen gut belegt.
    Wie in dem Artikel von Bornstein et al. klar betont und von Julius kommentiert, haben die wenigen klinischen Untersuchungen, die es bisher hierzu gibt, unter kontrollierten Bedingungen bei normalen Patienten unter lipidsenkender Therapie keine klinisch relevante Nebenniereninsuffizienz gezeigt. Wie sich dies jedoch unter schwerem Stress verhält, bei dem die Nebenniere mit einer Vervielfachung ihrer Steroidsyntheseleistung reagieren muss, ist bisher nicht untersucht.

    (Fortsetzung im nächsten Blog)

  3. Andreas Barthel sagt:

    Wir sehen im klinischen Alltag bei Patienten mit Inflammation und Sepsis oder eingeschränkter Leberfunktion zunehmend bedrohliche Nebenniereninsuffizienzen, die zu spät oder gar nicht entdeckt wurden. Auch bei Patienten mit bereits bekannter Nebenniereninsuffizienz werden akute Krisen oft zu spät behandelt oder von unerfahrenen Kollegen falsch eingeschätzt. Es ist daher besonders wichtig, nicht nur die Medikamente zu kennen, die eine unmittelbare Suppression der Nebenniere verursachen, sondern auch die Medikamente, die in Kombination oder unter Stress zu dieser lebensbedrohlichen Komplikation führen können
    Der Vorschlag von Kollege Bornstein, dies dem Kliniker mit einem Score oder besser einem modernen digitalen Programm zu ermöglichen, ist wegweisend für die Zukunft.

  4. Das ist ein sehr interessanter Aspekt. Unterhalb welcher Cholesterin- oder LDL-Konzentration würde man eine Beeinträchtigung der Steroidbiosynthese erwarten?

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