Bochum, 12. Oktober 2021:
Die beiden Molekularbiologen David Julius (USA) und Ardem Patapoutian (Libanon), beide in Kalifornien arbeitend (UCSF bzw. Scripps Research , La Jolla) erhielten in diesem Jahr dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Sie erforschten, wie Nervenimpulse ausgelöst werden, welche auf Hautreize wie Kälte und Wärme und Berührung/Druck hervorgerufen werden.
David Julius verwendete für seine Versuche Capsaicin, welches als scharfe Substanz besonders in Chilischoten vorkommt, botanisch einer Art der Gattung des Paprika (Capsicum) aus der Familie der Nachtschattengewächse. Capsaicin und seine synthetischen Analoga sind jedem Mediziner seit langem wohlbekannt und werden aus vielerlei Indikationen eingesetzt. In tropischen Ländern nutzt man seine antibiotischen Eigenschaften, und viele Speisen werden dort mit Chili („Cayenne-Pfeffer“) versetzt. In geringer Dosierung werden sie auch bei uns als Aromastoffe Lebensmitteln zugegeben. Capsaicine fördern die Durchblutung, und man verwendet Capsaicin etwa bei Muskelverpannungen oder neuropathischen Schmerzen. In der Diabetologie finden sie bei der diabetischen Neuropathie insbesondere im Fußbereich Anwendung.
Ardem Patapoutian entdeckte unter Einsatz von druckempfindliche Zellen die Sensoren welche auf der Haut und in inneren Organen auf mechanische Reize reagieren.
Kommentar
Den beiden Wissenschaftlern ist zu ihren Entdeckungen zu zu gratulieren. Sie stellen auch für einen Kliniker und praktisch tätigen Arzt einen wichtigen Beitrag zur Physiologie dar. Dass daraus auch ein Nutzen für die Medizin entsteht, ist zu hoffen. Die Wirkung von Capsaicin zur Therapie kann man jetzt näher verstehen, freilich ist sie schon seit Jahrzehnten bekannt.
Im Verleihungstext des Karolinska Institutet in Solna/Stockholm steht, völlig korrekt, dass es sich um den Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ handelt, wie er von Alfred Nobel in seinem Testament gestiftet wurde. Er schrieb am 27. November 1895 fest, wer den jeweiligen Preis erhalten solle. Für unser Fach hieß es, derjenige sollte den Preis erhalten, „den som har gjort den viktigaste upptäkt inom fysiologiens eller medicinens domän“ (…der die wichtigste Entdeckung auf dem Gebiete der Physiologie oder Medizin gemacht hat“ (Lit.2). In zahlreichen Pressemitteilungen und allen Medien wird immer nur vom „Medizin-Nobelpreis“ gesprochen. Ein Diskutant zu meinem Beitrag über diesen Preis von 2013 (3) schrieb, es handele ich um einen „Etikettenschwindel“. Dies ist freilich etwas „starker Toback“.
Leider erhielten bisher nur etwa eine Handvoll klinisch und/oder praktisch tätige Mediziner diesen Preis, alle anderen Preisträger waren Biologen, Biochemiker, Physiologen oder andere Grundlagenwissenschaftler. Der Referent (H.S.) forschte selbst etwa ein Jahr über den Rheumafaktor bei Nana Svartz am „Konung Gustaf V – Forskningsinstitutet“, das neben dem Karolinska Institutet liegt. In diesem war ein Grazer Jugendfreund von ihm in der Abteilung für Zellphysiologe tätig, der dem Nobelkomitee angehörte. Er meint daher recht gut zu wissen, wie dieser Preis vergeben wird. Mitglieder aus dem ebenfalls daneben liegenden Universitätsklinikum, dem „Karolinska Sjukhuset“ waren nicht darunter.
Der Vorschlag eines weiteren Diskutanten zum Blogbeitrag in Lit. 3, den Preis entweder zu teilen oder alternierend für „Physiologie“ und im folgenden Jahr „für Medizin“ zu verleihen, wurde ebenfalls gemacht.
Helmut Schatz
Literatur
(1) https://www.fr.de: Medizin-Nobelpreis 2021: Auszeichnung geht an David Julius und Ardem Patapoutian.
(2) Helmut Schatz: Der Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ geht 2017 an Grundlagenwissenschaftler.
DGE-Blogbeitrag vom 5. Oktober 2017
(3) Helmut Schatz: Ein Nobelpreis für „Medizin“?
DGE-Blogbeitrag vom 9. Oktober 2013
Zur Zeit von Nobel umfasste der Begriff „Physiologie“ mehr als man heute darunter darunter versteht, nämlich auch viele grundwissenschaftliche Disziplinen. Insofern ist eine Preisvergabe an deren Vertreter völlig gerechtfertigt. Dass jedoch kaum Kliniker/Ärzte die verkürzt „Medizin-Nobelpreis“ genannte Auszeichnung erhalten haben, spiegelt die Zusammensetzung des Nobelkomitees aus Theoretikern wider („Eine Hand wäscht die andere“, sagten die alten Römer).
„Manus manum lavat“ formulierte Seneca, als er einen griechischen Komödiendichter übersetzte.
Auch im Jahre 2022 schreiben alle Medien vom Nobelpreis „für Medizin“, der an Svante Pääbo für seine Forschungen über die Gene der Neandertaler u.a. vergeben wurde. Was hat das mit Medizin zu tun? Man sollte, wie vorgeschlagen wurde, tatsächlich jährlich alternierend den Nobelpreis einmal “ für Physiologie“ und im folgenden Jahr „für Medizin“ vergeben. Das Nobelkommittee bezeichnet den Preis immer korrekt, Alfred Nobel entsprechend, als „für Physiologie oder Medizin“. Die Journalisten verkürzen ihn fast immer werbewirksam als „für Medizin. Das bezeichnete ein Leser drastisch als Etikettenschwindel“.