Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Der Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ geht 2017 an Grundlagenwissenschaftler


Graz, 5. Oktober 2017:

Die Chronobiologie, das Thema der diesjährigen Nobelarbeit, ist ein fundamentaler Grundzug der gesamten belebten Natur. Sie war ursprünglich eine Domäne der Botanik. Schon Androsthenes, Feldherr Alexander des Großen, berichtete über tagesrhythmische Blattbewegungen der Tamarinde, der indischen Dattel. Diese Rhythmen sind nicht durch Tageslicht ausgelöst, wie der Astronom de Marain 1729 an Mimosen beobachtete, die ihre Blätter unabhängig vom Sonnenlicht öffnen und schliessen. Besonders schön ist dies an den „Blumenuhren“ zu erkennen, wo man am Öffnen und Schliessen der Blüten der unterschiedlichen Pflanzen die Tageszeit erkennen kann, wie erstmals der schwedische Botaniken Carl von Linné erkannt hat. Für die Erforschung des für den Menschen wohl wichtigsten Aspekts der Chronobiologie, des circadianen Tag-Nacht-Rhythmus, erhielten am 2. Oktober 2017 die drei US-Amerikaner Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Youngin den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin (1). An Fruchtfliegen hatten sie das Gen isoliert, welches den normalen Tagesrhythmus kontrolliert. Sie zeigten, dass dieses Gen Proteine kodiert (PER 1,2,3 sowie TEF), welche während der Nacht in der Zelle akkumulieren und während des Tages abgebaut werden. Die PER-Eiweissspiegel oszilllieren während eines 24-Stunden-Zyklus synchron mit dem zirkadianen Rhythmus. Diese biologischen Uhren arbeiten auch in anderen mehrzelligen Organismen einschliesslich des Menschen. Durch innere Uhren können sich physiologische Vorgänge an die „dramatische verschiedenen Phasen des Tages“ anpassen und regulieren kritische Funktionen wie Hormonspiegel, Verhalten, Schlaf, Körpertemperatur oder Stoffwechsel, indem sie als Transskriptionsfaktoren die Genexpression steuern. Neben Licht (retinohypothalamischer Trakt) regulieren die Nahrung (2) und der Energiehaushalt die circadianen Rhythmen und Gene. Die Gruppe unseres DGE-Mitgliedes A.F.H.Pfeiffer, Nuthetal und Charité Berlin zeigte, dass sogar die Zusammensetzung der Nahrung ein spezieller Zeitgeber sein kann, welcher die endogenen Schrittmacher im Gehirn, die „Master Clock“, im peripheren Gewebe („Slave Clocks“) sowie Stoffwechselgene beeinflusst (3-5).

Biologische Rhythmen gibt es zuhauf. Je nach Periodenlänge unterscheidet man circannuale, semilunare, circalunare, circatidale, circadiane und ultradiane Rhythmen (Beispiele für circannuale Rhythmen: Vogelzug, Winterschlaf, für ultradiane: 90 minütige Zyklen der pulsatilen Gonadotropinfreisetzung, des menschlichen Schlafes oder des Fressverhaltens der Vögel).

Kommentar

Alfred Nobel legte am 27. November 1895 in seinem Testament fest, wer den jeweiligen Preis erhalten solle. Auf unser Fach bezogen schrieb er, den Preis solle erhalten, „…den som har gjort den viktigaste upptäckt inom fysiologiens eller medicinens domän“ („…der die wichtigste Entdeckung auf dem Gebiete der Physiologie oder Medizin gemacht hat“. So wird der Preis auch stets korrekt vom Nobelkomitee bezeichnet. Die werbewirksame Verkürzung auf „Medizin-Nobelpreis“ durch fast alle Medien (Pressebüros von Institutionen, große Tageszeitungen, Fernsehen u.a.) stellt, wie es ein Kommentator zu einem Bericht des Referenten zum Nobelpreis 2013 etwas krass nannte, „Etikettenschwindel“ dar (siehe einen der Kommentare zum Blogbeitrag in Lit. 6). Es wurde angeregt, den Nobelpreis entweder zu teilen oder in festzulegendem Wechsel für eher rein physiologische oder vorwiegend klinisch-medizinisch relevante Arbeiten zu vergeben. Freilich wird der klinische Nutzen grundlagenwissenschaftlicher Arbeiten oft erst viel später erkennbar. In den letzten Jahrzehnten haben den Preis fast ausschließlich Grundlagenwissenschaftler, hingegen nur etwa eine Handvoll von Klinikern bzw. Ärzten erhalten. Mögliche Gründe dafür hat der Referent, der selbst ein Jahr lang in Stockholm am preisvergebenden Karolinska Institutet gearbeitet hat, in seinem DGE-Blogbeitrag vom 9. Oktober 2013 angeführt (6). Schon heute erkennbaren klinischen Bezug haben die Arbeiten der beiden Nicht-Klinikerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna über die CRISP CAS9-Technologie. Diese beiden Forscherinnen würden einen (gerne verkürzt bezeichneten) „Nobelpreis für Medizin“ meines Erachtens hoch verdienen.

Helmut Schatz

Literatur

(1) M. Brooks: Nobel price in medicine awarded to circadian rhythm researchers.
http://www.medscape.com/viewarticle/886390?nlid=118218_3901&..

(2) H. Schatz: Biologische Rhythmen durch Zusammensetzung des Essens gesteuert.
DGE-Blogbeitrag vom 9. Mai 2015

(3) K. Kessler et al.: The effect of diurnal distribution of carbohydrates and fat on glycaemic control in humans: a randomized controlled trial.
Scientific reports. 2017;7:44170.

(4) O. Pivovarova et al.: Regulation of the clock gene expression in human adipose tissue by weight loss.
Int J Obes (Lond). 2016;40:899-906.

(5) O. Pivovarova et al.: Changes of Dietary Fat and Carbohydrate Content Alter Central and Peripheral Clock in Humans.
J Clin Endocrinol Metab. 2015;100:2291-302.

(6) H. Schatz: Ein Nobelpreis für „Medizin“?
DGE-Blogbeitrag vom 9. Oktober 2013

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Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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Eine Antwort auf Der Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ geht 2017 an Grundlagenwissenschaftler

  1. Nemo sagt:

    Die den Literatur- Nobelpreis vergebende Schwedische Akademie geriet kürzlich in die Schlagzeilen. So titelte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 28.April 2018: „Steuerfahnder in Schwedens Akademie“. Auch aus anderen Gründen (s.u.) sind 18 Mitglieder der Akademie, darunter deren Vorsitzende, Sara Danius zurückgetreten. Im Zentrum des Skandals steht das Komiteemitglied Katarina Frostenson, die als Mitinhaberin einer Veranstaltungsbühne Fördermittel der Akademie erhalten haben soll, ohne dies bekanntgegeben zu haben. Auch wurden ihrem Mann sexuelle Belästigungen vorgeworfen. Was soll das mit dem Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ zu tun haben? Gar nichts natürlich, denn dieser wird nicht von der Schwedischen Akademie, sondern vom zuständigen Nobelkomitte am Karolinska Institutet vergeben. Es soll nur aufzeigen, dass auch so hochrenommierte Institutionen wie Nobelkomittees nicht immer sakrosankt sind. Auf die – menschlich verständlichen – Gründe, warum der Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ in den vergangenen Jahrzehnten nur an etwa eine Handvoll Kliniker und fast immer an Grundlagenwissenschaftler bzw. Theoretiker vergeben wurde, hat Helmut Schatz in seinem Blogbeitrag vom 9. Oktober 2013 hingewiesen.

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