Bochum, 1. Oktober 2018:
Heute wurde der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin (meist verkürzt als „Medizin-Nobelpreis“ bezeichnet, siehe Lit. 1 und 2) an die beiden Immunologen James P. Allison, Austin, USA und Tasuku Honjo, Kyoto, Japan vergeben. Ihre Entdeckungen waren, wie es das Nobelkomitee formulierte, die Grundlage für die Entwicklung einer völlig neuartigen Klasse von Krebsmedikamenten, den Immun-Checkpoint-Inhibitoren, die das Immunsystem entfesseln, so dass es Krebszellen ungehindert bekämpfen kann.
Schon seit einem Jahrhundert forscht man darüber, Krebs durch immunologische Mechanismen zu bekämpfen. Während in der Diabetologie der Versuch, die Immunologie zur Prävention und Therapie von Typ-1-Diabetes einzusetzen, seit Jahrzehnten immer noch keinen Durchbruch erzielt hat (Lit.3), gelang dies den beiden Medizin-Laureaten 2018 in der Krebstherapie. Sie fanden heraus, wie man die T-Lymphozyten hindern kann, nicht das als „körpereigen“ empfundene Krebsgewebe anzugreifen, sondern sie „zu entfesseln“. Allison entdeckte in den 1990er Jahren den Immun-Checkpoint „cytotoxic T-lymphocyte antigen 4“ (CTLA-4), zu dessen Blockade im Jahre 2011 der dagegen gerichtete Antikörper Ipilimumab zur Behandlung des metastasierten Melanoms zugelassen wurde. Schon etwas früher, im Jahre 1992 hatte Honjo das Protein PD-1 gefunden, das auch an der Oberfläche von T-Zellen exprimiert wird. PD-1 bremst über einen anderen Mechanismus ebenfalls den Angriff von T-Lymphozyten auf körpereigenes Gewebe. Die Blockade dieses zweiten Checkpoint-Inhibitors durch den Antikörper Nivolumab (Opdivo®, Bristol-Myers Squibb) wirkt in gleicher Weise anti-kanzerogen. Die bisher mit Immuntherapie untersuchten Krebserkrankungen sind das metastasierte, nicht-kleinzellige Lungenkarzinom, das Melanom und das Nierenzellkarzinom. Es wurden anhaltende Remissionen und Stabilisierungen erzielt.
Wie zu erwarten, können bei der Immun-Checkpoint-Therapie aber schwere Nebenwirkungen auftreten. Diese können auch zum Tode führen, nach Daniel Y. Wang in 0.3%-1.3% (4). Zu nennen sind an vorderer Stelle eine Kolitis, Dermatitis, Hepatitis, Myokarditis, Iridozyklitis, Fatigue, Erythroblastenaplasie, Myositis, Rhabdomyolyse u.v.a. Es kann jedes Organ betroffen sein. Man muß frühzeitig immunsuppressiv behandeln, mit Glukokortikoiden, auch zusammen mit anderen Immuntherapeutika wie Mycophenolatmofetil, TNF-alpha-Antikörpern, intravenöser Gabe von Immunglobulinen oder Plasmapherese. Dennoch lässt sich ein fataler Ausgang nicht immer vermeiden.
Aus dem Bereich der Endokrinologie wurden die Hypophysitis genannt und Daten für die Thyreoiditis publiziert. Eine Arbeit von Katharina Kähler et al. bereits aus dem Jahre 2016 (5) nennt folgende Zahlen für endokrine Nebenwirkungen bei der Therapie des metastasierten Melanoms: unter je >300 Patienten mit Nivolumab plus Ipilimumab in insgesamt 30% (Grad 3-4: 4.8 %), unter Nivolumab ~14.4% (bzw. 0.6%) und unter Ipilimumab 10.9% (bzw. 2.3%). Darin enthalten die Zahlen für Hypothyreose: 15.0% (0.3%), 8.6% (bzw. 0%) und 4.2% (bzw. 0%). Neuere umfangreiche Übersichtsarbeiten zu endokrinologischen Nebenwirkungen mit Immune-Checkpoint-Inhibitoren erschienen 2017 (6) und 2018 (7).
Kommentar
Bis Ideen wie die Krebsbekämpfung durch Bakterien mit Immunstimulierung vor etwa einem Jahrhundert, gefolgt von jahrzehntelanger Grundlagenforschung und Tierexperimenten endlich zum Durchbruch für die klinische Medizin führen, braucht es oft einen langen Atem. Im Falle der Checkpoint-Blockaden hatte übrigens die Pharmazeutische Industrie anfangs wenig Interesse an diesem neuen Therapieprinzip gezeigt. Der diesjährige Nobelpreis mag daher auch nach Ansicht des diesbezüglich kritischen Referenten mit Recht gerne verkürzt als „Medizin-Nobelpreis“ bezeichnet werden (1).
Helmut Schatz
Literatur
(1) Helmut Schatz: Ein Nobelpreis für ‚Medizin‘?
DGE-Blogbeitrag vom 9. Oktober 2013
(2) Helmut Schatz: Der Nobelpreis für „Physiologie oder Medizin“ geht 2017 an Grundlagenwissenschaftler.
DGE-Blogbeitrag vom 5. Oktober 2017
(3) Helmut Schatz: Orale Insulingabe an Kinder zur Diabetes-Verhütung bei Verwandten von Typ-1-Diabetespatienten wirkungslos.
DGE-Blogbeitrag vom 25. November 2017
(4) D.Y. Wang et al.: JAMA Oncology online September 13, 2018-10-02
(5) Katharina C. Kähler et a.L: Nebenwirkungsmanagement bei Immun-Checkpoint-Blockade durch CTLA-4- und PD1- Antikörper beim metastasierten Melanom.
Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, 14(7). First published 4 July 2016.
https://doi.org/10.1111/ddg.13047_g
(6) David N. Byon et al.: Cancer immunotherapy – immune checkpoint blockade and associated endocrinopathies.
NATURE REVIEWS Endocrinology, April 2017. Vol.13, 195-207
https://doi.org/10.1038/nrendo.2016.205
(7) Romualdo Barroso-Sousa et al.: Incidence of Endocrine Dysfunction Following the Use of Different Immune Checkpoint Inhibitor Regimens. A Systematic Review and Meta-analysis.
JAMA Oncology February 2018 Volume 4 (2)172-183.
https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2017.3064
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