Bochum, 22. März 2017:
Am 5. Februar 2017 wurde im Blog der DGE, basierend auf einer Vorab-Pressemitteilung der Firma Amgen, global über die Ergebnisse der kardiovaskulären (CV) Outcome-Studie FOURIER durch Cholesterinsenkung mit dem PCSK9-Hemmer Evolocumab (Repatha®) berichtet (1). Details zum Protokoll der Studie können dort nachgelesen werden. Jetzt wurden von Marc S.Sabatine et al. (2) am 17. und 18. März 2017 auf dem Kongress des American College of Cardiology (ACC) in Washington, D.C. die Details vorgestellt und zeitgleich im NEJM publiziert (2).
An 27.564 kardiovaskulären Hochrisiko-Patienten, mittleres Alter 62 Jahre, mit einem LDL-Cholesterin =/> 70 mg/dl (1.8 mmol/l) unter Statinen (in ~2/3 intensiv, in ~1/3 mässig intensiv wirkende, in 5% zusätzlich Ezetimibe) wurde der PCSK9-Hemmer Ecolocumab gegen Plazebo als add-on Therapie getestet. Nach 2.2 Jahren wurde „event-driven“ die vorgegebene Ereignisrate erreicht. LDL-Cholesterin wurde von einem mittleren Basalwert von 92 mg/dl (2.4 mmol/l) auf 30 mg/dl (0.78 mmol/l) abgesenkt (p< 0.001). Das Risiko für den primären Komposit-Endpunkt aus CV Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Hospitalisation wegen unstabiler Angina oder Koronar-Revaskularisation wurde durch Evolocumab in 2.2 Jahren auf 9.8% (n=1344 Patienten) gegenüber 11.3% (n=1536 Patienten) unter Plazebo signifikant verringert. Dies sind absolut 1.5%, relativ 15%. Die Risikoreduktion stieg im Verlauf progressiv an und betrug nach 3 Jahren absolut 2%, relativ 19 %. Der „key secondary endpoint“ setzte sich aus CV Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall zusammen. Er verringerte sich unter Evolocumab signifikant auf 5.9% (n=816 Patienten) im Vergleich zu 7.4% (n=1013 Patienten) unter Plazebo. Dies sind absolut ebenfalls 1.5%, relativ 20%. Auch diese Risikoreduktion stieg im Verlauf von 3 Jahren auf absolut 2%, relativ 25% an (siehe Abbildung 1 aus Lit.2). Die Number Needed to Treat (NNT) zur Verhinderung von einem CV Todesfall, Herzinfarkt oder Schlaganfall betrug nach 2 Jahren 74, nach 3 Jahren etwa 50.
Abbildung 1 (aus Lit. 2)
Nebenwirkungen: Im Vergleich zu Plazebo wurden lediglich häufigere Hautreaktionen an den Einstichstellen und vermehrt bindende Antikörper, aber keine neutralisierenden beobachtet. Ein Neuauftreten von Diabetes oder neurokognitiven Ereignissen (Details in Lit. 1), geprüft an einer Subgruppe von 1.974 Patienten in der EBBINGHAUS-Studie, wurden ebenfalls nicht gesehen (3).
Kommentar
Zunächst unterstützt die FOURIER-Studie die Aussage über LDL-Cholesterin: „The lower the better“ und die europäische Forderung, dass Zielwerte für LDL anzustreben seien. Auch bei noch wesentlich niedrigeren LDL-Werten unter 30 war es bei weiterer Verbesserung des CV Risikos zu keinen unerwünschten Ereignissen gekommen. Es ist jedoch nicht völlig auszuschliessen, trotz der unauffälligen Befunde bei genetisch sehr tiefem LDL durch eine loss-of-function – Mutation, dass über längere Zeit extrem tiefe Werte auch ungünstige Auswirkungen haben könnten. Roxanne Mehran, Mount Sinai, New York meinte, dass sich für LDL nach längerer Zeit eine J-Kurve zeigen könnte (4). Dullaart diskutiert in seinem Editorial möglicherweise dann eine Beeinflussung des transmembranösen Transports fettlöslicher Vitamine (5).
Kardiovaskuläre Ereignisse: Es kam durch die tiefe Absenkung des LDL-Cholesterin über den Statineffekt hinaus zu einem signifikanten Rückgang kardiovaskulärer Ereignisse. Dieser war, wohl zufolge der (zu) kurzen Beobachtungsperiode von im Mittel 2.2 Jahre (5) nicht sehr ausgeprägt. Die kurze Zeitdauer kann auch als Ursache dafür angesehen werden, dass die CV und die Gesamt-Mortalität nicht abgenommen hatten. Das zeigt sich auch daran, dass die relative Risikoreduktion für Herzinfarkt und Schlaganfall von 19% im 1. Jahr auf 33% nach 3 Jahren zugenommen hatte. Die geplante open-label – Extension über einen längeren Zeitraum mit ~6000 Studienteilnehmern sollte hier nähere Aufschlüsse bringen.
Eingehend wurde die Frage diskutiert, so von Sidney Smith, Chapel Hill, ob die hohen jährlichen Kosten – in den USA >14.000 US Dollar, in Europa >8000 Euro – den zur Zeit numerisch nicht sehr grossen Effekt auf die CV Ereignisse rechtfertige (4) . Der Präsident des ACC, Dr. Richard Chazal, Fort Myers, Florida antwortete auf die Frage, ob die beobachteten CV Effekte die hohen Kosten rechtfertige: „I don´t know“ (4). Wie man hört, soll es in den USA bereits Rabatte von 30% geben.
Die offizielle Diskussionsrednerin nach der Präsentation von Marc S. Sabatine, Dr. Pamela B. Morris von der University of South Carolina war überrascht, dass trotz des so tief gesenkten LDL-Cholesterins von 30 mg/dl immer noch eine recht hohe Ereignisrate – ein „Restrisiko“ – von 4.2% pro Jahr bestehen blieb. Wenn auch LDL-Cholesterin ein wichtiger Risikofaktor ist, so müssen offenbar noch weitere Risikofaktoren existieren, über die weiter geforscht werden müsse (4). So wurde über verschiedene Interleukine und Entzündungsvorgänge diskutiert. Die ACCELERATE-Studie hatte mit Evacetrapip (6) paradoxerweise trotz drastischer Senkung des LDL und Erhöhung des HDL keinen CV Nutzen ergeben und der Hannoveraner Herzchirurg Axel Haverich meinte kürzlich, Cholesterin gerate nur sekundär in die Plaques, primäre Ursache seien Mikroinfarkte der vasa vasorum, möglicherweise entstanden durch Infektionskrankheiten wie etwa Grippe (7,8).
Jetzt wird man mit Interesse die Ergebnisse des ODYSSEY OUTCOMES-Trial (9) mit dem PCSK9-Hemmer Alirocumab (Praluent®, Regeneron/Sanofi) abwarten, zumal dieses auch im Unterschied zu FOURIER nur Patienten innerhalb von 6 Monaten nach einem akuten Koronarsyndrom aufgenommen hat.
– Facit
Die FOURIER-Studie mit Evolocumab (Repatha®) zeigte eine sehr starke LDL-Cholesterinsenkung zusätzlich zu Statinen. In den ersten 2 Jahren kam es zu einem mässigen Rückgang von CV Ereignissen. Dieser wird aber, wie die auseinandergehenden Kurven auf Abbildung 1 zeigen, bei längerer Behandlungsdauer wohl weiter zunehmen. Die hohen Jahreskosten von >14.000 US Dollar in den USA und >8000 Euro in Ländern der Europäischen Union limitieren zur Zeit den Einsatz dieser Medikamente. Sicherheitsbedenken haben sich in der Studie keine ergeben, insbesondere nicht für eine Beeinträchtigung der Neurokognition, wenn diese nach längeren Zeiträumen auch nicht völlig auszuschliessen sind (5)..
Helmut Schatz
Literatur
(1) Helmut Schatz: Die Outcome-Studie FOURIER mit dem PCSK9-Hemmer Evolocumab reduziert kardiovaskuläre (CV) Ereignisse bei CV-Hochrisikopatienten ohne neurokognitive Beeinträchtigungen.
DGE-Blogbeitrag vom 5. Februar 2017
(2) Marc S. Sabatine et al. : Evolocumab and clinical outcomes in patients with cardiovascular disease.
NEJM online March 2017. doi: 10.1056/NEJMoa1615664
(3) R.P. Giugliano et al.: EBBINGHAUS: A cognitive study of patients enrolled in the FOURIER trial.
American College of Cardiology – 66th Annual Scientific session. Late-Breaking Clinical Trial March 18, 2017
(4) Deborah Brauser: Evolocumab added to statins cuts CV events in FOURIER.
http://www.medscape.com/viewarticle/877348_print
(5) R.P.F. Dullaart: PCSK9 inhibition to reduce cardiovascular events. Editorial.
NEJM online March 2017. doi: 10.1056/NEJMoa1703138
(6) Robert DuBroff: Cholesterol paradox: A correlate does not not a surrogate make.
Evid. Based Med. 2017. 22(1) 15-19
(7) Axel Haverich: A Surgeon´s View on the Pathogenesis of Atherosclerosis.
Circulation 2017. 135:205-207
(8) Helmut Schatz: Nicht Cholesterinablagerungen in der Intima der Gefäße, sondern Verschlüsse der Vasa vasorum mit Entzündungsvorgängen in der Adventitia Ursache der Arteriosklerose?
DGE-Blogbeitrag vom 23. Januar 2017
(9) Gregory M. Schwartz et al.: Effect of alirocumab, a monoclonal antibody to PCSK9, on long-term cardiovascular outcomes following acute coronary syndromes: Rationale and design of the ODYSSEY Outcomes trial.
American Heart Journal November 2014. 168(5): 682-689e1
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Eine sehr ausgewogene Stellungnahme, die sich einerseits von den sehr optimistischen Interpretationen von Firmenvertretern, andererseits von den äussert kritischen Äusserungen mancher Kardiologen abhebt.
Verglichen mit dem früh einsetzenden positiven cv Effekten in der EMPA REG OUTCOME Studie sind die FOURIER-Ergebnisse nach gleichen Zeitperioden weniger ausgeprägt. Natürlich kann das am Studienkollektiv liegen, möglicherweise auch an der unter dem SGLT2-Hemmer sofort einsetzenden osmotischen Diurese.
Warum sind die Ergebnisse. Insbesondere beim Myokardinfarkt für Europäer viel weniger ausgeprägt als für Nordamerikaner oder Südostasiaten und Menschen aus dem pazifischen Raum? War bei den Europäern die Beobachtungszeit so viel kürzer oder waren es genetische/Umwelt-Unterschiede? Bei Letzterem würde die Kosten-Nutzenrelation für uns in Europa besonders ungünstig ausfallen.
Für meinen Geschmack sind die Patienten in der FOURIER Studie schlecht charakterisiert.
BMI, Bauchumfang, sportliche Aktivität, Ernährung. Parameter, die einen bekannten Einfluss auf CV Ereignisse.