Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

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Panikattacken unter Intrauterinpessaren mit Levonorgestrel (Hormonspiralen)


Bochum, 2. April 2020:

Ein Leser unseres DGE-Blogs mailt mich an und befragt mich zu einem Bericht im arznei-telegramm vom 21. Februar 2020 (1) über vermehrte Panikattacken unter Levonorgestrel enthaltenden Hormonspiralen (Mirena u.a.),  zugelassen zur Schwangerschaftsverhütung und auch bei verstärkten Regelblutungen (Hypermenorrhoe).

Schon  lange sind unter oralen Kontrazeptiva und Hormonspiralen depressive Zustände, Angst und Stimmungsschwankungen bis hin zu  Suicidalität bekannt, auf die in einem „Rote Hand“-Warnbrief und einem Bericht des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Jahre 2019 eingegangen wurde . Auch die Daten des französischen Pharmakovigilanz-Registers zeigen dies: Depressive Störungen und Angststörungen wurden in 38% der 2714 Berichte über Nebenwirkungen benannt (2). Depressive Störungen sind auch aus der klinischen Praxis bekannt, so unser DGE-Mitglied Prof. Dr. Thomas Strowitzki von der Universität Heidelberg.

Laut Artikel im arnei-telegramm (1) sei nun auch vom Pharmakovigilanzzentrum der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Uppsala  auf ein erhöhtes Risiko für Panikattacken unter Levonorgestrel-haltigen Intrauterinpessaren hingewiesen worden. Bis November 2018 seien dem Zentrum 602 Berichte aus 22 Ländern Amerikas, Europas u.a. von Panikattacken unter Hormonspiralen  (in 98% unter Levonorgestrel) zugegangen. Die Attacken seien nach im Mittel 5 Monaten, aber auch schon nach 2 Wochen aufgetreten.

Bereits 2017 konnte man im Spiegel Gesundheit  einen langen Artikel mit dem Titel lesen: „Hormonspiralen könnten Frauen psychisch krank machen“. Es wird eine Patientin geschildert, die unter der Spirale Mirena zuerst Stimmungsschwankungen, später dann Panikattacken bekommen habe, bis zu einem „Totalzusammenbruch“. Erst nachdem die Spirale entfernt worden war, seien die Symptome verschwunden. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft habe schon 2009 kritisiert, dass viele Gynäkologen die Patientinnen nicht oder nicht ausreichend über mögliche psychische Nebenwirkungen der Hormonspiralen aufklären würden (3).

Über einen möglichen zentralen Pathomechanismus dafür liegt eine sorgfältige Untersuchung der Gruppe von Steven Kushner, Professor für Neurobiologische Psychiatrie am Erasmus University Medical Center in  Rotterdam von 2017 vor: „The levonorgestrel-releasing intrauterine device potentiates stress reactivity“.  In drei unterschiedlichen Versuchsansätzen an Frauen ohne oder unter dieser Hormonspirale wurde eine erhöhte Stressantwort auf einen Belastungstest und im Haar ein erhöhter Cortisolspiegel als Ausdruck länger dauernder bzw. wiederholter Stressepisoden gefunden (4).

Kommentar

Die früher den Patienten oft gegebene Information, dass hormonfreisetzende Spiralen lediglich lokal und nicht systemisch wirkten, ist nicht mehr zutreffend.  Patientinnen sollten, wenn es nicht ohnedies geschieht,  auch über mögliche psychische Nebenwirkungen aufgeklärt werden,  wie sie etwa im Beipackzettel von Mirenda  aufgeführt werden, wenn  zur Zeit auch ohne die jetzt speziell überprüften Panikattacken. Ob ein Hinweis darauf schon jetzt erfolgen soll, muss der Arzt individuell entscheiden, der die Psyche seiner Patientin besser kennt als ein Gremium, welche in der Regel ein statistisches Durchschnittsresultat zu bewerten hat.

Helmut Schatz

Literatur

(1) arznei-telegramm: Panikattacken unter Levonorgestrel-IUP (Mirenda u.a.).
Heft 2/20 vom 21. Februar 2020, Seite 16

(2) Claire Langlade et al. for the French Network of Pharmacovigilance Centres: Adverse events reported for Mirenda levonorgestrel-releasing intrauterine device in France and impact of media coverage.
Br J Clin Pharamcol. 2019. 85:2126-2133

(3) Veronika Hackenbroch: Hormonspiralen könnten Frauen psychisch krank machen.
Spiegel Gesundheit, 7. Juni 2017

(4) J. Aleknaviciute – S.A. Kushner: The levonorgestrel-releasing intrauterine device potentiates stress reactivity.
Psychoneuroendocrinology 2017. Jun; (80): 39-45. doi: 10.1016/j.psyneuen.2017.01.025. Epub 2017 Feb 28

Publiziert am von Prof. Helmut Schatz
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Eine Antwort auf Panikattacken unter Intrauterinpessaren mit Levonorgestrel (Hormonspiralen)

  1. GeHi sagt:

    Gut zu lesen, dass es vermehrt auch von der wissenschaftlichen Seite Bedenken gibt. Ich habe letztes Jahr auf Anraten meines Gynäkologen eine Mirena bekommen und es ging mir sofort nach dem Einsetzen psychisch sehr schlecht. Ich hatte zuvor eine Pille mit gleichem Wirkstoff genommen, und schob meine Nervosität auf die Anstrengungen des Familienalltags. Ich wurde erst hellhörig, als ich von einer befreundeten Psychiaterin von den Nebenwirkungen durch Levonorgestrel erfuhr. Ich habe die Mirena ca 4 Monate getragen und sie dann entfernen lassen und es ging mir schon nach wenigen Stunden besser. Ich hoffe, dass dieses Produkt irgendwann vom Markt genommen wird. Wer weiß, wieviele Frauen und Familien täglich unwissend unter den Nebenwirkungen leiden müssen.

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